Luxemburgensia

Provinzkultur und Kleinstadt-Bohème

d'Lëtzebuerger Land vom 27.03.2020

Das Charakteristikum der Luxemburger Literaturszene ist vielleicht gar nicht, wie viele glauben, ihre Mehrsprachigkeit, sondern der mühselige Prozess der Professionalisierung, in dem sie sich seit langem befindet. „On en est toujours à la professionnalisation“, stellte Ian de Toffoli mit einem gewissen Entsetzen vor zwei Jahren fest (d’Land vom 3.3.2017), als das Luxembourg Film Festival mal wieder zeigte, wie weit die Strukturen in anderen Kunstsparten bereits gediehen sind. Aber, wenn schon kein Ende in Sicht ist, sollte man doch zumindest sagen können, wo diese neverending story ihren Anfang nahm?

In ihrer literatursoziologischen Studie Wortproduzenten – der Titel zitiert Roger Manderscheid – schlägt Fabienne Gilbertz die 1960er und 1970er als Schlüsselperiode sowohl eines wirtschaftlichen wie auch eines künstlerischen Professionalisierungsbestrebens im heimischen Literaturbetrieb vor. Sie macht dies in erster Linie an der Gründung von neuen Theatertruppen, Zeitschriften, Veranstaltungsreihen, Verbänden und dem Lochness-Autorenverlag fest. Vieles dieser Initiativen waren kurzlebig, manche bloß Stürme im Wasserglas. An die Strahlkraft eines Phi-Verlags oder eines Lëtzebuerger Schrëftstellerverbands reichen sie selten heran. Den Keim für diese späteren Erfolge sieht die Autorin aber dennoch hier.

Hinter einer 500 Seiten starken Dissertationsschrift darf man kein allzu leserfreundliches Buch erwarten. Es gibt weitschweifige Teile zu Methodik und Forschungsliteratur sowie eine Masse an Fußnoten, die dem Haupttext zu Leibe rücken. Gerade ein überlanges Kapitel zu Itamar Even-Zohars Polysystemtheorie – neben Pierre Bourdieu und dessen Dunstkreis Hauptstichwortgeber für Gilbertz’ Herangehensweise – hätte man kürzen können. Später werden nur einige Schlüsselbegriffe wiederaufgenommen. Gleiches gilt für Kapitel zum historischen Kontext. Darüber hinaus ist zu hoffen, dass Luxemburgist*innen bald selbstbewusst genug sind, nicht jede ihrer Arbeiten mit der Frage „Was ist Luxemburger Literatur?“ zu beginnen.

Herz der Studie sind die Kapitel zu den unterschiedlichen Institutionen des Literaturbetriebs. Die Literaturwissenschaftlerin stützt sich hier auf akribische Recherchen bei einer oft dünnen Archivlage, ergänzt durch Interviews mit damaligen Akteur*innen (auch bei Gilbertz ist das Gendersternchen ein Feigenblatt, das das weitgehende Fehlen tatsächlicher Akteurinnen verdeckt). Erzählt werden uns Variationen eines Kampfs zwischen David und Goliath, eines Streits der Alten und der Neuen. Auf der einen Seite stehen die alteingesessenen Kultureinrichtungen mit großherzoglichen Segen, die Vertreter einer Heimat- und Dorfliteratur, die katholische Presse und eine Bourgeoisie, für die Kultur sowieso eine Pariser Erfindung ist. Auf der anderen Seite stehen die mehr oder minder jugendlichen Rebellen, die zuhause Hefte zusammentackern, Kollektive gründen, in Scheunen lesen und im buchstäblichen Untergrund Theater spielen.

Fabienne Gilbertz fördert bei ihren Untersuchungen unzählige Einsichten zutage. Interessant ist oft, wie unterschiedliche sich die verschiedenen Bereiche entwickelt haben und wie dauerhaft die Neuerungen waren. In der Theaterlandschaft sind Kasemattentheater, Centaure und Tol heute feste Größen, während die staatlichen Häuser längst nicht mehr nur auf Gastspiele und Nummernrevuen setzen. Dahingegen haben die vielen Zeitschriftengründen den Autor*innen zwar kurzfristig Publikationsmöglichkeiten verschafft, aber oft war nach ein paar Nummern Schluss. Ähnliches gilt für die Gewerkschaften, die nur selten etwas Bleibendes hinterlassen haben. Die Bedeutung der vermeintlich zentralen Mondorfer Dichtertage relativiert Gilbertz übrigens: hier konnten Autor*innen zwar netzwerken, gelesen haben sie aber doch eher in Consdorf.

Ein letztes Kapitel hat die Verfasserin Roger Manderscheid gewidmet, Lichtgestalt und „Nestbeschmutzer“ jener Jahre. Beschrieben werden insbesondere dessen schriftstellerische Selbstbehauptung und Selbststilisierung – bis hin zur Analyse seiner sich verändernden Frisur! Wortproduzenten überzeugt mit seiner Aufarbeitung eines wichtigen Kapitels luxemburgischer Literaturgeschichte. Es ist, wie könnte es anders sein, eine Pionierleistung, die man einem Nicht-Fachpublikum wegen des Wissenschaftsprosa-Ballasts aber nur eingeschränkt empfehlen kann. Pflichtlektüre ist das Buch auf jeden Fall für alle, die sich weiterhin über die Professionalisierung des Literaturbetriebs den Kopf zerbrechen.

Fabienne Gilbertz: Wortproduzenten. Literarische und ökonomische Professionalisierung im Luxemburger Literatursystem der 1960er und 1970er Jahre. Heidelberg, Universitätsverlag Winter 2019. ISBN: 978-3-8253-4621-8. 562 Seiten. 78 Euro

Jeff Thoss
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