Tanz

Messerwetzend zum Bolero mit Soft-Eis

d'Lëtzebuerger Land vom 15.10.2021

Morbide Akrobatik trifft auf lasziven Rollschuhlauf, so könnte man die beiden Soli beschreiben, die am selben Abend im Mamer Kinneksbond performt wurden. Der Schweizer Marc Oosterhoff und die Luxemburgerin Jill Crovisier präsentierten hier ihre zwei neuesten Kreationen: Take Care of Yourself und I(CE) (S)CREAM: Boléro Femme und tanzten beide auf ihre Art aus der Reihe.

Die Soloperformance Take Care of Yourself mäandert zwischen Zirkus, Performance und zeitgenössischem Tanz. Auf der Bühne eine Flasche Whisky, ein Dutzend Schnapsgläser, Messer, Papierkügelchen, eine tickende Uhr, dazwischen ein verschmitzter Darsteller (Marc Oosterhoff), der sich ganz und gar der Gefahr aussetzt. In seiner nur etwa zwanzigminütigen Performance riskiert Oosterhoff alles, prangert die Sicherheitsstandards an, die unseren Alltag mittlerweile kennzeichnen und uns maßregeln, und spielt bewusst mit der Gefahr. So sticht er mit gewetzten Messern zwischen seine Finger – vor einem Publikum, das ihn ständig im Blick hat und den Atem anhält. Sich explizit der Gefahr aussetzend, spürt sich der Darsteller erst recht lebendig. Marc Oosterhoff gründete 2017 seine Kompanie CIE MOOST mit dem Ziel, Tanz, Zirkus und Theater miteinander zu verbinden und nach (s)einer eigenen Sprache zu suchen: zugänglich und nicht elitär. Mit Take Care of Yourself erforscht Oosterhoff die Essenz des Zirkus, geht dem Risiko auf den Grund und bietet vergnüglich und bisweilen beklemmend eine kurzweilige Show, die durch ihre Doppelbödigkeit besticht. Wenn die Gefahr überwunden ist, reibt man sich die Augen wie in den akrobatischen Zirkusshows aus Kindertagen.

Maurice Ravels ursprünglich als Ballett konzipierter Bolero ist zeitlos, sein von -zig Orchestern in aller Welt interpretiertes Werk, ein einfacher Rhythmus in der Endlosschleife, geht unter die Haut und versetzt einen in eine euphorische Stimmung. Vor fast 100 Jahren, 1928 an der Pariser uraufgeführt, tanzte Ravels Muse, die 43-jährige Ida Rubinstein, als einzige Frau in einem Kreis von 20 jungen Tänzern und schockierte mit ihrem erotischen Tanz das Publikum.

Was aber kann heute noch schockieren? Jill Crovisier interpretiert den Bolero ausgefallen, mit Griff in die Achtzigerjahre-Kiste. Mit I(CE) (S)CREAM: Bolero Femme lässt sie auf nur einem Quadratmeter eine Tänzerin (Victoria Tvardovskaya) mit Rollschuhen und Eis leckend den Bolero lasziv interpretieren. Leidenschaftlich folgt die Tänzerin dem Rhythmus – ihrer inneren Stimme folgend. Eine rasante Interpretation, als Spiegelbild einer schnelllebigen Zeit, die unter schepperndem Klappern der Rollschuhe und gerade durch ihre neckische Ästhetik betört. So sinnlich Eis schleckend hat wohl noch keiner Ravels Bolero auf die Bühne gebracht!

Take care of yourself; Konzeption, Regie, Interpretation und Lichtdesign: Marc Oosterhoff, Produktionscompagnie MOOST

I(CE) (S)cream: Bolero Femme; Choreografie: Jill Crovisier; Performance: Victoria Tvardovskaya, Produktion: JC Movement

Anina Valle Thiele
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