Die DP, die Grünen und die Krise

Regierungskompatible Opposition

d'Lëtzebuerger Land vom 17.06.2010

Am Samstag halten die beiden größten Oppositionsparteien Kongresse ab, zuerst die Grünen am Vormittag in Bonneweg, danach die DP am Nachmittag in Mamer. Doch ihre Bilanz ist im Grunde eher eine betrübliche. Während Monaten stritten die Sozialpartner ergebnislos in der Tripartite, die Koalition rang mit einer Regierungskrise, dann beschloss die Regierung im Alleingang ein Sparprogramm. Aber während all der Zeit war kaum etwas Nennenswertes von der Opposition zu hören.

Fast schien es, als ob DP und Grüne sich freiwillig aus der Debatte verabschiedet hätten, um es der Regierung zu überlassen, sich an den brisanten sozialpolitischen Fragen die Finger zu verbrennen. Denn die DP vermittelte den Endruck, dass sie sich hinter ihrem Ideenwettbewerb im Internet, Dat kanns du dir spuere, Lëtzebuerg. D’Initiativ géint Steiererhéijungen, verschanzte, um keine eigenen Vorschläge zum Index, zum öffentlichen Dienst oder zur Sozialpolitik machen zu müssen. Und die Grünen warteten ab, bis die Tripartite vorüber war und die Regierung entschieden hatte, bevor sie ihre eigenen Vorschläge publik macht – auf einem Kongress, der an diesem Wochenende stattfindet.

Das Ergebnis ist dementsprechend: Laut der vom Tageblatt in Auftrag gegebenen Meinungsumfrage fiele die DP im Zentrumsbezirk derzeit auf 18,3 Prozent der Stimmen zurück und würde damit erstmals seit über 40 Jahren nur noch drittstärkste Partei in der liberalen Hochburg. Im Norden liefe sie erneut Gefahr, einen ihrer beiden Sitze zu verlieren. Die Grünen legten dagegen im Vergleich zu den Wahlen vergangenes Jahr ein bis zwei Prozentpunkte in allen Bezirken zu und könnten im Süden sogar einen dritten Sitz gewinnen. Doch das wäre vielleicht eher der erneuten Klimapanik zuzuschreiben und ginge wohl auch auf Kosten der DP. Vor allem aber ist es ein schwacher Trost dafür, dass die Grünen bis zum Bankenkrach 2008 eine Regierungsbeteiligung in greifbarer Nähe wähnten.

Dass die Regierung seit Monaten in Schwierigkeiten steckt und die Opposition trotzdem nur wenig politisches Kapital daraus schlagen kann, ist nicht verwunderlich. Denn mehr als hinderlich für eine erfolgreiche Oppositionspolitik von DP und Grünen gegen die Regierung war, dass eine der beiden Regierungsparteien selbst den Part der Oppositionspartei übernahm.

Als die LSAP und sogar einer ihrer Minister und der Fraktionsvorsitzende Sturm gegen die Sparpläne der Regierung und eine erneute Indexmanipulation liefen, konnten die Opposi­tionsparteien nur noch tatenlos zusehen. Sie befleißigten sich zwar, über das von der Koalition gebotene „Spektakel“ zu jammern, aber den Wähler interessierte wohl weniger die Form als der Inhalt, der Index, die Steuern, das Kindergeld und der bëllegen Akt.

Als sich eine Regierungskrise abzeichnete, beteuerten DP und Grüne zwar, dass sie Neuwahlen einem „kalten“ Koalitionswechsel vorzögen, aber überraschend und verwirrend kam ihnen das alles schon vor. Denn in einem System, in dem auch die Oppositionsparteien ihre ganze Strategie rund um die CSV auf­bauen, war plötzlich die LSAP in der Offensive und punktete.

So zählten die beiden größten Oppositionsparteien weiterhin, wenn auch in unterschiedlichem Maße, zu den Krisenopfern. Denn die Finanz- und Wirtschaftskrise bleibt das dominierende politische Problem. Und schon bei den Wahlen hatte sich gezeigt, dass die Wähler weder der grünen Partei den nötigen wirtschaftspolitischen Sachverstand zutrauen, um das Land aus der Krise zu führen, noch der personell erneuerten und damit als unerfahren eingeschätzten bisherigen „Wirtschaftspartei“ DP: 2009 verloren die Liberalen mit dem grünen Punkt im Logo, die Grünen mit der liberal gewordenen Gesinnung stagnierten.

Dass die beiden Parteien in den politischen Turbulenzen ein Jahr nach den Wahlen keine Rolle spielten, haben sie sich aber auch selbst zuzuschreiben. Denn in keiner der entscheidenden Fragen, die in den letzten Monaten in der Öffentlichkeit, der Tripartite und der Koalition diskutiert wurde, boten sie Alternativen an. Die DP lavierte, die Grünen wollen am Wochenende mit ihrem Grénge Modell fir d’Zukunft ein perfekt zur Juncker-CSV kompatibeles Krisenprogramm verabschieden.

Auch wenn das Scheitern der Tripartite, der Koalitionskrach der letzten Monate und wohl auch die Debatten der nächsten Monate um den Index kreisen, unterscheiden sich die größten Opposi­tionsparteien in der In­dexpolitik nicht von der Regierung: Der Fraktionssprecher der DP, Xavier Bettel, hatte am 7. Mai eine Motion im Parlament eingebracht, damit die Regierung kurzfristig einen Gesetzentwurf zur Reform des Indexsystem vorlegt, welcher die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe gewährleistet, nicht auf Kosten der niedrigen Einkommen geht und nachhaltige Alternativen zum Erdöl ermöglicht. Was deutlich dem entspricht, das leicht verklausuliert im Koalitionsabkommen vom vergangenen Sommer und unmissverständlich in Junckers Erklärung zur Lage der Nation vom 5. Mai steht. Noch eindeutiger auf Regierungslinie ist das Grénge Modell fir d’Zukunft, in dem es heißt: „Déi Gréng fordern die Neutralisierung der Öl- und Gaspreise im Index-Warenkorb“, woran dann verschiedene Bedingungen geknüpft werden.

Die für den 1. Januar angekündigte Mindestlohnerhöhung kritisiert keine der Parteien. Fraktionssprecher François Bausch erklärte am 6. Mai vor dem Parlament, dass die Grünen „kein Problem mit der zeitweiligen Krisensteuer“ hätten; ihr grünes Zukunftsmodell schlägt, wie von der Regierung angekündigt, vor, „den Spitzensteuersatz an[zu]heben“ und rät zu einer „Erhöhung der Solidaritätssteuer“. Die DP lässt es bei allgemeinen Forderungen nach Einsparungen, um ebenso allgemein Steuererhöhungen eher für verfrüht zu halten als völlig abzulehnen. Dafür hält sie der CSV um so lieber deren Wahlkampfversprechen vor.

1999 hatte die DP ihren einzigen ­nationalen Wahlerfolg der letzten Jahrzehnte mit Hilfe der Staatsbeamten eingefahren, und die Wählerbasis der Grünen arbeitet mehrheitlich im öffentlichen und parastaatlichen Dienst. Deshalb waren beide Parteien wohl etwas zwischen Klientelismus und Beamtenneid hin und her gerissen, bevor sie der Regierung in den Gehälterverhandlungen mit der CGFP zur Hilfe kamen. Doch dann hielt Claude Meisch am 6. Mai vor dem Parlament eine Nullrunde bei den Gehälterverhandlungen im öffentlichen Dienst für „normal“, und für das grüne Modell soll „das aktuelle Lohnniveau im öffentlichen Dienst nicht weiter gesteigert werden“.

Die weitgehende Abschaffung des bëllegen Akt beim Immobilienkauf nannte Bausch „berechtigt“, die DP hatte nichts daran auszusetzen. Dass die Mammerent künftig erst ab 65 Jahre gewährt werden soll, stört die DP nicht; die Grünen wollen die Mammerent lieber ganz abschaffen.

Einig sind sich beide Parteien, dass sich am besten auf Kosten der nicht wahlberechtigten Grenzpendler sparen lässt. Die Regierung kürzt ihnen deshalb das Kindergeld und verspricht nur den Einheimischen, nach den Chèques-services, Stipendien zur Kompensierung. Die DP hatte dagegen vorgeschlagen, den Einheimischen lieber ein Wohngeld zu gewähren, das den Grenzpendlern vorenthalten bliebe. Und auch die Grünen beteiligen sich am nationalen Schulterschluss gegen die Verkäuferinnen aus Thionville : Sie wollen die Kilometerpauschale ganz abschaffen und als Ersatz einen „Ökobonus“ anbieten, der den Einheimischen vorbehalten bleibt, wie es beiläufig am Dienstag während einer Pressekonferenz hieß.

Romain Hilgert
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