Heute loben wir die Fahrräder von Peking. Es muss ein betörender Anblick sein. „There are nine million bicycles in Beijing, thats a fact“, sang schon Katie Melua. Den ranghöchsten Drahteselkünstler im Staate Luxemburg, den Politpedalierer Jean Asselborn, hat die Pekinger Fahrräderflut offenbar glatt aus dem Sattel geworfen, als er am 29. Juli 2013 seinem chinesischen Kollegen Wang Yi einen Kürzestbesuch abstattete. Wenn ich in der einheimischen Presse lese, wie überschwänglich Jean Asselborn nach dieser Blitzvisite nun die Volksrepublik China über den grünen Klee lobt, frage ich mich, ob die Fahrräder von Peking vielleicht eine halluzinogene Wirkung auf europäische Außenminister ausüben. „Mit den Beziehungen zwischen China und Luxemburg steht alles zum Besten, wirtschaftlich, politisch und kulturell“, urteilte Jean Asselborn wörtlich. Politisch und kulturell? Aha. Oho. Und die Kette springt nicht aus Protest vom Zahnrad?
Zurück zu den Pekinger Fahrrädern. Ihre schiere Masse hindert westliche Politiker wohl irgendwie daran, wahrzunehmen, was sich noch alles hinter dem spektakulären Fuhrpark verbirgt. Zum Beispiel etwas so Triviales wie Dissidenten. In China heißen sie „Quertreiber“ und „Aufwiegler“. Fahrräder haben sie augenscheinlich nicht, in den Gefängnissen sind die Wege kurz, und man muss nicht eigens in die Pedalen treten, um schnell die Folterkammern zu erreichen. Nein, nein, Jean Asselborn, wir möchten Ihre Euphorie nicht stören, bleiben wir doch bei den politisch und kulturell ergiebigen Fahrrädern. Neun Millionen bikes allein in Peking! Das sind ja 18 Millionen Pedalen! Und fünfhundert Millionen blitzende Radspeichen, wenn wir einen bescheidenen Durchschnitt hochrechnen! Da gerät man als Fahrradliebhaber ja echt neben den Kopf! Da bebt der knallrote Helm auf dem Ministerschopf!
Wang Yi hat Jean Asselborn ganz sicher aufgeklärt, dass die Volksrepublik China die unschlagbare Weltmeisterin der Fahrradrechte ist. Fahrräder dürfen sich in diesem Riesenreich frei entfalten, sie sind keinerlei Repression ausgesetzt. Den staatlichen Schutz können sie in vollem Umfang beanspruchen. Noch nie wurde ein Fahrrad wegen seiner politischen Ansichten verhaftet. Die freie Rede ist ein unantastbares Privileg der Fahrräder. Auch wenn im westlichen Ausland konträre Behauptungen die Runde machen: in China kümmert sich die Regierung tagtäglich um das persönliche Wohlergehen, die physische Unversehrtheit und die geistige Unabhängigkeit der Fahrräder. Schauprozesse gegen Fahrräder sind schlicht undenkbar. Wenn man das Prekariat westlicher Fahrräder vergleicht mit dem stolzen und gesunden Kollektiv chinesischer Fahrräder, kann man nur sagen: Hier sollte sich der schlampige Westen ein Beispiel nehmen! Statt immer wieder blödsinnig die Wahrung der Fahrradrechte anzumahnen. Übrigens wurde seit der Gründung der Volksrepublik China die Lebenserwartung der Fahrräder von 35 auf 73 Jahre erhöht. Soviel zu den Fahrradrechten.
Fast hätte sich Jean Asselborn doch noch einen undiplomatischen Seitensprung geleistet, der auf ein Haar die eben besiegelte luxemburgisch-chinesische Fahrradharmonie zerschmettert hätte. Plötzlich wollte er unbedingt mit Wang Yi über die Lage der Menschenrechte in China reden. Im Eiltempo, zwischen Tür und Angel, wie es sich bei diesem lästigen Thema gehört. „Natürlich habe ich auch die Menschenrechtsfrage angesprochen“, berichtete unser Außenminister der einheimischen Presse. „Dabei kam es zu einem konstruktiven Dialog mit Wang Yi.“ Konstruktiver Dialog? Oho. Aha. Und da brechen uns vor Verzweiflung nicht alle vier Flügelschrauben weg?
In Zeiten von NSA und planetarischer Totalüberwachung war es natürlich ein Leichtes, mir den integralen Text dieses „konstruktiven Dialogs“ zu beschaffen. Hier ist er. Bitte solidarisch laut mitlesen! „ASSELBORN: Da fällt mir ein, Genosse Wang, wir müssen unbedingt noch kurz über die Menschenrechte reden. Sonst werden mich meine Genossen steinigen. WANG YI: Haha, die Menschenlechte! Alle Eulopäel wollen immel nul übel die Menschenlechte leden! ASSELBORN: Danke, Genosse Wang, vielen Dank! Diese wesentliche Aussage Ihrerseits übertrifft bei weitem meine Erwartungen und dringt wirklich zum Kern der Menschenrechtsproblematik vor. WANG YI: Haha, alles in Buttel, Hell Asselboln? ASSELBORN: Aber natürlich, Genosse Wang, ich bin sehr erfreut über diesen höchst konstruktiven Dialog. WANG YI: Haha, konstluktivel Dialog! Du kleinel Schelm! Du gelissenel Luxembulgel!“
Déi schaarf Kéier krut en nach eng Kéier geschnëppelt, würde es wohl im Fahrradjargon über die Bewältigung dieser diplomatischen Haarnadelkurve heißen. Sieh mal an, da sind wir ja wieder bei den Fahrrädern! Es ist nicht bekannt, ob Jean Asselborn neuerdings auf einem Pekinger Fahrrad durch die großherzogliche Landschaft düst. „China ist unser wichtigster Handelspartner in Asien“, erzählte er jedenfalls der Presse. Da lohnt es sich, virulent für die Fahrradrechte zu werben. Die Menschenrechte kann er immer noch den unwichtigen Handelspartnern um die Ohren hauen.