In Luxemburg besteht seit Jahren eine dringende Notwendigkeit, sich intensiver mit der eigenen Kultur, ihrer Geschichte und ihren spezifischen Begebenheiten zu beschäftigen. Wendet man sich in anderen Ländern schon seit einiger Zeit beispielsweise einer globaleren Narrative der Kunst zu, die versucht, Verbindungen und Interaktionen zwischen unterschiedlichen Kulturkreisen aufzuzeigen, so werden in Luxemburger Museen oftmals die Werke Luxemburger Künstler abgetrennt und als losgelöst vom internationalen Kunstschaffen präsentiert oder gar auf einem anderen Niveau behandelt als Werke internationaler Künstler.
Kann man aber künstlerisches Schaffen und die so entstehende Kultur als ein abgeschlossenes Feld betrachten? In unserem Land erscheint die Identifikation über die eigene Kultur weit weniger ausgeprägt, als dies in vielen europäischen Ländern aktuell der Fall ist. Zunehmend werden kulturelle und traditionelle Spezifika von konservativen Regierungen benutzt, um die eigene nationale Identität zu stärken, sich dadurch aber auch von anderen abzugrenzen. Luxemburgs Offenheit in dieser Hinsicht bleibt ein Vorbild. Dennoch besteht eine klaffende Lücke in der selbstreflexiven Analyse der eigenen kulturellen Geschichte.
Über welche Parameter definiert sich der Luxemburger? Und was ist überhaupt Kulturgeschichte in Luxemburg? Während die Regierung versucht, die luxemburgische Identität über Marketing-Instrumente wie Nation Branding zu stärken, gibt es wichtige Forschungsansätze, die sich dem Thema widmen und es in all seinen Facetten beleuchten. Jeanne E. Glesener, Professorin für luxemburgische Literatur an der Universität Luxemburg, zählt zu jenen Forschern, die sich dieser Analyse verschrieben haben und ergründen wollen, was Kultur im 21. Jahrhundert bedeutet und wie eine Lehre der Kulturgeschichte Luxemburgs aussehen könnte.
Das Interesse von Jeanne E. Glesener an einer Aufarbeitung der Luxemburger Kulturgeschichte wurde durch die so genannten „Assises culturelles“ bekräftigt. Im Laufe dieser Diskussionen wurde klar, wie wenig Kunst und Kultur bislang in der allgemeinen Bildung verankert sind und eine Rolle spielen, und dies obwohl man heute weiß, welch wichtigen Part Kreativität in all ihren Ausprägungen in der persönlichen Entwicklung einnehmen kann. Überlegungen wurden also angeführt, um durch strukturelle Änderungen eine gute Grundlage für kulturelle Bildung zu schaffen. In den Lyzeen obliegt es den einzelnen Lehrern, ob und in welchem Umfang sie die kulturelle Geschichte Luxemburgs in den Unterricht einbringen wollen. Im Bereich der Kulturgeschichte Luxemburgs besteht ein Mangel an Grundlagenforschung; es existiert zudem kein Lehrbuch, und Spezialisten, die über einen breiten kulturgeschichtlichen Hintergrund verfügen, sind eher selten.
Die Idee einer Ringvorlesung über die Kulturgeschichte Luxemburgs wurde vor diesem defizitären Hintergrund von Jeanne E. Glesener ins Leben gerufen. Sie soll gleich mehrere Disziplinen heranziehen, um einen tieferen und übergreifenden Einblick in die Luxemburger Kulturgeschichte zu geben. Grundlegend in dieser Analyse sind laut Jeanne E. Glesener die Fragen: Was ist Kultur, wie definieren wir Kultur heute und welchen gesellschaftlichen Beitrag leistet Kultur und ihre Geschichte? Zu den Referenten der Ringvorlesung zählen unter anderem Michel Pauly (transnationale Geschichte), Jeanne E. Glesener (Literaturgeschichte), Ian de Toffoli (Theatergeschichte) sowie Edmond Thill und Paul di Felice (Kunstgeschichte beziehungsweise zeitgenössische Kunst). Damien Sagrillo wird sich in seinem Vortrag mit den unterschiedlichen Musiktraditionen, unter anderem in der Minette-Region, befassen. In weiteren Vorlesungen sollen die Geschichte der luxemburgischen Sprache (Fernand Fehlen), zeitgenössische Musik (Damien Sagrillo), die Industrie- und Wirtschaftsgeschichte (Denis Scuto) sowie die Geschichte der Medien (Paul Lesch, Yves Steichen) analysiert und diskutiert werden. All diese Entwicklungen gelten als unabdingbar, um die Parameter und Voraussetzungen zu verstehen, unter denen Kunst- und Kulturproduktion entstanden ist. Dank der Zusammenführung von unterschiedlichen Disziplinen soll das Expertenwissen gebündelt und durch einzelne Schwerpunkte wie Hybridität, Migration oder Interaktion zwischen Kulturakteuren zu einer übergreifenden These geleitet werden.
Die Ringvorlesung soll als Pilotprojekt dienen, anhand dessen es gilt, Schwerpunkte zu erfassen und eine nachhaltige Methode zu entwickeln. Für Jeanne E. Glesener gilt es insbesondere folgende Fragestellungen zu vertiefen: „Wo gibt es Vernetzungspunkte? An welchen Stellen überschneiden sich die unterschiedlichen Disziplinen und wo können noch weitere Forschungen unternommen werden, um weiteres Wissens zu schöpfen?“
Die Ringvorlesung startet im Februar und wird jeweils am Dienstagvormittag stattfinden. Sie richtet sich nicht nur an die Studierenden der Uni, sondern auch an alle Interessierten in der Öffentlichkeit. Wie aber kann ein breiteres Publikum von den Analysen und Debatten profitieren? Vereinbart ist, dass die Vorlesungen dem Bildungsministerium zur Verfügung gestellt und von ihm, den unterschiedlichen Niveaus der Klassen angepasst, für die Schulen aufbereitet werden. Das Material könnte anschließend von den Lehrern für ihr Programm genutzt werden. Solch breitgefasste Analysen sind nicht nur von höchstem Interesse, sondern können auch eine Lücke in der Kulturlandschaft und allgemeinen Bildung in Luxemburg schließen.