Mehr als 200 Au-pairs arbeiten in Gastfamilien. Einblick in einen internationalen Mikrokosmos, der sich trotz gesetzlicher Regelung rigorosen Kontrollen entzieht

Hier, um zu helfen

Anna ist seit Kriegsbeginn  in der Ukraine  in Luxemburg
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 23.06.2023

Als Danay vor zwei Jahren ins Flugzeug stieg, um als Au-pair nach Europa zu kommen, verließ sie ihren Heimatkontinent Afrika zum ersten Mal. Aufgewachsen an der südafrikanischen Garden Route, westlich von Kapstadt, hatte sie ihren Schulabschluss in der Tasche und wollte ihr Fremdsprachenniveau verbessern. Nach einem Au-pair-Aufenthalt in den Niederlanden und einer kurzzeitigen Rückkehr nach Hause ist sie seit August letzten Jahres bei einer Familie in Luxemburg als Au-pair tätig. Eher aus Zufall, wenn sie ehrlich sein soll. „I was like, Luxembourg? Where is that? I had never even seen it on the map.“ Um Deutsch zu lernen, wäre auch Deutschland infrage gekommen. Aber der finanzielle Zuschuss, den es dort gibt, ist weniger interessant. Kathi, die im orangenen Blumenkleid neben ihr im Café Konrad sitzt, gibt ihr Recht. In Frankreich, wo sie vorher als Au-pair gearbeitet hat, musste sie gut mit ihrem Geld haushalten. Sie ist wie Danay 22 Jahre alt, kommt jedoch aus der Gegend von Wien und will ihre Französischkenntnisse aufpolieren.

1969 legte der Europarat das Europäische Abkommen über Au-pair Beschäftigung fest, das auch Luxemburg ratifizierte (neben Spanien, Norwegen, Italien, Frankreich und Dänemark). Darin werden die spezielle Stellung des Au-pairs und seine „moralischen, legalen, kulturellen und ökonomischen Implikationen“ hervorgehoben; unterstrichen, dass Au-pairs „Merkmale eines Studenten und eines Arbeiters“ in sich vereinen, aber nichts von beidem sind; und eine maximale Anzahl von fünf täglichen Arbeitsstunden genannt. Unter das gängige Arbeitsrecht fallen Au-pairs nicht, eine bindende gesetzliche Regelung existiert in Luxemburg jedoch seit zehn Jahren. Dort steht unter anderem festgeschrieben, dass sie nur 25 Stunden in der Woche arbeiten dürfen, wie viele freie Tage und Geld ihnen zustehen, dass sie ausschließlich „leichte“ Haushaltstätigkeiten übernehmen. Und dass für Kinder unter sechs Jahren eine gesonderte Kinderbetreuung gesichert sein muss (es muss zwingend ein Kind unter 13 Jahren im Haushalt leben). Die Familien suchen ihr Au-pair über Foren, Webseiten wie Aupairworld oder andere Agenturen selbst, der Service national de la jeunesse (SNJ) koordiniert das Ganze, nachdem der Vertrag unterschrieben wurde. Das Wort Au-pair spielt auf den französischen Ausdruck der Augenhöhe an – jemand ist zeitweilig Teil der Familie, nicht nur Hausangestellte. Im Vordergrund soll der gegenseitige kulturelle Austausch stehen.

In diesem Jahr sind derzeit 239 Au-pairs beschäftigt, 2016 lag die Zahl noch bei 174. Auf der SNJ-Webseite können Familien einen Test ausfüllen, um herauszufinden, ob ihre Wohnsituation für ein Au-pair geeinigt ist. Munter klickt man sich durch Fragen über das eigene Kommunikationsverhalten, über Offenheit, Budget und Räumlichkeiten. Auch potenzielle Au-pairs können dort reflektieren, ob sie „die ideale Kandidatin“ sind. Platz- und Geldmangel, verschärft durch die aktuelle Wohnungskrise, dürften viele Familien ausschließen: Benötigt wird ein eigenes Zimmer und zwischen 800 und 1 000 Euro für Essen, Sprachkurs und den monatlichen Zuschuss (er liegt indexgebunden derzeit bei rund 500 Euro.) Es ist kein Zufall, dass die Bank ING auf ihrer Webseite erklärt, wie man ein Au Pair engagieren kann. Viele Gastfamilien arbeiten im Finanzbereich; detaillierte Daten zu ihrem sozioökonomischen Hintergrund liegen dem SNJ nicht vor.

Kathi und Danay müssen nicht aufgefordert werden, über ihre Erfahrung zu sprechen, es sprudelt es nur so aus ihnen heraus. Warum haben sie sich diese Aufgabe ausgesucht? Sie führen die Finanzierung eines längeren Auslandsaufenthalts als Hauptargument für das Au-pair-Dasein an. Es sei die preiswerteste Art, Zeit im Ausland zu verbringen. Beide können sich nichts Schlimmeres als einen langweiligen Nine-to-five-Job vorstellen. „Das wäre mein größter Alptraum“, erklärt Danay. Beide fühlen sich „sehr wohl“ und „100 Prozent Teil der Familie“ bei ihren Gasteltern. Sie freuen sich über deren Flexibilität; es sind Familien, die ihre Kinder seit Jahren von Au-pairs betreuen lassen. In Danays Fall auch, damit sie nicht zu häufig in die Maison Relais gehen müssen.

Danay und Kathi holen vor allem die Kinder ab, chauffieren sie zu Aktivitäten, waschen die Kinderwäsche und räumen die Spülmaschine aus. In ihrer Freizeit treffen sie ihre Freunde und reisen. Sie wissen genau, was in ihrem Vertrag steht. Dass die Kinder betreut werden können, wenn eine Date-Night ansteht, die Wäsche der Gasteltern jedoch nicht angefasst wird. Sie sind gut untereinander vernetzt. Von anderen Au-pairs haben sie weniger tolle Geschichten gehört. Etwa, dass die Gasteltern ihnen nicht genug Freiraum geben würden, den jungen Frauen mehr Putzarbeiten auferlegen, als eigentlich erlaubt ist. Es gibt einen obligatorischen Infoabend, an dem die Au-pairs teilnehmen müssen und über ihre Rechte aufgeklärt werden. Eine weitere Kontrolle, außer in Form von Umfragen, gibt es nicht. „Es ist eine schmale Gratwanderung zwischen einer gewissen Flexibilität, was die Alltagsorganisation angeht, und sicherzustellen, dass alles regelkonform zugeht“, sagt Frank Welsch, Jurist beim SNJ. Wie eine strengere Kontrolle von über 200 Haushalten aussehen könnte, kann er nicht sagen.

Auch die 25-jährige Anna arbeitet als Au-pair. Sie trägt Denim-Latzhose und eine Handvoll Tätowierungen auf den Armen. Zwei ihrer Tattoos sind die exakten Koordinaten ihres Heimathauses im ukrainischen Cherson, in der Nähe der Krim. Sie ist kurz vor Beginn des Krieges mit ihrer Mutter nach Europa gekommen, ihr Vater ist seither in der Ukraine geblieben. Herzukommen, das hatte die studierte Übersetzerin allerdings auch schon vor Kriegsbeginn geplant. Auslandsaufenthalte in Deutschland und Frankreich hatten ihr gut gefallen. Am Anfang sei es in Luxemburg allerdings sehr schwierig gewesen, als Au-pair mit dem Alltag mit drei Kindern unter fünf Jahren zurecht zu kommen. Im Winter, als die Gastmutter krankheitsbedingt ausfiel, wurde ihr alles zu viel. Sie sei sehr müde geworden und habe das Gespräch mit der Familie gesucht. Der Dialog verlief gut, sie fanden eine Einigung. Derzeit ist ihr Arbeitspensum für sie in Ordnung. Auch sie hat von jungen Frauen gehört, die aus Angst vor Konflikt nicht immer den Dialog mit der Gastfamilie suchen, auch bei „toxischen“ Zuständen. „Wäre ich jetzt zwanzig Jahre alt oder noch jünger, würde ich das auch nicht machen.“ Das Au-pair-Dasein gefällt ihr vor allem, weil sie sich sehr stark an die Kinder gebunden hat, die sie betreut. Weil sie aus der Ukraine kommt, und dadurch unter speziellem Schutz steht, konnte sie ihren Vertrag mit ihnen verlängern.

Historische Parallelen zu den Déngschtmeedercher, die ab 1880 und bis 1950 nach Brüssel und Paris gingen, um sozial aufzusteigen und Französisch zu lernen, können nur bedingt gezogen werden. Von Augenhöhe oder Austausch konnte in den meisten Fällen damals keine Rede sein; die Hausherrin erteilte Befehle, die auszuführen waren. Es sei ein Statussymbol gewesen, ein Déngschtmeedchen zu haben, erläutert Germaine Goetzinger, Ehrendirektorin des CNL, die zum Thema geforscht hat. Interessant ist aber, dass luxemburgische Haushaltshilfen sehr beliebt gewesen seien, weil sie als fromm und nicht besonders aufmüpfig galten. Sie hätten sich gut „anleiten lassen“.

Solche Attribute finden sich auch im Au-pair-Kosmos wieder. Philippinische Au-pairs sind nach kamerunischen derzeit am beliebtesten in Luxemburg. Dass erstere so beliebt sind, erklärt sich Nina Mabenga, die die einzige Au-Pair-Vermittlungsagentur Alpha Omega hierzulande betreibt, auch damit, dass sie „lieb seien“ und zu allem Ja sagen würden. „Die Welt der Au-pairs ist voller Klischees.“ Vor zwei Jahren wurde in der Woxx über den Fall eines philippinischen Au-pairs berichtet, das von seiner niederländischen Gastfamilie ohne die richtigen Papiere beschäftigt wurde. Das touristische Visum war weit überschritten worden – die Gastfamilie wurde dafür zu einer Geldstrafe von 1 000 Euro verurteilt.
Nach Kamerun und den Philippinen kommen die meisten Au-pairs aus Madagaskar, Mexiko, Thailand, Kolumbien, Brasilien, Spanien, China und Deutschland nach Luxemburg. Die Top drei erklären sich unter anderem dadurch, dass die jungen Frauen meist Französisch und Englisch können. In der Praxis nehmen in Luxemburg manche Familien allerdings durchaus Au-pairs aus ihrem eigenen Heimatland auf. Kann man da noch von kulturellem Austausch sprechen? „Natürlich gibt es manchmal andere Gründe, ein Au-pair einzustellen, aber das sind Ausnahmen“, sagt Frank Welsch.

Danay, Kathi und Anna wollen den Job nicht ewig machen. Kathi hat vor, eine Ausbildung zur Flugbegleiterin anzufangen, Danay gedenkt, nach einem weiteren sechsmonatigem Au-pair-Aufenthalt in Deutschland Chefköchin zu werden. Auch Anna will sich weiterentwickeln, am liebsten in Richtung Fotografie, Grafik oder Eventmanagement. An den Abschied von den Kindern in einem Monat will sie noch nicht denken.

Sarah Pepin
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