Die Monarchie muss verkörpert werden, um zu existieren. Wann übernimmt Guillaume?

Perpetuum royale

Der Großherzog und die Großherzogin am Dienstag im Schloss Laeken im Norden Brüssels.
Foto: Sophie Margue
d'Lëtzebuerger Land vom 19.04.2024

Großherzog Henri hielt am Dienstag gemeinsam mit seinem Cousin, dem belgischen König Philippe, eine Himbeertorte in der Hand. Beide pusteten die zwei darauf brennenden Kerzen aus: Am 16. April wurde Henri 69 Jahre alt, der belgische König am Tag davor 64. In der seit Ende 2022 geltenden Verfassung wird der Großherzog als „Symbol der Einheit und Unabhängigkeit der Nation“ bezeichnet. Bereits seit 2008 muss er keine Gesetze mehr billigen. Ein Schritt, den er der Regierung vorgeschlagen habe, nachdem er angekündigt hatte, aus Gewissensgründen dem Euthanasie-Gesetz nicht zuzustimmen, wie Henri in La Libre angab. Was der Großherzog denkt, spielt nun keine Rolle mehr – seine Aufgabe ist es, mit großherzoglicher Hülle präsent zu sein. Ein Grußotto und performative Projektionsfläche zu sein, darauf besteht er. Womöglich deshalb irritierte ein Geburtstagskuchen in seinen Händen: Hinter dem royalen Körper steckt ein Mensch, ein zweiter Körper, den Henri. Anders als seine Institution es vorgibt zu sein, ist er nicht unsterblich – er altert.

„Warum überhaupt werden immer noch Staatsvisiten organisiert?“, fragte Vizepremier Xavier Bettel (DP) laut Tageblatt am Dienstag bei einem Pressebriefing in die Runde. Um sich im RTL-Journal zu antworten: „Eng Staatsvisit ass een Deel fir d’Dier opzemaachen.“ Das sei wichtig, denn man wolle gemeinsame ökonomische Interessen ausloten. 248 luxemburgische und 190 belgische Vertreter nehmen an dem Austausch teil und sollen verschiedene Branchen verkoppeln – Gesundheitstechnologien, Verteidigung, Raumfahrt, Finanzwesen, Tourismus und erneuerbare Energien. Ein Höhepunkt der Reise war am Mittwoch die Vereinbarung für die Entwicklung einer grenzüberschreitenden Wasserstoffinfrastruktur am „Ghent North Sea Port“. „Unserem Tor zur Welt, ohne den Hafen von Mertert brüskieren zu wollen“, wie Außenminister Bettel betonte. Flämische Häfen als verlängerter Arm einer landlocked Nation.

Bevor der Großherzog nach Belgien aufbrach, besuchte ihn ein Journalist von La Libre in Colmar-Berg. Ist er ein glücklicher Mensch, fragte ihn der Belgier. Die Gefühle überwältigten den royalen Körper. Der Journalist kann nicht deuten, was seine Augen ausdrückten: kaschierte Melancholie oder verhaltenes Glück? Der Großherzog erzählte von einer einsamen Kindheit. Erst mit ungefähr zehn Jahren kommt er in Kontakt mit Gleichaltrigen. „Ich wurde in eine Pfadfindergruppe aufgenommen, die speziell für mich zusammengestellt worden war.“ Aber ihm wurde eine Uniform mit Alleinstellungsmerkmal übergezogen: „Eine blaue säkulare Hose und ein khakifarbenes katholisches Hemd. Ich war anders als alle anderen, jeder wusste, wer ich war.“ Heute zieht er einen Helm an, wenn er sich ungestört Menschen nähern will. Dann steigt er auf sein Motorrad und fährt durch Luxemburg, wie er dem Wort vor einem Jahr verriet. „Ich fahre in die Dörfer und Städte des Landes, schaue mir den Zustand der Häuser an, die Arbeiten, die gemacht werden und die, die gemacht werden müssen. Ich kann nur mit niemandem sprechen, sonst würde man mich sofort erkennen.“

Anschließend an Henris Introspektion wollte La Libre wissen, wann er abdanke. Die Großherozogin Charlotte regierte
45 Jahre, Großherzog Jean 35, da sei es vielleicht folgerichtig, dass er 2025 nach 25 Jahren Regentschaft den Stab weiter reiche? Hat er sich auf ein Datum festgelegt?

„Ja...“

„Ah!“

„Aber ich teile ihnen dieses nicht mit!“ Es sei wichtig, jungen Menschen „Perspektiven zu eröffnen“, erläutert er (als sei Prinz Guillaume ein gewöhnlicher Arbeitssuchender). Daraufhin rechnete David Marques vom Quotidien aus, wann genau die Thronübergabe stattfinden könnte. Und kommt zu dem Schluss, dass sie womöglich nicht auf nächstes Jahr festgelegt sei. Denn Henri meinte, seine Enkel seien noch klein und er wolle mit der Thronübergabe warten, bis das erbgroßherzogliche Paar weniger von ihrer Elternrolle eingenommen sei. Prinz François ist erst ein Jahr alt – also scheint 2025 für Henri noch nicht der ideale Zeitpunkt zu sein. Vergangenen Monat bereitete Großherzogin Maria-Teresa ebenfalls das Terrain zur Übergabe vor. In einem Interview mit Gala meinte sie: „Meinem Mann und mir fällt es schwer, einen Erben jahrzehntelang auf sein Schicksal warten zu lassen.“ Zudem hätten sie und ihr Mann „ein Recht darauf, Zeit für uns selbst zu haben“. Gezwungen habe das großherzogliche Paar Guillaume zur Nachfolge seines Vaters nicht. Nach einer längeren Zeit des Zögerns, habe er die Rolle des Erbgroßherzogs schließlich angenommen.

Da das Staatsoberhaupt sich bedeckt hält, versuchte der Quotidien diese Woche das Datum von Xavier Bettel zu erfahren. Doch dieser kennt den Zeitpunkt für die Stabübergabe auch nicht – „der Großherzog entscheidet ohne Einbezug der Regierung über seine Abdankung“. So wie der Vizepremier ihn erlebe, mache er nicht den Eindruck, morgen vom Thron abzurücken. „Er ist voller Energie und Motivation“, urteilte Bettel. Immerhin: Medial wurden die Luxemburger psychosozial bereits auf den Moment der Abdankung eingestimmt. Auch wenn es zu einer überstürzten Übergabe kommen sollte, wird es nicht gänzlich nach einer launischen Entscheidung aussehen.

Das Perpetuum royale muss weiterdrehen, die Illusion der Unsterblichkeit der Monarchie bewahrt bleiben. Der blaublütige Körper muss sichtbar sein, um zu existieren – ob als Henri oder Guillaume. Viele andere Funktionen hat er nicht. Aber das ist zuweilen nicht wenig. Für manche fungiert er mit seiner Anwesenheit als Seelsorger – oder so jedenfalls nimmt sich das großherzogliche Paar selbst wahr: Wenn er auf Menschen zugehe, die „mit Schwierigkeiten kämpfen, Arme oder Behinderte“, dann fühlen „sie sich aufgewertet“, schildert Henri in La Libre. Für die Minister Xavier Bettel, Yuriko Backes (DP), Gilles Roth (CSV) und Lex Delles (DP) wirkte er diese Woche in Belgien als Türöffner. Als Türschlüssel, Projektionsfläche und Händeschüttler fühlt sich der doppelte Henri mit royalem und menschlichem Körper wohl angepasst und entfremdet zugleich. Als jemand der Geburtstag feiert, aber eigentlich zeitlos zu sein hat.

Stéphanie Majerus
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