Den Gewerkschaften könnte am Ende der Wahlkampf dabei behilflich sein, der Direktion von Luxtram weitere Zugeständnisse zum Kollektivvertrag abzuringen

Die „öffentliche“ Firma

Transportminister François Bausch und Bürgermeisterin Lydie Polfer begegnen bei der Einweihung eines neuen Abschnitts der Luxemb
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 03.08.2018

Am Freitagvormittag vergangener Woche war in Limpertsberg großer Bahnhof für die Tram. Das neue Teilstück zwischen Roter Brücke und Stäreplaz wurde eingeweiht. Aber als sich gegen Viertel nach zehn Transportminister François Bausch (Grüne) und Hauptstadtbürgermeisterin Lydie Polfer (DP) mit einem Tross aus Ministern, Abgeordneten, Schöffen und Gemeinderäten in einer Sonder-Tram dem Glacis näherten, um dort feierlich das Bändchen zu durchtrennen, wurden sie von an die hundert Protestierenden von OGBL und FNCTTFEL-Landesverband mit Plakaten und einem gellenden Trillerpfeifenkonzert empfangen. Straßenbahnbetreiber Luxtram habe „Sozialdumping“ im Sinn, Staat und Hauptstadt ließen das zu. Dabei seien sie, Ersterer zu 70 Prozent, Letztere zu 30 Prozent, die einzigen Aktionäre in der „öffentlichen“ Betreibergesellschaft.

Seit Herbst 2017 verhandeln OGBL und Landesverband mit der Luxtram-Direktion um einen Kollektivvertrag für den Straßenbahnbetrieb mit seinen zurzeit 90 Mitarbeitern. Am 1. Januar 2015 war aus dem von Staat und Hauptstadt gegründeten Groupement d’intérêt économique eine Aktiengesellschaft geworden, die für den Bau des Tram-Netzes und den Zugbetrieb zuständig sein sollte. Ihr Generaldirektor André von der Marck sagt: „Wir sind eine Gesellschaft privaten Rechts, keine öffentliche Verwaltung.“ Für Landesverband und OGBL dagegen war schon vor drei Jahren ausgemacht, dass Luxtram nicht einfach wie eine Privatfirma aufzufassen sei. Das OGBL-Syndikat öffentliche Dienste stellte die Forderung nach sechs Wochen Urlaub in den Raum. Der damalige FNCTTFEL-Präsident Jean-Claude Thümmel nannte sie „sehr interessant“. Der gewerkschaftsnahe Quotidien schrieb am 9. Juli 2015: „Luxtram est prévenu!“

Weil die Gewerkschaften, vor allem der im Schienentransport tonangebende Landesverband, es lieber gesehen hätten, der Tram-Betrieb wäre den CFL oder dem Hauptstadt-Busbetrieb AVL angegliedert worden, sind ihre Forderungen an die Aktiengesellschaft, die eine öffentliche Transportdienstleistung erbringt und die Staat und Gemeinde tragen, entsprechend hoch: „Es muss eine Konvergenz in Richtung CFL, AVL und öffentlicher Dienst geben, alles andere ist nicht akzeptabel“, sagt Christian Sikorski, OGBL-Zentralsekretär des Syndikats öffentliche Dienste. Luxtram-Chef von der Marck hält dagegen, die politische Entscheidung, ein Privatunternehmen zu gründen, sei mit dem Beschluss verbunden gewesen, „den Tram-Betrieb in-house in Luxemburg durch uns erledigen zu lassen und uns nicht in Konkurrenz zu setzen“. Zwar ist kein Konkurrent in Sicht, aber daraus folge, „dass wir keine Kostenstruktur haben können, die wesentlich anders ist als die von Tram-Betrieben in den Nachbarländern“.

Dass ein öffentlicher Tram-Betreiber zu teuer sei, hatte kein Politiker sich öffentlich zu sagen getraut, als die Bildung einer SA sich 2014 anbahnte, doch der Schluss liegt natürlich nahe. Das Gehalt der Tram-Fahrer variiert zurzeit in zwei Graden (2a und 2b). Jeder Grad enthält 42 Stufen, nach jedem Dienstjahr wird eine höhere Stufe erreicht. Das Bruttogehalt bewegt sich zwischen 2 409 Euro im Grad 2a, Stufe null und 3 028 Euro im Grad 2b, Stufe 42. Neu eingestellte Fahrer beginnen im Grad 2a, die Stufe hängt vom Berufsalter ab. Neben dem automatischen Weiterrücken um eine Stufe von Jahr zu Jahr kann es Leistungszuschläge geben.

So hält es das Règlement interne bei Luxtram fest, in dem in Ermangelung eines Kollektivvertrags festgeschrieben wurde, was festzuschreiben war, von den Laufbahnen und Gehältern über Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen bis hin zur Weiterbildung. „Das Règlement wurde so aufgestellt, dass es leicht in einen Kollektivvertrag umformuliert werden kann“, sagt André von der Marck. Die Gewerkschaften erinnern sich, dass der Luxtram-Chef beim ersten Treffen zum Kollektivvertrag erklärt habe, um über viel mehr als in dem Règlement steht, zu verhandeln, habe er „kein Mandat“. André von der Marck widerspricht: „Ich hatte immer ein Verhandlungsmandat meines Verwaltungsrats.“ FNCTTFEL-Präsident Georges Merenz hält dagegen, der Generaldirektor habe erst beim zweiten Treffen gesagt, über ein Mandat zu verfügen, „und zum dritten Treffen erschien er mit seinem Anwalt. Das ist für Kollektivvertragsverhandlungen schon sehr ungewöhnlich“.

Mit Staat und Stad im Aktionariat und neben Lydie Polfer Beamten des Nachhaltigkeits- und Infrastrukturministeriums im Verwaltungsrat, haben die Auseinandersetzungen rasch eine politische Note – Privatgesellschaft hin oder her. François Bauschs Sprecherin weist Nachfragen zum „Mandat“ des Luxtram-Chefs und wie es sich entwickelt habe, ab: Darauf könne der Generaldirektor selber antworten. Vielleicht aber hat sich schon ausgewirkt, dass OGBL und Landesverband Ende März an die Öffentlichkeit gegangen waren und gesagt hatten, Luxtram riskiere, „sozial zu entgleisen“. Thema waren damals vor allem die Arbeitsbedingungen der Straßenbahnfahrer: 13 Stunden Gesamtschichtdauer würden zurzeit für sie gelten und sollten es auch laut Kollektivertrag, ginge wenn es nach der Direktion. Das sei nicht hinnehmbar, bei CFL und AVL seien es nur zehn Stunden.

13 Stunden Gesamtschichtdauer bedeutet nicht, dass ein Tram-Fahrer solange nonstop in seinem Cockpit zubringt. Höchstens können das zehn Stunden sein, so will es das Arbeitsrecht. Die hohe Gesamtschichtdauer garantiert Flexibilität für den Fall der Fälle. André von der Marck erläutert: „Grundprinzip ist für uns der Acht-Stunden-Tag, auch für die Fahrer.“ Typisch sei ein Arbeitstag von acht Stunden und 45 Minuten, die Dreiviertelstunde sei eine bezahlte Unterbrechung zwischen zwei Fahrtblöcken. „Quasi alle Fahrer arbeiten so gut wie immer so, und in mehr als 95 Prozent der Fälle liegt die Gesamtschichtdauer unter zehn Stunden.“

„Nur manchmal“ erfordere der Betrieb aus organisatorischen Gründen mehr. Dann gebe es Prämien: für elf Stunden Gesamtschichchtdauer 50 Euro für den betreffenden Tag, 75 Euro für zwölf Stunden und 100 Euro, wenn tatsächlich das Maximum von 13 Stunden erforderlich wird. „Aber dann gibt es bis zu fünf Stunden Unterbrechung.“ Während Unterbrechungen könne der Fahrer tun, was er will, müsse nicht etwa im Betrieb bleiben. „Ein bis zwei Mal pro Monat“ komme es vor, dass ein Fahrer die typischen acht Stunden und 45 Minuten überschreite. Die dann gezahlte Prämie nähmen die Fahrer gerne.

Für den Landesverband ist das auch als Ausnahme „unverantwortlich“. Da würden bei kleinen Gehältern Prämien für Flexibilität gezahlt, „die auf Kosten der Sicherheit geht“, sagt Georges Merenz. Zwar sind 13 Stunden Gesamtschichtdauer gesetzeskonform. Dass es in den privaten Busfirmen bis zu
15 Stunden sein können, ist es auch. „Aber wieso will man gerade so gesetzeskonform sein, wenn die Ausnahmen sowieso nur selten genutzt werden?“ Im Extremfall könne ein Fahrer einen Arbeitstag mit 13 Stunden Gesamtschichtdauer haben, dann elf Stunden Ruhezeit, wie das im Gesetz steht, und anschließend erneut 13 Stunden Gesamtschichtdauer. „Jeweils fünf Stunden Unterbrechung sind nicht viel“, sagt Georges Merenz. Allenfalls wer in der Hauptstadt und im Umland wohne, könne in der Zeit nachhause fahren. Schon für Ettelbrücker sei der Fahrtweg zu lang. Da blieben die Leute auf dem Kirchberg, setzten sich vielleicht in den Auchan-Hypermarkt. Merenz ist sich sicher: „So ein langer Tag macht müde. Das geht an die Sicherheit, und da lassen wir nicht mit uns reden.“

Bisher hat Luxtram noch keine neuen Vorschläge zu den Arbeitsbedingungen gemacht. Im Juni unterbreitete die Direktion Vorschläge zu Gehältern, Prämien und Urlauben. „Das war, nachdem wir an die Regierung appelliert hatten, ihrer Verantwortung gerecht zu werden“, betont Christian Sikorski vom OGBL. Auf dem Tisch liegt nun das Angebot, die Gehälter der Fahrer um elf Prozent zu erhöhen. Nach einem einjährigen Stage käme ein Fahrer aus dem Grad 2a beziehungsweise 2b dann in den Grad 3a und 3b; die Gehälterspanne läge zwischen 2 687 Euro im Grad 3a, Stufe null und 3 366 Euro im Grad 3b, Stufe 42. Vor Leistungszuschlägen und Prämien für längere Gesamtschichtdauern. Erhöhen würde Luxtram die Prämien für Rufbereitschaften seines Wartungspersonals am Wochenende. Deutlich zunehmen könnten die Urlaube: von den derzeit gewährten legalen 25 Tagen um drei Tage für sämtliche Mitarbeiter, um fünf Tage für über 50-jährige und um sieben Tage für über 55-jährige. „Alles in allem würde uns das 6,5 Prozent mehr in der Lohnmasse kosten“, sagt André von der Marck.

Für OGBL und Landesverband ist nur das höhere Urlaubsangebot ein bemerkenswertes Entgegenkommen. „Elf Prozent mehr Gehalt für die Fahrer ist nicht genug, der Unterschied zu CFL und AVL beträgt heute bis zu 50 Prozent, also würden 39 Prozent bleiben“, sagt Christian Sikorski vom OGBL. Außerdem wolle man nicht nur die Gehälter der Fahrer aufgebessert sehen, sondern die aller Mitarbeiter von Luxtram. Und die Gesamtschichtdauer müsse „runter“. Deshalb sei man vergangene Woche in Limpertsberg aufmarschiert und habe vorher schon schriftlich von Transportminister und Hauptstadtbürgermeisterin verlangt, im Verwaltungsrat von Luxtram dafür zu sorgen, dass der Direktor mehr bieten kann. Lydie Polfer habe nicht geantwortet, François Bausch habe erklärt, er mische sich in die Verhandlungen nicht ein, die seien „Sache des Managements“. Am Freitag aber hätten beide mit den Gewerkschaftern „das Gespräch gesucht“. „François Bausch hat gesagt, ‚wir machen das schon!‘, Lydie Polfer hat versichert, die Verhandlungen würden fair weitergeführt.“ Am Ende könnte der Wahlkampf, in dem kein Politiker der Regierungskoalition einen schlechten Eindruck machen möchte, den Gewerkschaften behilflich sein, Luxtram mehr abzuringen. Beziehungsweise der Staatskasse, die den öffentlichen Transport fast komplett finanziert.

Und schließlich geht es für den Landesverband auch um den Schutz des parastaatlichen Eisenbahnerstatuts. 2006 wurde es nach einer Bahn-Tripartite ausnahmsweise für CFL Cargo aufgehoben, das Fracht-Joint-Venture von CFL und Arcelor-Mittal. Vor dem Hintergrund ist dem Landesverband jeder neue private Schienenbetrieb verdächtig, ein Angriff auf das Statut zu sein – zumal jetzt, nach der erfolgreichen Abschaffung des Eisenbahnerstatuts in Frankreich.

So gesehen, hat der Luxtram-Generaldirektor nicht Unrecht, wenn er den Gewerkschaften eine „politische Vision“ bescheinigt und klagt, sie hätten „bis heute keinen konkreten Vorschlag gemacht, in welchen Punkten wir unser Règlement wie abändern sollten“. Georges Merenz vom Landesverband will das nicht gelten lassen: „Wir haben das Règlement immer am Kollektivvertrag von CFL Cargo gemessen, der ist unsere Basis.“

Bei CFL Cargo liegen die Gehälter unter denen der CFL. Die Arbeitsbedingungen aber sind ganz ähnlich – auch deshalb insistiert der Landesverband auf weniger Gesamtschichtdauer. Vielleicht haben Regierung und Hauptstadt-Schöffenrat bereits agiert, auch wenn sie das nicht sagen. Der Luxtram-Chef erklärt, Ende September sehe er die Gewerkschaften wieder, und stellt neue Vorschläge in Aussicht. Auch „ob wir runtergehen mit der Gesamtschichtdauer, werden wir sehen“. Er sagt natürlich nicht, dass andernfalls der Eisenbahner François Bausch noch kurz vor den Wahlen mit einer Attacke auf das Statut in Verbindung gebracht werden könnte. Zum Nutzen der LSAP, die die Sozialdemokratie wieder entdeckt.

Peter Feist
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