2019 hatte es fast so ausgesehen, als könne Taina Bofferding die nächste nationale Spitzenkandidatin der LSAP werden. Doch dann kam die Pandemie

„Ech hat mär mäi Liewen eigentlech ganz anescht virgestallt“

Taina Bofferding am Dienstag in ihrem Büro im Innenministerium
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 24.03.2023

Lachende Dritte Im Herbst 2019, als bekannt wurde, dass Etienne Schneider sich aus der Politik zurückziehen werde, lieferten sich Wirtschaftsminister Franz Fayot und Arbeitsminister Dan Kersch ein viriles Duell um seine Nachfolge als „starker Mann“ der LSAP. Damals wurde die zunehmend an Popularität gewinnende Innenministerin Taina Bofferding als mögliche „lachende Dritte“ gehandelt (d’Land, 11.10.2019). Doch dann kam die Pandemie und plötzlich war Paulette Lenert der hellste Stern am Firmament. Der linke Kersch wurde zwar Vizepremierminister, zog sich vor zwei Jahren aber aus der Regierung zurück und agiert seitdem als Einzelkämpfer in der Partei; der sozialliberale Fayot zieht mit der Fondation Robert Krieps im Hintergrund die Fäden. Wegen guter Umfragewerte glaubt die LSAP, ihre Krise überwunden zu haben. Obwohl sie 2018 noch drei Sitze verloren hatte, will sie im Oktober stärkste Partei werden.

Als Taina Bofferding im Dezember 2018 mit nur 36 Jahren als neue Ministerin für Inneres und die Gleichstellung zwischen Frauen und Männern in der blau-rot-grünen Regierung vereidigt wurde, war das der vorläufige Höhepunkt ihrer politischen Karriere. Das eine Ressort hat sie von Dan Kersch übernommen, das andere von Lydia Mutsch, die sie neben Vera Spautz zu ihren Mentorinnen zählt („Ich habe mir von beiden das Beste ausgesucht“). Fast viereinhalb Jahre später fällt ihre politische Bilanz gemischt aus, was nicht nur mit der Covid-Pandemie zu tun hat. Im Innenministerium hat sie die Reform der Rettungsdienste abgeschlossen, die ihr Vorgänger in die Wege geleitet hatte. Die Überarbeitung der Gemeindegesetzgebung (loi communale), die die Regierung 2018 in ihrem Koali-
tionsprogramm angekündigt hatte, beschloss sie schrittweise durchzuführen. Vor den Sommerferien hat sie den ersten Gesetzentwurf hinterlegt, der deontologische Prinzipien für Gemeinderatsmitglieder einführt, ihnen etwas mehr congé politique zugesteht, die Unvereinbarkeiten mit dem Mandat erweitert und die strafrechtliche Immunität der Gemeinden abschafft. Der Gemeindeverbund Syvicol bemängelt, dass die Änderungen nicht weit genug gingen; das Gutachten des Staatsrats steht noch aus.

Im Oktober hat Taina Bofferding den Gesetzentwurf zur Reform der Grundsteuer und zur Einführung von Gebühren auf unbebauten Grundstücken und leerstehenden Wohnungen hinterlegt. Obwohl bereits seit Jahrzehnten darüber diskutiert wurde, hatten ihre Vorgänger sich nicht an die Grundsteuer herangetraut. Allerdings kritisieren Handels- und Salariatskammer, dass die Mobilisierungssteuer für Grundstücke erst in zehn bis 20 Jahren wirksam werde, wenn das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode angenommen würde. Andere Gutachten liegen bislang nicht vor, auch das des Staatsrats nicht, sodass es äußerst unwahrscheinlich ist, dass das Parlament noch vor den Wahlen über den Entwurf abstimmen kann. Als größten Erfolg verbucht die Innenministerin die Aufnahme von Artikel 29bis in das von Wohnungsbauminister Henri Kox (Grüne) ausgearbeitete Gesetz zum Pacte Logement 2.0, der private Bauträger dazu verpflichtet, bei Neubauprojekten zehn bis 20 Prozent der Wohnungen an die öffentliche Hand abzutreten, um den Bestand an erschwinglichen Mietwohnungen zu erweitern: „Den Artikel kënnt hei aus dem Ministère“, sagt Taina Bofferding stolz. Mit Henri Kox hat sie auch Änderungen an dem noch von Dan Kersch hinterlegten Gesetzentwurf zum Baulandvertrag und dem remembrement ministériel vorgenommen. Nachdem der Staatsrat in seinem Gutachten 29 oppositions formelles ausgesprochen hatte, wurde der Entwurf vom zuständigen Kammerausschuss überarbeitet und muss nun erneut vom Staatsrat begutachtet werden. Wann er zur Abstimmung kommen wird, ist noch nicht bekannt.

Im Bereich der (binären) Gleichstellung fällt Bofferdings Bilanz eher mager aus. Mit Kampagnen und Broschüren setzte sie vor allem auf Sensibilisierung, den ersten und bislang einzigen Gesetzentwurf in diesem Ressort hat sie erst vor zwei Monaten hinterlegt. Einerseits will sie damit eine gesetzliche Grundlage für das neue Observatoire de l’égalité entre les genres schaffen, das Daten sammelt und sich mit anderen Institutionen austauscht. Andererseits möchte sie das nach dem Tripartite-Prinzip zusammengesetzte Comité du travail féminin (CTF) zu einem Conseil supérieur à l’égalité entre les genres umgestalten und seinen Aufgabenbereich erweitern. Da künftig die Ministerin alleine über die Zusammensetzung dieses Gremiums entscheiden soll, befürchten die Gewerkschaften, dass die Nominierungen willkürlich erfolgen könnten. Themen wie die finanzielle Aufwertung von prekären Arbeitsbereichen, in denen vor allem Frauen tätig sind, oder eine Arbeitszeitverkürzung zur Entlastung von Frauen bei Hausarbeit und Kindererziehung, ist die Regierung nicht angegangen. Die LSAP entdeckt sie erst jetzt im Wahlkampf.

Taina Bofferding agierte in den vergangenen vier oder fünf Jahren eher unauffällig; Beobachter/innen sagen, politisch sei sie blass geblieben. Trotzdem hat ihre Popularität zugenommen. In Meinungsumfragen schneidet sie gut ab. Obwohl sich ihre Zustimmungsrate seit 2019 zwar stetig, aber insgesamt nur unwesentlich verbessert hat, belegt sie im Politmonitor inzwischen Rang sieben und gehört zu den drei beliebtesten LSAP-Politiker/innen. Deshalb wird sie mit hoher Wahrscheinlichkeit im Juli neben Jean Asselborn zur Ko-Spitzenkandidatin im Südbezirk nominiert.

Dat klengt Taina „Säit de Moie beschäftegt mech de Gedanke wat dat kléngt 8-järegt Taina haut zum Gebuertsdagskand géif soen? Ech hat mär mäi Liewen eigentlech ganz anescht virgestallt: Job mat Ufangs 20, mat der Jugendléift bestuet, 3 Kanner, riesen Haus mat Gaart an Hond… bon dat Eenzegt wat agetraff ass: den Dackel hunn ech ;-)“, schrieb Taina Bofferding am 22. November 2022 – dem Tag ihres 40. Geburtstags – auf ihrem offiziellen Politikerinnen-Account auf Facebook und fügte eine Collage mit neun Fotos aus ihrer Kindheit, Jugend und nahen Vergangenheit an. Auf allen Bildern ist sie alleine zu sehen, außer auf den drei rezenten, die sie mit ihrem Lebensgefährten, dem Podologen Raphaël Reiland, oder ihrem Dackel Newton zeigen, mit denen sie in einem Einfamilienhaus in Esch/Alzette lebt.

Verraten, was hinter den Bildern steckt, will sie jedoch nicht. Vor allem über ihre Eltern möchte sie nicht reden. Nur soviel: Aufgewachsen sei sie in einer Patchwork-Familie, in „ganz einfachen“ Verhältnissen, teilweise bei ihren Großeltern. Ihr Opa habe „op der Arbed geschafft“, ihre Oma sei Hausfrau gewesen. Die meiste Zeit habe sie in Zolwer verbracht, kurz habe sie in Niederpallen gelebt, wo sie der heutigen Grünen-Abgeordneten Stéphanie Empain begegnet sei, wie sie kürzlich auf Facebook enthüllte. Es sei kompliziert, das alles zu erklären. Von ihren Geschwistern und Halbgeschwistern sei sie die älteste. Die, die Verantwortung übernehmen, immer weise sein und nachgeben musste. „Das hat mich furchtbar genervt. Voilà!“ Sie lacht.

„Politik war bei uns nie ein Thema“, sagt Taina Bofferding, doch als Kind habe sie schnell gelernt, selbstständig zu sein und an ihre Stärken zu glauben – sich auf sich selbst zu verlassen. Sie sei schon immer sehr neugierig gewesen, habe sich dafür interessiert, was in ihrem Entourage passiert. Ministerin zu werden, sei als Kind nicht ihr Traum gewesen, doch Jugendfreunde, die sie kürzlich wiedergetroffen habe, seien nicht überrascht, dass sie in die Politik gegangen sei und es soweit gebracht habe. „Schon in der Kindheit war ich in Gruppen die Anführerin und konnte andere motivieren.“ Ihre Neugierde und ihr Sinn für Gerechtigkeit hätten dazu geführt, dass sie nach ihrer Ausbildung zur Erzieherin am LTPES in Fentingen noch Soziologie studierte. „Ich wollte verstehen, wie die Gesellschaft funktioniert, und die Welt entdecken“. Gekommen sei sie aber nur bis nach Trier, was auch damit zu tun gehabt habe, dass sie in Esch/Alzette jobbte, um ihr Studium zu finanzieren: als Nachhilfelehrerin, als Kellnerin im Café Diva und als Freelance-Journalistin beim Tageblatt. Etwas Wehmut schwingt mit.

Das alles habe sich ein bisschen wie ein roter Faden durch ihr soziales Engagement gezogen, deshalb sei sie schließlich bei der LSAP gelandet. Sie war im Vorstand der Studentenorganisation Acel und Generalsekretärin der nationalen Jugendkonferenz. 2004 überredete Yves Cruchten sie, sich den Jungsozialisten anzuschließen, zwei Jahre später wurde sie Vizepräsidentin, 2008 Präsidentin. 2009 kandidierte sie mit nur 26 Jahren zum ersten Mal bei den Kammerwahlen und belegte Platz 13. 2010 war sie Mitbegründerin der Allianz vun Humanisten, Atheisten an Agnostiker, 2011 wurde sie in den Escher Gemeinderat gewählt, im selben Jahr stellte der damalige OGBL-Generalsekretär André Roeltgen sie ein, damit sie die Jugendorganisation OGJ wieder aufbaute.

Als Lydia Mutsch 2013 in die Regierung wechselte, und Vera Spautz sie als Bürgermeisterin von Esch/Alzette ersetzte, hätte Taina Bofferding als Nächstgewählte eigentlich Schöffin werden sollen. Doch Dan Codello, der zwar weniger Stimmen hatte, aber schon länger im Gemeinderat war, beanspruchte das Amt für sich. Schließlich sprach die Escher LSAP-Sektion sich in geheimer Abstimmung gegen Taina Bofferding aus. Die große Enttäuschung sei damals nicht gewesen, dass sie Codello knapp unterlegen war, sondern dass Mitglieder, die ihr eigentlich ihre Unterstützung zugesichert hatten, am Ende gegen sie votierten, erzählt die Ministerin im Gespräch mit dem Land. Danach habe sie nicht mehr gewusst, wem sie noch trauen konnte.

Allerdings rückte sie 2013 für Lydia Mutsch in die Abgeordnetenkammer nach. Wegen der persönlichen Niederlage in Esch habe sie beschlossen, besonders hart zu arbeiten. „Ich habe ihnen gezeigt, dass sie auf das falsche Pferd gesetzt haben“, sagt Taina Bofferding. Bei den Gemeindewahlen 2017 wurde sie hinter Vera Spautz Zweite, doch die LSAP verlor die Wahlen und musste erstmals in die Opposition. Ausgezahlt hat die „harte Arbeit“ sich erst 2018, als die LSAP zwar auch auf nationaler Ebene drei Sitze verlor, Etienne Schneider sie jedoch in die Regierung holte. Auf der Südliste war sie erneut nicht direkt gewählt worden, doch sie war die erste Frau.

Schon gleich nach ihrem Amtsantritt als erste weibliche Innenministerin Luxemburgs hatte die Gemeindebeamtengewerkschaft FGFC sie in einer Mitteilung sexistisch attackiert („frisches junges Blut“, „dieses unverbrauchte, zudem weibliche Gesicht“). Nicht ihre Partei, sondern der Grüne François Bausch hat sie damals verteidigt. Doch Taina Bofferding setzte sich „trotz ihrer vorsichtigen und zurückhaltenden Art“ durch, wie ihre junge Parteikollegin Liz Braz, Kandidatin bei den Gemeindewahlen in Esch/Alzette, es formuliert. Auch gegen die Widerstände, mit denen sie bei der Umsetzung der Reform der Rettungsdienste zu kämpfen hatte. Ihre Kritiker in diesen Reihen sind heute größtenteils verstummt, was wohl auch daran liegt, dass sie sich beim Hochwasser vom Juli 2021 als Krisenmanagerin halbwegs ordentlich aus der Affäre gezogen hat. Geholfen hat sicherlich, dass sie mit dem früheren LSAP-Gemeinderat Alain Becker den ehemaligen Leiter des Düdelinger Einsatzzentrums zu ihrem Ersten Regierungsrat ernannt hat.

Fassade Am Sonntag hat Taina Bofferding den Informationstag im nationalen Rettungszentrum besucht und die Gelegenheit genutzt, um auf eine 30 Meter hohe Drehleiter zu steigen. Bilder davon hat sie in den sozialen Netzwerken geteilt. Seit Jahren postet sie regelmäßig Fotos von sich auf ihren Facebook- und Instagram-Accounts: davon, was sie tut, wen sie trifft, wie sie sich fühlt, woran sie gerade denkt. Fast alle sind mit kurzen Kommentaren versehen, die meist positive Botschaften und Gefühle zum Ausdruck bringen. Deshalb halten manche Oppositionspolitiker und Parteifreunde sie hinter vorgehaltener Hand für oberflächlich, für reine Fassade, und unterstellen ihr, keine politischen Visionen oder Inhalte zu haben. Was wohl auch damit zu tun hat, dass sie sich in Interviews mit politischen Aussagen zurückhält. Andererseits liegt es vielleicht an ihrem Politikstil: Bevor sie Entscheidungen trifft, holt sie sich die Meinungen von anderen ein. Sie sei sich nicht zu schade, zuzuhören und Ratschläge anzunehmen, sagt ihr Vorgänger Dan Kersch. Das alles hat sie mit Vizepremierministerin Paulette Lenert gemeinsam. Und zum Teil auch mit Arbeitsminister Georges Engel – selbst wenn die beiden auf Facebook nicht ganz so beliebt sind und nicht unbedingt als Fashionistas gelten.

Innerhalb der LSAP könne Taina Bofferding künftig eine wichtige Rolle einnehmen, meint Max Leners, Generalsekretär der Fondation Robert Krieps und Mitglied der LSAP-Parteileitung. Er attestiert ihr einen längerfristigen Führungsanspruch. Sie fördere gezielt Frauen, sei Feministin, ohne aber „extremistisch“ zu sein, sagt ihr langjähriger Weggefährte, LSAP-Fraktionspräsident Yves Cruchten. Neben der Stater Ko-Spitzenkandidatin und Präsidentin der Femmes socialistes, Maxime Miltgen, arbeitet auch Nathalie Schmit als Kommunikationsbeauftragte im Innenministerium. Beide sind Mitglied der Parteileitung. Sascha Dahm, der für Kommunikation im Gleichheitsministerium zuständig ist, kandididiert ebenfalls für die LSAP in der Stadt Luxemburg. Taina Bofferding sei immer für sie da, wenn sie sich mal unsicher fühle, sagt Miltgen; Liz Braz sieht in ihr in mancher Hinsicht ein Vorbild. Taina Bofferding betont, dass die LSAP Strukturen brauche, um junge Frauen langfristig an die Partei zu binden, auch wenn sie nicht bei ihrer ersten Kandidatur gewählt werden. Wie diese Strukturen aussehen sollen, sagt sie nicht.

Wenn Paulette Lenert als nationale Spitzenkandidatin Premierministerin wird, wolle sie sie in der Regierung unterstützen, meint Taina Bofferding. Wenn sie sich ausnahmsweise nicht der CSV oder der DP als Junior-Partner beugen müsse, könne die LSAP zeigen, wozu sie fähig sei, hoffen die Sozialisten. Sollte ihr Plan, zum fünften Mal hintereinander in die Regierung zu kommen, nicht aufgehen? Dann kann Taina Bofferding vielleicht endlich die Welt entdecken.

Luc Laboulle
© 2024 d’Lëtzebuerger Land