Die vergangene Kinowoche stand ganz im Zeichen des Lëtzebuerger Filmpräis. Die Gelegenheit, das luxemburgische Filmwesen der letzten zwei Jahre in all seinen Ausführungen Revue passieren und feiern zu lassen. Ob kurz oder abendfüllend lang, animiert oder dokumentarisch, oder einfach nur koproduziert – der Cru war dieses Mal gar nicht mal so schlecht. Das werden sich sogar die ewigen Kulturpessimisten eingestehen müssen. Aber keine Sorge, zu fanatischen Befürwortern der (Proto-Nation-Branding) Films Made in Luxembourg, die alles wohlwollend aufnehmen, was den Film-Fund-Luxembourg-Stempel aufgedrückt bekommt, werden sie sicherlich nicht. Nicht, wenn nur wenige Tage vor dem Filmpräis mit Complètement cramé! die wahrscheinlich schwächste Koproduktion der letzten Jahre das Licht der landesweiten Kinoleinwände erblickt.
Seit dem Tod seiner Ehefrau ist Andrew Blake nicht mehr der gleiche. Auch noch mehrere Monate später trauert er und lebt zurückgezogen. Eine Veranstaltung zu seiner beruflichen Ehre meidet er auf Teufel komm raus. Er flüchtet von London in die französische Provinz, wo er einst seiner verstorbenen Frau begegnet ist. Seine Reise in die Vergangenheit nimmt jedoch nicht die Form an, die Blake sich vorgestellt hatte. Einmal im schlossähnlichen Landgut angekommen, stellt sich heraus, dass er, wenn er bleiben möchte, den Butler in Probe geben muss. Sehr schnell leuchtet Blake ein, dass nicht nur er, sondern sämtliche Figuren irgendwie am Ende ihrer Kräfte angelangt sind – sei es die Gutsbesitzerin Madame Beauvillier, die alle Hände voll damit zu tun hat, nach dem Tod ihres Mannes das Gut finanziell über Wasser zu halten; sei es die feiste Köchin Odile, Gutsverwalter und Hobbyeremit Philippe oder die junge Haushälterin Manon.
Als vor einigen Monaten das Poster für Complètement cramé! veröffentlicht wurde, schien es, als ob es eine Fotomontage, ein bizarr geschmackloses Hirngespinst eines cinephilen Graphikers oder vielleicht sogar ein von AI generiertes Visuell wäre. John Malkovich am Fuß einer Treppe mit blauem Sakko, vor allem aber mit einem Tablett in der Hand, auf dem eine Katze mit klassischem resting cat face und grünem Partyhut auf dem Kopf sitzt. Hinter Malkovich und seiner Katze stehen auf einer Treppe unter anderem Fanny Ardant und Emilie Dequenne und mittendrin sitzt sogar Eugénie Anselin auf einer Stufe. Sie alle blicken aus dem Poster auf den verdutzten Zuschauer heraus. Sind die Blicke etwa versteckte Hilferufe?
Truffaut und Resnais bei Ardant und eine jahrzehntelange Karriere in Hollywood für Malkovich. Und jetzt Complètement cramé! von Gilles Legardinier für sie beide und alle Beteiligten. Es mag wie ein Samstagnachmittag-Fernsehfilm aussehen und wie ein Samstagnachmittag-Fernsehfilm klingen, aber lassen Sie sich davon nicht täuschen. Es ist wirklich ein Samstagnachmittag-Fernsehfilm. Eigentlich spricht ja nichts gegen eine locker leichte Komödie. Aber ohne eine ordentliche Portion Charme, die einen über so manch einen Mangel hinwegsehen lässt, geht nicht sehr viel. Der Charme in Complètement cramé! ist aber sehr gut versteckt. Wer ihn jemals finden sollte, findet dort vielleicht auch den Sinn für komödiantischen Rhythmus, Schauspielführung und dramaturgische Konstruktion. Autor Gilles Legardinier verfilmt in seiner ersten Regiearbeit seinen eigenen, vor mehr als zehn Jahren erschienenen Roman. Eigenen Aussagen zufolge ist der Spielfilm aber keine wirkliche Umsetzung seines Bestsellers. Literatur, so Legardinier, sei eine Innerlichkeit im Alltag der Leser/innen. Der Film wirft deswegen jeden Ansatz von Innerlichkeit (und Humor) über Bord und lässt die allerletzten Überreste von John Malkovichs Versuchen, französisch zu spielen, im Keim ersticken. Wer bei dieser Produktion dachte, es wäre eine gute Idee, den Amerikaner als französisch sprechenden Briten auftreten zu lassen, wird wohl für immer ein Mysterium bleiben. Ein ähnliches Mysterium, wie jenes, wie es möglich ist, dass sich Bidibul Productions auf so ein Projekt eingelassen hat. Der von ihnen koproduzierte Le Petit Nicolas - Qu’est-ce qu’on attend pour être heureux? war nicht nur beim diesjährigen Filmpräis nominiert, sondern war auch einer der tollsten Filme des Jahres. Complètement cramé! hingegen erinnert an Zeiten, die der Film-Standort Luxemburg mit seiner heute regelmäßigen Präsenz bei den großen Festivals am liebsten vergessen würde. Ob jetzt Complètement cramé! aber wenigstens einen Sendetermin im Wochenend-Fernsehprogramm ergattert – auch das bleibt am Ende fraglich.