Leitartikel

Wahlmonarchie

d'Lëtzebuerger Land vom 15.08.2014

Unter den Fragen, die nächstes Jahr durch ein Referendum entschieden werden sollen, gehört die Beschränkung der Mandatsdauer für Regierungsmitglieder zu den am wenigsten diskutierten. Während des Wahlkampfs war es LSAP-Spitzenkandidat Etienne Schneider auf beispiellose Weise gelungen, seine langjährige Regierungspartei als Oppositionskraft zu verkleiden, indem er die Wähler mit einem bunten Feuerwerk von Reformideen überraschte. Dazu gehörte auch, die Amtszeit von Ministern und Staatssekretären auf zwei Mandate zu beschränken.

Als Begründung für diesen aus heiterem Himmel aufgetauchten Vorschlag führte Schneider an, dass Führungskräfte in der Privatwirtschaft nach zehn Jahren „ihre beste Milch gegeben“ hätten. Deshalb sollten sich auch Minister und Staatssekretäre spätestens nach zehn Jahren eine neue Beschäftigung suchen, und wenn sie es nicht freiwillig tun, soll eben eine Verfassungsbestimmung oder ein Gesetz nachhelfen. Sollte es Wirklichkeit werden, würde ein solches Gesetz vielleicht einmal Lex Boden genannt zu Ehren des christlich-sozialen Agrar-und Erziehungsministers Fernand Boden, der 30 Jahre lang, von 1979 bis 2009, ununterbrochen der Regierung angehörte.

Aber selbstverständlich geht es nicht um Herrn Boden. Eine Mandatsbegrenzung für Regierungsmitglieder zielt vielmehr auf das Herz dessen, was DP, LSAP und Grüne unter dem CSV-Staat verstehen. Dessen Zentralfigur ist nämlich der christlich-soziale Staatsminister, der sich über mehrere Amtszeiten hinweg als Patriarch der Luxemburger Politik etablieren kann. Dadurch übertrifft dieser Großherzog-bis die Konkurrenten anderer Parteien an Popularität, einer angeblich an Altersweisheit grenzenden Erfahrung und an internationalem Ansehen. So dass die Bürger beruhigt schlafen können, während er das Land sicher und hausväterlich regiert und zwecks Demokratie alle fünf Jahre seinen kleinen Koalitionspartner wechselt.

Seit Einführung des allgemeinen Wahlrechts vor einem Jahrhundert gab es zehn Staatsminister. Davon gehörten sieben der Rechtspartei, später CSV an. Pierre Werner, Jean-Claude Juncker, Joseph Bech und Pierre Dupong regierten jeweils vier Mandatsperioden lang, zwischen 16 und 20 Jahre; Jacques Santer brachte es auf drei Mandatsperioden, bis er Kommissionspräsident in Brüssel wurde. Nur Emile Reuter stürzte nach sieben Jahren über eine Eisenbahnkonvention, und Pierre Frieden verstarb nach knapp einjähriger Amtszeit. Die drei Premierminister, die im Laufe des Jahrhunderts nicht der Rechtspartei/CSV angehörten, regierten dagegen alle zusammen bloß sieben Jahre, keiner länger als eine Mandatsperiode.

Das scheint auch den klügsten Köpfen in der ökosozialliberalen Regierung aufgefallen zu sein. Wenn sie sich nicht wieder, wie 1974 bis 1979, mit einem kurzen Zwischenspiel im CSV-Staat zufrieden geben wollen, müssen sie etwas an seinen Strukturen ändern. Und dazu kann eine Beschränkung der Amtszeit auf zwei Mandatsperioden gehören, weil sie die CSV daran hindern würde, über mehrere Mandatsperioden hinweg unverrückbar scheinende Landesväter aufzubauen. Nach jeder zweiten Wahl einen ungewohnten und vielleicht unerfahrenen neuen Spitzenkandidaten in den Wahlkampf zu schicken, wie die anderen Parteien auch, machte die CSV mittelfristig ein Stückchen mehr zu einer Partei wie LSAP und DP, selbst wenn sie mit der kumulierten Unzufriedenheit verschiedener Wählergruppen 2018 die Wahlen gewänne. Kein Wunder, dass die CSV eine Volksbefragung über die Begrenzung der Mandatsdauer von Regierungsmitgliedern für überflüssig hält, weil sie unter Ausnutzung des allgemeinen Misstrauens der Wähler gegenüber Amtsträgern das Ende der christlich-sozialen Wahlmonarchie demokratisch legitimieren würde.

Romain Hilgert
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