Ein Mikrofon in einer Blutlache. Ein Scheck mit einer sehr langen Zahl. Skandal am Stausee. Bedrohung bei strahlendem Sonnenschein. So viel gibt der Trailer zu Stëmm vu Lëtzebuerg her. Sommer, Sonnenbrille und das RTL-Rot in jeder Einstellung machen klar: Es wird gewohnt satirisch.
Kaum ist das Theaterstück Ween stoppt RTL? verdaut, lädt das Kunstkollektiv Richtung22 wieder in den Saal. Theaterstück und Film sind Teil einer Serie mit dem Titel „D’Enn vun RTL“. Ein weiterer Teil davon ist RTL1 – ein Online-Magazin, in dem das Kunstkollektiv Artikel im Stil der Blaulicht- und Boulevardpresse veröffentlicht und die Arbeitsweise von RTL anprangert. Auch der Film soll zeigen, „was RTL alles anrichten kann, wenn sie über etwas berichten“, sagt Tessy, die als Kamerafrau daran mitgearbeitet hat. Eine schludrige Arbeitsweise, mangelnder Faktencheck, intransparente Quellen und mangelnde journalistische Ethik – all das werfen die Künstler den RTL-Journalisten vor – zusätzlich zu der Kritik, die der Konzern beim Theaterstück abbekam.
„D’Enn vun RTL“ ist für Richtung22 das größte Projekt seit Esch2022. „Hier geht es darum, ein korruptes System anzuprangern“, sagt der EU-Beamte im Theaterstück. Die Künstler wollen die Situation von RTL in den öffentlichen Diskurs bringen. Doch es geht noch weiter: „Das Ziel ist, RTL zu stürzen“, stellt Nicole Morue (Pseudonym) klar. Nicole war an den Recherchen für das Projekt beteiligt und ist Teil des Teams von RTL1. Statt ein privates Medienunternehmen so stark zu subventionieren, soll ein öffentlich-rechtlicher Sender in Luxemburg gegründet werden. So die finale Erleuchtung, die Theaterstück als Lösung darstellt, so das Ziel von Richtung22.
Mit seiner konfrontativen Arbeit macht Richtung22 sich viele Feinde. Vor RTL und seinen Unterstützern war die Escher Kulturpolitik Hauptgegner. Richtung22 hat sich als harschester Kritiker im Kulturhauptstadtjahr hervorgetan, die Nachwehen kamen noch im letzten Jahr: Richtung22 drohte der Rauswurf aus dem Tiers-lieu culturel Bâtiment4, dem Kunstkollektiv zufolge, weil sie zu unbequem sind. Auch einige andere Künstler mussten Projekten der kommunalen Kulturplanung weichen. Von städtischer Seite sind keine Details bekannt. Der Streit ist zunächst in einer Ruhephase, das dauerhafte Bleiberecht für Richtung22 jedoch keineswegs gesichert. Auch „D’Enn vun RTL“ ist konfrontativ, auch mit diesem Großprojekt werden Gefühle verletzt. Die Reaktionen von RTL waren bisher nur persönlich, das Unternehmen hat kein offizielles Statement herausgegeben.
Die Kritik, die Richtung22 äußert, wird inzwischen ernster genommen. Der Streit mit der Stadt Esch hat Richtung22 ins Licht gerückt, durch Esch22 hat sich das Kollektiv weiter professionalisiert. Richtung22 wurde 2009 als Studierendenorganisation gegründet, einige der Gründungsmitglieder sind noch heute dabei. Gut zehn Jahre lang finanzierte sich das Kollektiv aus privaten Spenden und gelegentlichen Projektbudgets. Seit Esch2022 ist der Grundbetrieb des Kollektivs durch eine Konvention mit dem Kulturministerium gesichert. Auch die Gemeinde Esch hat nach dem Kulturhauptstadtjahr und einigem Streit eine Anschlussförderung gewährt. Gleichzeitig ist das Kollektiv gewachsen: 15 bis 20 ständige Mitglieder zählt die Gruppe, doch je nach Projekt kommen bis zu 50 Leute zusammen, die gemeinsam an Aktionen arbeiten. Nicht alle sind dauerhaft aktive Mitglieder, viele leben im Ausland, haben andere Projekte. Doch alle identifizieren sich mit den politischen Zielen der Gruppe, das ist Voraussetzung. Noch immer sind einige Studierende Teil von Richtung22. Vieles läuft weiterhin online, auch wenn das Bâtiment4 die Gruppe in Esch verankert. Planungstreffen per Videoanruf ermöglichen ortsunabhängiges Arbeiten. Die Mitglieder von Richtung22 verzichten weiterhin wo möglich auf Nachnamen oder nutzen Pseudonyme. Nicole und Tessy wäre es am liebsten, gar nicht namentlich aufzutauchen. In der Regel versucht das Kollektiv, mit einer Stimme zu sprechen, ohne dass einzelne Personen als Stimme oder Gesicht des Kollektivs hervortreten, denn es geht um die gemeinsame Arbeit des Kollektivs. Am Film haben mehr als 40 Menschen mitgearbeitet.
Ab Mai kommt der Film in die Luxemburger Regionalkinos. Noch aus den Anfangstagen des Studierendenkollektivs hat Richtung22 gute Kontakte zu einigen Regionalkinos, besonders dem Ciné Sura in Echternach und dem Ciné Le Paris in Bettemburg. Dort stoßen die Künstler immer auf offene Arme. Etwas mehr Zurückhaltung erfahren sie in den Theatern. Einige arbeiteten nur zögerlich mit Richtung22 zusammen, aus Angst, es sich mit anderen zu verscherzen, sagt Nicole. „Wir sind unbequem, aber unbequem zu sein, muss doch das Ziel sein von Theater.“ Ob Kulturpolitik, Medienpolitik oder Konzerne, Richtung22 eckt an und schafft Gegner. Doch erhalten sie weniger negative Reaktionen, als man denken könnte. „Wir kriegen genug positives, dankbares Feedback, das ist sehr ermutigend. Viele sind froh, dass es jemand macht“, sagt Nicole in Bezug auf die RTL-Recherche. „Und selbst die Hassmails sind gut. Es ist schön zu wissen, dass es die Leute berührt. Auch Wut ist als erste Reaktion in Ordnung.“ Tessy stimmt ihr zu. Sie sagt: „Das Feedback, das ich über RTL bekommen habe, war sehr positiv. Wir haben da einen Nerv getroffen. Kritik an RTL gab es bisher nicht, weil es nur RTL gibt.“
Um dieses Monopol und die Macht, die RTL für die öffentliche Meinungsbildung hat, geht es auch im Film. „Es geht um die Arbeitsweise und was die bewirkt. Er zeigt, zu was für einer Verzerrung von Fakten so eine Berichterstattung beitragen kann, und zu was für Klischeevorstellungen auch, die immer weiter reproduziert werden“, sagt Nicole. Tessy prangert auch die Selbstverständlichkeit an, mit der die RTL-Reporter meinen, sie hätten Vorrecht, weil sei für RTL arbeiten. „Wenn wir als RTl1 unterwegs waren, haben wir auch oft gesehen, dass die Leute uns anders behandeln“, sagt Tessy. Der Film soll die problematische Rolle verständlich machen, die RTL hat. Auch das Theaterstück hat dieses Ziel, doch wo das Stück mehr auf Recherche basiert, spiele der Film stärker mit der Stimmung, erklärt Nicole. „Das Ziel ist, es den Menschen auf diese Art zugänglicher zu machen als über einen langen Artikel. Das ist generell unser Zugang zu Kunst, wir wollen sie zugänglich machen.“
Noch ist der Umsturz nicht gelungen. „Dazu brauchen wir auf jeden Fall die Öffentlichkeit“, sagt Nicole. Noch ist das Projekt aber auch nicht vorbei. Der Film ist nicht der letzte Streich der RTL-Reihe: Es geht erst los.