Heute loben wir die sprachliche Eleganz der Ordnungshüter. Hatten Sie schon mal mit der Polizei zu tun? Wenn ja, wird Sie dieses kleine Geständnis sicher überzeugen: Ich habe ausnahmslos gute Erfahrungen mit den uniformierten Freunden und Helfern gemacht, jedenfalls auf der verbalen Ebene, die ja beim unfreiwilligen zwischenmenschlichen Kontakt mit Polizisten eine zentrale Rolle spielt. Nie wurden mir von einem Polizisten brutale Schimpfwörter an den Kopf geworfen. Ganz im Gegenteil. „Fahren wir mit defektem Bremslicht durch die Gegend, Meister?“, fragte mich zum Beispiel einer jener freundschaftlichen und hilfsbereiten Beamten. Dieses „wir“ ist gleich wunderbar entwaffnend, denn mit dem „wir“ bezieht sich der Polizist ja buchstäblich mit ein ins Bremslichtdelikt, er sagt solidarisch „wir“, ganz so, als säße er neben dem Fahrer mit dem unkorrekten Bremslicht, der Mann erkennt also die größeren, gesellschaftlichen Zusammenhänge, er weiß, dass wir alle miteinander irgendwie schuldig sind, nicht nur an defekten Bremslichtern.
Noch schöner und rührender ist der Titel, den mir der empathische Polizist verliehen hat. Er nennt mich „Meister“, obwohl ich mich höchst unmeisterlich benommen habe, ja, wie ein unbegabter Lehrling habe ich mich aufgeführt, nicht mal um mein Bremslicht habe ich mich ordnungsgemäß und gesetzeskonform gekümmert, und trotzdem bescheinigt mir der Polizist, ein „Meister“ zu sein. Er sieht also gnädig über meinen kleinen Bremslichtfehler hinweg. Ich bin wohl ein Meister der kunstvollen Beschleunigung auf Autobahnen, oder ein Meister des kapriziösen Linksabbiegens auf engen Landstraßen, wer weiß. Jedenfalls gebe ich bei so viel polizeilichem Entgegenkommen mein Vergehen sofort zu. Ja, ich bin im Unrecht, ja, ich gestehe, dass ich nachlässig und gedankenlos gehandelt habe, ja, ich werde mich künftig leidenschaftlich um ein funktionierendes Bremslicht bemühen, ja, meine wohlverdiente Strafe nehme ich selbstverständlich auf mich. Danke, Meister.
Ich habe sogar Grund zur Eifersucht. Denn noch zartfühlender, verständnisvoller und tröstlicher wurde neulich ein rumänischer Staatsbürger von der Polizei behandelt. Der junge Mann hatte sich in einem leerstehenden Haus verschanzt und wollte auf diese Weise protestieren gegen die kriminelle Preistreiberei auf dem Luxemburger Wohnungsmarkt. Natürlich musste die Polizei zur Zwangsräumung antreten. Aber sie tat es linguistisch perfekt. Also mit einer derart gediegenen Wortwahl, dass man fast schon von einer literarischen Performance reden muss. Zwar berichtete die Presse in einer Weise über den Vorfall, die ich beim besten Willen nicht unterschreiben kann: „Polizist schreit: ‘Ech hu keng Loscht, mat engem Pâté wéi dir ze diskutéieren!’“ (Wort.lu, 08.07.2013). Wie kann man einen Menschen „Pâté“ nennen?, fragten sofort ein paar Voreilige.
Im Handumdrehen wurde der gute Polizist mit haarsträubenden Vorwürfen bombardiert. Ein „Pâté“, erregten sich die Feinde der bewaffneten Macht, ist ja nichts anderes als zertrümmertes Fleisch oder Gemüse im Zustand einer streichfähigen Masse. Wo hier der Zusammenhang mit einem rumänischen Hausbesetzer sein soll, ist uns ein Rätsel, verehrter Herr Polizist. Sollte Sie hier etwa ein Freud’scher Lapsus überwältigt haben? Sind Sie ein Fall für Doktor Yvan mit den Diwan? Könnte es sein, dass Sie sich den Gesetzesbrecher im besetzten Haus schon im voraus als „Pâté“ vorgestellt haben, also in jener bedauernswerten Verfassung, die so manchem Staatskritiker blüht, wenn er sich mit staatstragenden Polizeikräften anlegt und partout nicht weichen will? Oder wollten Sie einfach nur „Raté“ brüllen und haben in allerletzter Sekunde das fatale „R“ noch durch ein opportunistisches „P“ ersetzt?
Warum denn so rabiat? Geht es denn nicht menschlicher? Ich habe ich mich sachkundig gemacht beim Service de la communication verbale et de la stratégie conflictuelle (SCVSC) der nationalen Polizei. Ja, es handelt sich um einen völlig neuen Faktor in der Ausbildung junger Polizeirekruten. In höchst angespannter Lage sollen Polizisten künftig auf Reizwörter jeder Art gezielt verzichten. Also nicht länger Arschloch, Hirnkrüppel, Gartenzwerg, Zombie, Nullekackert, Banannefrësser, auslänneschen Drecksak oder Houerekand brüllen, sondern mit hörbar gedrosselter Lautstärke, aber entschieden deklamatorischer Betonung (von wegen „Polizist schreit“!) nur mehr ganz und gar unbelastete Substantive von sich geben, also zum Beispiel Maargréitchen, Fréijoerslëftchen, Pâté, Äppelbam, Kischlorrään, Summerbox, Gaardeboun oder Owesklack.
„Ech hu keng Loscht, mat enger Fréijoerslëftche wéi dir ze diskutéieren!“ In der Tat, da ist jeder aggressiv-tendenziöse Unterton verschwunden. Wirklich, es klingt zutiefst poe-tisch. Und „Pâté“ ist schließlich etwas Weiches, Samtiges, eine schmackhafte Mischung aus leckeren Zutaten und Gewürzen, kurz, eine Delikatesse. Der rumänische Hausbesetzer sollte stolz sein, bei der Polizei als „Pâté“ registriert zu sein. Oder hat er keinen Sinn für sanfte Ordnungshüterlyrik?