Kino

Verkommene Männerwelt

d'Lëtzebuerger Land vom 15.10.2021

Paris, 29. Dezember 1386 – Für einmal darf man geneigt sein, der Behauptung based on true events Glauben zu schenken: Die Ereignisse aus dem Ritterfilm The Last Duel sind durch zeitgenössische Gerichtsakten belegt. Das besagte „letzte Duell“ war das letzte Mal, dass im Mittelalter ein Zweikampf als göttliches Gerichtsurteil ausgetragen wurde. Der Ritter Jean de Carrouges hatte seinen alten Freund und Weggefährten Jacques le Gris angeklagt, seine Frau Marguerite vergewaltigt zu haben. Le Gris wies den Vorwurf zurück. Das Duell sollte darüber entscheiden, wer Recht hatte, da Gott den Gerechten mit dem Sieg belohnen würde. Die Aufzeichnungen von Le Gris‘ Rechtsanwalt haben bis heute überlebt. Dank ihrer Ausführlichkeit ist der Fall außerordentlich gut dokumentiert und wurde in Romanform von Eric Jager 2004 dramatisiert. Ben Affleck und Matt Damon nahmen sich des Romans an und haben seit Good Will Hunting (1997) erneut ein Drehbuch zusammen verfasst. Klugerweise haben sie sich nicht nur von Nicole Holofcener weibliche Unterstützung geholt, sondern sich für die Umsetzung an Regisseur Ridley Scott gewandt, der mit Kingdom of Heaven (2005) oder Robin Hood (2010) das Mittelalter massentauglich auf die Leinwand brachte.

Alles, was man von einem Film dieses Genres, dieses Regisseurs und mit diesem Titel erwarten könnte, findet hier statt – und dann auch wiederum nicht. Es ist ein Film, der sowohl um den Impuls zur Rache als auch um die Motive von Verstehen und Vergeltung und um die Rolle der Frau kreist – kein Schlachtengemälde wie in Kingdom of Heaven, einzig gilt das Zusammentreffen beider Kontrahenten, das so unabwendbar ist, wie der Selbstbehauptungsversuch der Frau illusorisch ist. Der Film gliedert sich in drei Erzählabschnitte, jedes Mal aus der internen Fokalisierung: zuerst Carrouges‘ (Matt Damon), dann Le Gris‘ (Adam Driver) und dann aus der Sicht der Frau, Marguerite (Jodi Comer), die mit der Einblendung „Die Wahrheit“ eingeleitet wird. Seine besondere Pointe bietet der Film, indem Szenen nachgereicht werden, indem die Kameraführung und -position sich ändern, sich anpassen, je nach Sichtweise der Ereignisse. So gesehen ist The Last Duel ein Musterbeispiel für filmisches unzuverlässiges Erzählen. Dieser narrative Trick ist mindestens so alt wie das japanische Nachkriegskino: Die filmische Vorlage ist Rashomôn (1951) von Akira Kurosawa. Diese drei grundsätzlichen Handlungsführungen erlauben die Kombination von sich wandelnden Positionen. Der Film erreicht damit immer mehr eine moralische Indifferenz gegenüber den Männerfiguren, denn sie hängt mit einer psychologischen zusammen: Ohne männliche Identifikationsfiguren und ohne Figuren, die durch Sympathielenkung affirmativ dargestellt werden, gibt es auch keine Affirmationen von Wertvorstellungen. Die mit dem Ritterfilm gemeinhin verbundenen emotionalen Assoziationen von Begeisterung, Aufregung und Abenteuer greifen hier nicht mehr.

Das Einstehen für eine gerechte und aufrechte Sache, was den Helden Gelegenheit gäbe, ihre Fähigkeit im Kampf zu beweisen, wie ihre Ehre, ihren Gerechtigkeitssinn, all das ist in The Last Duel obsolet geworden; was mithin verloren geht, ist die naive, idealisierte Vorstellung von Ritterlichkeit. Viel eher vermittelt sich in The Last Duel das Empfinden für eine Welt der Täuschung und Maskierung, in der man auch dem letzten Akteur gegenüber misstrauisch werden muss. Die Frage nach Gut und Böse stellt sich ein solcher Film nicht wirklich, er ist vielmehr von der Mechanik der Rache fasziniert und umso mehr entsetzt ob der emotionalen Gleichgültigkeit gegenüber der Frau. Mit der extradiegetischen Wahrheitsbekundung der Frauenperspektive macht The Last Duel seine Position ganz transparent. Die Frau kann aus ihrer rein funktionalen Rolle als Katalysator des Helden denn auch insofern heraustreten, im Endeffekt sogar selbst die Heldin werden, als sie, zwar gebunden an die Kodexe des Gesellschaftssystems, sich doch eine Stimme verleiht. The Last Duel beschreibt einen Weg zur Eskalation der Gewalt, auf dem es gar nicht mehr eines radikalen, schurkischen Bösewichts, eines vollkommen moralischen Außenseiters bedarf – das ist insofern denn auch Ausdruck einer reichlich verkommenen Männerwelt..

Marc Trappendreher
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