Leitartikel

Good cop, bad cop

d'Lëtzebuerger Land du 27.10.2017

Von morgens bis spätnachmittags dauerten gestern in der Abgeordnetenkammer die Hearings zur Rifkin-Strategie, die Luxemburg für die „dritte Industrielle Revolution“ vorbereiten soll. In den Anhörungen sollten die Abgeordneten sich von der Zivilgesellschaft Anregungen holen. Denn am 16. November findet eine große Rifkin-Konsulta­tionsdebatte statt, und der Zweck von Konsultationsdebatten ist, dass dort die Regierung sich Anregungen von den Abgeordneten holt.

Dass die Regierung ein Jahr vor den nächsten Wahlen noch viel unternimmt, ist allerdings nicht sehr wahrscheinlich. Dass die Abgeordneten ihr in drei Wochen viel werden raten können, ebenfalls nicht. Denn natürlich ist die Frage, wie Luxemburg auf die „Digitalisierung“ auszurichten sei, brisant und hochpolitisch. Sie ist es weniger, wenn es um die Nutzung der neuen Technologien im Energiebereich geht, im Transport, beim „smarten“ Bauen oder in der Landwirtschaft. Geht es dagegen um ein „neues Wachstumsmodell“ für das Land, die Zukunft der Arbeit und des Sozialschutzes, ist das anders. Bezeichnenderweise blieben gestern Morgen die Vertreter der Unternehmerverbände und von Handels- und Handwerkskammer mit den Abgeordneten unter sich, als „Wirtschaft“ auf der Tagesordnung stand, und als anschließend über „Arbeit und Soziales“ diskutiert wurde, hatten die drei großen Gewerkschaften, die Salariatskammer und die Caritas ihre zwei Stunden und kein Patron saß im Saal. Dabei wurde beide Male über durch Robotisierung eventuell wegfallende Jobs gesprochen, über Datenschutz, Aus- und Weiterbildung, über Steuern, die Sozialkassen und das Arbeitsrecht. Nur die wackere Blanche Weber vom Mouvement écologique wagte den Gang über die Grenzen und erklärte, „Fragen von Gerechtigkeit und Umverteilung“ fände sie noch interessanter als die „eher technischen“ um neue Energienetze oder fahrerlose Autos.

Wie sich zeigte, weiß die Unternehmerseite ziemlich genau, was sie vom Rifkin-Prozess erwartet: Dass eine Regierung nicht nur für Aus- und Weiterbildung im großen Stil sorgt, sondern auch das Arbeitsrecht flexibilisiert, eine weitere Rentenreform startet und den Leute klarmacht, dass es keine Produktivitätsgewinne zu verteilen gibt – jedenfalls noch nicht, denn in Luxemburg stagniere die Produktivität seit 2005. UEL-Direktor Jean-­Jacques Rommes schlüpfte in die Rolle des bad cop, deutete das Ende der traditionellen Sozialkassen an und entwarf die Vision von „Projektarbeitern“ statt in Dauerverträgen Beschäftigten. Während Fedil-Direktor René Winkin als der good cop das anschließend transzendierte, aber für ziemlich unausweichlich erklärte, denn die Entwicklung finde ohnehin und überall statt. Zwei Stunden später verteidigten OGBL, LCGB und Salariats­kammer dann die sozialen Errungenschaften, den arbeitsrechtlichen Grundsatz, dass die Arbeit dem Beschäftigten anzupassen sei und nicht umgekehrt, und erklärten, der Behauptung von der stagnierenden Produktivität hätten sie eine Menge entgegenzusetzen. Irgendwann fiel auch der Begriff „Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich“.

Die Rifkin-Debatte am 16. November wird vielleicht noch nicht erkennen lassen, welche Partei nächstes Jahr welche Haltung zur Digitalisierung und der Zukunft der Arbeit einnimmt. Dass der Unternehmerseite daran liegt, ihre Agenda in den Wahlkampf zu tragen, war gestern aber unübersehrbar. Der UEL-Direktor nannte „Rifkin unsere Exit-Strategie aus dem ständigen Wachstum“ und der „Aussicht auf den 1,2-Millionen-Einwohnerstaat“. Doch ob womöglich die CSV so weit geht, sich eine weitere Pensionsreform und eine Flexibilisierung des Arbeitsrechts ins Wahlprogramm zu schreiben, bleibt abzuwarten. Auch der Wirtschaftsminister vermied, wie manche Beteiligten an den Rifkin-Arbeitsgruppen klagten, politische Grundsatzdebatten bisher. Selbst drei Seiten zum Thema Datenschutz gelangten in den Bericht des Steering committee, ohne diskutiert worden zu sein.

Peter Feist
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