Leitartikel

Ein bisschen Kredit

d'Lëtzebuerger Land vom 17.08.2018

Vergangenen Freitag zogen Wirtschaftsminister Etienne Schneider und seine Staatssekretärin Francine Closener (beide LSAP) Bilanz über die vergangene Legislaturperiode und stellten fest, es gehe der Luxemburger Wirtschaft deutlich besser als es Big 4 und andere Wirtschaftsexperten vor fünf Jahren noch für möglich gehalten hätten. Mehr und beständiges Wachstum, weniger Arbeitslosigkeit – für diese Entwicklung wollten sie sich ein bisschen Kredit von den Wählern gutschreiben lassen, sie nicht nur auf die Erholung der internationalen Konjunktur zurückführen, sondern auf ihre kluge Wirtschaftspolitik.

Als einen Aspekt dieser Wirtschaftspolitik zitierte die Staatssekretärin die Reform der Unternehmensbeihilfen und lieferte Zahlen: Seit 2014 habe die Regierung 440 Millionen Euro an Investitionsbeihilfen an Unternehmen jeder Größe gezahlt, um ein Investitionsvolumen der Firmen von insgesamt 1,5 Milliarden Euro zu unterstützen.

Das ist eine ansehnliche Summe und sie soll vermitteln, dass das LSAP-geführte Wirtschaftsministerium sich nicht nur für die Interessen der multinationalen Konzerne einsetzt, deren Steuern sie senkt und denen sie Rulings gibt, oder für ausländische Großkonzerne, die sie in nationalen Industriezonen ansiedelt, sondern auch für den Luxemburger Mittelständler.

Um die Stimmen der Luxemburger Mittelständler werben auch andere Parteien in ihren Programmen. Während die LSAP verspricht Beihilfen für KMU von der Steuer zu befreien, will die DP „finanzielle Fördermittel regelmäßig anpassen“, die Grünen wollen „für innovativ und regional ausgerichtete Klein- und Mittelbetriebe ein attraktives wirtschaftliches Umfeld schaffen“, wobei sich die „Wirtschaftsförderung vor allem auf die Sektoren Umwelt- und Energietechnologien, Gesundheits-, Kreativ- und Kommunikations- sowie Stahlverarbeitungstechnologien in der Großregion fokussieren“ soll. Die CSV findet: „Die Klein- und Mittelbetriebe und das Handwerk dürfen nicht stiefmütterlich behandelt werden.“ Und: „Neue Wege zur Förderung der Investitionen sollen beschritten werden.“ Sie stellt nicht direkt in Aussicht, die Beihilfen zu erhöhen, aber verspricht unter anderem eine „immunisation fiscale préalable“ auf geplanten Investitionen einzuführen. Ausgerechnet die Wortwahl der DP ähnelt verdächtig der Wortwahl der Gewerkschaften, wenn sie die Anpassung des Kindergeldes, der Steuertabelle oder des Mindestlohnes fordern. Aber diese regelmäßige Anpassung von Unternehmensbeihilfen stört in liberalen Kreisen offensichtlich weitaus weniger als andere Arten von regelmäßigen Anpassungen.

Zusätzlich zu den 440 Millionen Euro Investitionsbeihilfen hat die staatliche Förderbank SNCI in den Jahren 2014 bis 2017 Beteiligungen an Unternehmen von 214 Mil­lionen Euro genommen – davon gehen 60 Millionen Euro auf die Kapitalerhöhung von Arcelor-Mittal 2016 zurück. Der Staat hat außerdem seine indirekte Beteiligung am Energieversorger Encevo ausgebaut. Die Post ist in dieser Legislaturperiode bei der Banque Raiffeisen eingestiegen. Seither ist der Staat quasi bei allen Banken, die den Heimatmarkt abdecken, direkt oder indirekt beteiligt, und von einem Verkauf dieser Beteiligungen wird schon lange nicht mehr geredet. Ob man angesichts dieser Umstände langsam fragen darf, wie viel Markt in der Wirtschaft noch drin ist? Dabei bleibt der Widerstand gegen diese staatlichen Eingriffe in die Wirtschaft und gegen diese Art der staatlichen Gießkannenpolitik seitens der Arbeitgeber aus. Die Umverteilungsrolle des Staates stellen sie also vor allem dann in Frage, wenn der Staat etwas an die Arbeitnehmer verteilen will, nicht aber, wenn er den Betrieben großzügig Geld zuschießt.

Michèle Sinner
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