Deutschland

Eine Art des Denkens

d'Lëtzebuerger Land vom 27.11.2020

Rechtspopulisten und Nationalisten aller Länder haben es schwer in diesen Tagen. Donald Trump muss aus dem Weißen Haus ausziehen. Boris Johnson steht in London mit dem Rücken zur Wand aufgrund seines schlechten Krisenmanagements in der Covid-Pandemie. Und auch in Berlin wird offensichtlich, dass die Rechtsaußen-Partei Alternative für Deutschland den Bogen überspannt hat, als sie vergangene Woche Corona-Gegner ins Reichstagsgebäude einlud und deren Auftreten keine Grenzen setzte. Dabei sollte mit dieser Ak-
tion der Schulterschluss zwischen Corona-Protestlern und Rechtspopulisten besiegelt werden.

Dies ist jedenfalls der Wunsch der Verantwortlichen in der AfD. Sie wollen das politische Sprachrohr des Corona-Protests und der selbsternannten „Querdenker“ werden, um sich so neue Wähler zu erschließen und neue Themen zu besetzen. Dazu glaubte man sich bei den „Querdenkern“ bedienen zu können. Dies ist eine Sammelbeckenbewegung von Verschwörungstheoretikern, Rechtsextremisten, Reichs- und „Wutbürgern“, die auf der Corona-Leugnung als kleinstem gemeinsamen Nenner zusammenfand.

Doch die gewünschte Einverleibung ist den Rechtsaußen nicht gelungen. Keine Instrumentalisierung der Proteste, keine politische Brandbeschleunigung wie in Zeiten der Flüchtlingskrise vor fünf Jahren, keine Übernahme und Monopolisierung des Themas für die eigene politische Agenda. Dabei stehen die Vorzeichen gut, wenn nicht sogar brillant: Jede schlecht kommunizierte Maßnahme der Bundesregierung, jede weitere Einschränkung des Alltagslebens, jedwede Ankündigung eines Lockdowns hätte Wasser auf die Mühlen der AfD sein müssen, wenn deren Nimbus als Hausmacht der Modernisierungsverlierer, Politikenttäuschten und auch Corona-Gegnern noch intakt wäre. Doch dem ist nicht mehr so, wie Meinungsumfragen zeigen. Wäre am kommenden Sonntag Bundestagswahl käme die Partei auf nicht einmal zehn Prozent. Ein Minus von rund drei Prozent gegenüber der Wahl 2017.

Für dieses taktische Scheitern der AfD gibt es mehrere Gründe: Zum einen versuchte die AfD zu Beginn der Pandemie, die Bundesregierung vor sich herzutreiben. Alice Weidel, Fraktionsvorsitzende der rechtsradikalen Partei im Bundestag, forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel vehement dazu auf, Maßnahmen zum Schutze der Bevölkerung durchzusetzen. Das im Laufe der Covid-Pandemie erfolgte Umschwenken auf die Argumentation der Corona-Leugner wird von diesen nicht als glaubhaft angesehen. Die von der AfD allzeit postulierte „Wut“ auf „die da oben“, sei es ein übergriffiger Staat oder Eliten des Establishments, funktioniert zum anderen nicht in Zeiten, wenn Bürger/innen von Kurzarbeitergeld und einem funktionierenden Gesundheitssystem profitieren – und profitieren wollen. Die Corona-Pandemie offenbart den manifesten Unterschied zwischen einem starken Staat und einem starken Mann.

Doch bei den Demos der „Querdenker“ sind mit Neonazis und Hooligans die Hardliner inzwischen gefragter, denn Abgeordnete der AfD, die – aus Sicht der „Querdenker“ – längst selbst zum Establishment gehört. Skandale um Wahlkampfspenden des Spitzenpersonals oder den rechtsextremistischen Flügel der Partei zahlten auf diese Wahrnehmung ein. Die Pöbeleien im Reichstagsgebäude vergangene Woche machen hingegen deutlich, dass sich die „Querdenker“ längst der AfD bedienen. Denn diese brauchen unbedingt eine kritische Maße an Menschen und eine effiziente Kommunikation, um überhaupt Gehör zu finden.

Und die „Querdenker“ haben von der AfD gelernt, wie man Aufmerksamkeit generiert: Auch sie verfolgen die Strategie des kalkulierten Tabubruchs, den die AfD wie keine andere beherrscht. Erst folgt die Provokation, später das Beschwichtigen, dann das Zurückrudern und schließlich die vermeintliche Richtigstellung. Bilder dazu werden für die Sozialen Medien vorbereitet und schnellstmöglich verbreitet. Wenn dann Journalisten darüber berichten und Politiker/innen sich darüber empören, glauben die Anhänger von „Querdenken“ oder AfD, dass ihre Meinungsvertreter sich einmal mehr getraut hätten, Widerstand zu leisten oder den Finger in die Wunde zu legen. Jüngstes Beispiel dafür ist „Querdenkerin“ Jana aus Kassel, die sich auf einer Anti-Corona-Demo in Hannover mit Sophie Scholl, deutsche Widerstandskämpferin während der NS-Diktatur, verglich: „Ich fühle mich wie Sophie Scholl, da ich seit Monaten aktiv im Widerstand bin, Reden halte, auf Demos gehe, Flyer verteile und auch seit gestern Versammlungen anmelde.“ In Karlsruhe verglich sich eine Elfjährige, sie habe sich bei ihrer Geburtstagsfeier gefühlt, „wie bei Anne Frank im Hinterhaus“. Die Tabubrüche sind dabei gut gesetzt, die entsprechenden Berichte schnell im Internet geteilt, jedoch die Beschwichtigung und das Zurückrudern bleiben aus.

Martin Theobald
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