Wie ist ein Menschenleben zu quantifizieren? Gibt es ein Zu-Wenig oder ein Zu-Viel oder gibt es eine einfache mathematische Lösung, die das ordnungsgemäße Verfahren in Sachen Schadensersatz im Falle von Menschenverlust regeln kann? Diesen Fragen versucht der amerikanische Film Worth - hence the title - nachzugehen. Vor allem die real existierende Hauptfigur im Mittelpunkt des neuen Films von Kenneth Sara Colangelo muss sich damit auseinandersetzen.
Kenneth Feinberg, Anwalt mit Spezialisierung auf Mediation und alternative Streitbeilegung, übernahm nur wenige Tage nach den Attentaten vom 11. September die Verantwortung des September 11th Victim Compensation Fund, der vom amerikanischen Kongress durchgewinkt wurde. Dass es sich dabei weniger um staatlich geförderte Mitleidsbekundungen handelte, als vielmehr um die Angst der Luftfahrtlobby, die mit einem Sturmgewitter von Anklagen rechnete, war allen Beteiligten soweit klar. Feinberg und das Team seiner Anwaltskanzlei sollten auf Gutdünken ein System ausarbeiten, welches die tausendfachen Fälle von Schadensersatzforderungen abklären würde. Seine ausgearbeitete Formel, die bei allem Wunsch nach Gleichberechtigung im Angesicht der Tragödie die Großverdiener und CEOs des World Trade Centers besser ausbezahlte als Putzleute und ErsthelferInnen, traf jedenfalls nur bedingt auf offene Ohren. Und ausbezahlt wurde nur, wenn wenigstens 4/5 der Beteiligten unterschreiben würden.
Worth hatte schon letztes Jahr seine Premiere beim Sundance-Festival, aber dank der Pandemie wurde die grossflächige Filmveröffentlichung auf das 20-jährige Jubiläum zwangsverlegt. Seither fristet der Spielfilm ein trauriges Schattendasein auf Netflix. Ausser hierzulande, wo er seinen Weg auf die grosse Leinwand finden durfte.
Es wäre zu einfach, den Film mit einer latenten kontinentaleuropäischen Überheblichkeit abzustempeln. Und auch wenn Worth filmtechnisch nichts weiter Interessantes hergibt, so ist der Film alleine durch sein Dasein von Interesse. Und reiht sich ein in einen Versuch einer nationalen Wundheilung und Katharsis. Denn auch das amerikanische Kino versuchte auf seine Art und Weise die Anschläge zu verarbeiten. Von Spielbergs War of the Worlds, der die allemal von 9/11 geschürten Angstzustände in der amerikanischen Gesellschaft aufgreift, über die kitschigen Melodramen, wie zum Beispiel die Jonathan Safran Filmadaptation von Extremely Loud & Incredibly Close, zu den defätistischen zynischen Filmpamphleten, die etwa das konsequente institutionelle Versagen in den Mittelpunkt stellen, wie zum Beispiel. Syriana, The Report und natürlich Spotlight - durch diese Filme ziehen sich die klassischen Etappen der Trauerbewältigung wie ein roter Faden.
Der Oscar-prämierte Spotlight von Tom McCarthy (dessen neuer Film Stillwater gerade in den Kinos zu sehen ist) kann auch auf einem weitaus offensichtlicheren Plan hinzugezogen werden. Michael Keaton ist in beiden Besetzungen wiederzufinden. Keaton personifiziert seinen Feinberg, auf dessen Memoiren sich der Film basiert, mit einem subtilen Bostoner Akzent, der hier und da den Geist von Bernie Sanders aufleben lässt und ohne die üblichen Manierismen, die man über die Jahrzehnte von Keaton gewohnt ist – vor allem seine Ganzkörpernervosität und sein breites, zähneüberflutetes Grinsen. Keatons Feinberg trifft man ihn einem Film wieder, der zu Beginn den Anschein eines klassischen procedural drama gibt, mit seiner Aneinanderreihung von Dialogszenen in neutralen Büroräumen, in denen das Unterfangen ausdiskutiert wird, um sich irgendwann zu einem – wenn auch etwas seichten – Psychogramm um seine Person zu verwandeln. Es sind aber genau diese Neutralität der gefilmten Bürogeografie und die fast schon beobachtende Natur des Protagonisten Feinberg, die Platz machen für die Geschichten der hinterlassenen Familien und ihre verstorbenen Verwandten. Diese Einsicht entschuldigt auch die dramaturgisch etwas schwerfällige Entscheidung, verschiedene Geschichten hervorzuheben zum Beispiel die von einem Hinterbliebenen, der aus dem Raster fällt, weil die homphobe Familie des Verstorbenen ihn nicht als Lebenspartner anerkennt, oder die einer Arbeitermutter, die nichts von der Parallelfamilie ihres Mannes weiß. Das Prozedurale macht schlussendlich doch dem Menschlichen Platz und deckt über zwei Ecken auf, dass die amerikanische Toleranz gegenüber einem Sozialstaat schnell an seine Grenzen stößt. Das Narrativ des Individuums bleibt on top. Und will auch als solches behandelt werden, Gleichberechtigung hin oder her. Soviel zur kontinentaleuropäischen Überheblichkeit.