Seit März 2020 setzt Lëtz Rise Up Akzente im Diskurs über Rassismus in Luxemburg. Im Gespräch mit dem Land verrät die Vorsitzende Sandrine Gashonga mehr über den Werdegang und die Zukunftspläne der jungen Vereinigung – und warum sie auf die Jugend setzen will

Die Jugend ist gefragt

d'Lëtzebuerger Land du 17.09.2021

Am 25. Mai 2020 wurde Rassismus durch den Mord an George Floyd weltweit zum Thema. Auch in Luxemburg. Noch am 5. Juni koordinierte die junge Vereinigung Lëtz Rise Up die Demonstration for Justice. Mehr als Tausend Menschen versammelten sich vor der US-Botschaft auf dem Limpertsberg, darunter Hunderte Jugendliche. Am vergangenen Donnerstag erschien der erste Jahresbericht von Lëtz Rise Up. Das 16-seitige Dokument blickt auf Vergangenes zurück und skizziert die Zukunftspläne für 2021-22. Am 25. September lädt die Vereinigung ihre Mitglieder zur ersten Vollversammlung ein. Doch: Wer ist Lëtz Rise Up, was ist ihre Geschichte und wo will sie hin?

Wie die Vorsitzende Sandrine Gashonga erzählt, beginnt die Geschichte von Lëtz Rise Up in den 2010er-Jahren. In diesem Zeitraum bildeten sich in mehreren europäischen Ländern anti-rassistische Bewegungen, die sich von traditionellen Formen der Rassismusbekämpfung lossagten. Die neuen Bewegungen waren nun community-led, das heißt, sie sind gegründet und koordiniert worden von Personen, denen Rassismus widerfahren ist. Ein Prozess, in dessen Fahrwasser sich auch Lëtz Rise Up einschreibe, so Gashonga.

Auf die Frage, ob die Geschichte von Lëtz Rise Up, die Geschichte Gashongas sei, gibt sie ein klares „Nein“. Lëtz Rise Up sei die Geschichte des Zusammentreffens mehrerer Personen mit unterschiedlichen Backgrounds. Dabei denkt Gashonga an die Afro-Marokkanerin Zineb Zeghloul, die im Finanzbereich tätig ist, an die Franko-Tunesierin Karima Sioud oder an Pélagie Bakilan, die Schneiderei sowie Hotelmanagement studierte und nun Modeschöpferin ist. Zwar seien sie über unterschiedliche Pfade nach Luxemburg gelangt, doch habe man sich dort zur selben Zeit getroffen und vor allem eins gemein: Rassismus erlebt zu haben. Aus dem „Willen einer Gruppe an rassisierten Frauen in Luxemburg“ ging dann Lëtz Rise Up hervor, mit dem Ziel, den Alltag von rassisierten Frauen zu verbessern.

Stand heute zähle Lëtz Rise Up 35 Mitglieder, von denen sich 15 aktiv in Projekten engagieren. Eine Angestellte ist im August 2021 hinzugekommen. Finanziert wird die gemeinnützige Vereinigung zu 96,5 Prozent aus staatlichen Beihilfen, wie aus dem Jahresbericht von Lëtz Rise Up hervorgeht. Lëtz Rise Up erfahre finanzielle Förderung zum Beispiel durch die Gemeinde Beckerich, das Ministerium für Integration oder das Œuvre Grande-Duchesse Charlotte. Ohne diese Zuschüsse könne Lëtz Rise Up nicht existieren, so Gashonga.

Als Vorsitzende verdient Gashonga mit Lëtz Rise Up jedoch nicht ihr Geld. Ihr Engagement für die Vereinigung sei ehrenamtlich. Gleichwohl werde sie für das Leiten einer Fortbildung, die von der Vereinigung angeboten wird, von Lëtz Rise Up bezahlt. Von Beruf ist Gashonga selbstständige Ausbilderin, Beraterin und Coach, wie es auf ihrer persönlichen Website und ihrer LinkedIn-Seite heißt. Sie leitete bereits Schulungen für interkulturelle Teambildung an der Uni.lu und bei den Geschäftsanwälten von Linklaters Luxemburg.

1977 in Rwanda geboren, überlebt sie 1994 als Jugendliche den Völkermord. Gashonga wird von den Vereinten Nationen aus dem Hôtel des Milles Collines in Kigali gerettet. In Italien angekommen, führt Gashongas Weg über Belgien nach Luxemburg. Das Hôtel des Milles Collines stellt somit eine einschneidende Zäsur in Gashongas Werdegang dar. Eine Episode, die sich auf ihr gesamtes Leben ausgewirkt habe, insbesondere auf ihren Bildungsweg.

In Luxemburg angekommen, schloss Gashonga ein Training in Konfliktmanagement ab sowie einen einjährigen Master in Mediation. Ihr Vater habe sie dazu inspiriert. Ehe ihr Vater im Konflikt verstarb, hatte er sich vor dem Genozid für die Versöhnung zwischen Hutu und Tutsi eingebracht. Als „wahrer Idealist“ wurde er von seinem eigenen Umfeld ausgeschlossen, weil er „zu gemäßigt“ war. Seit Rwanda sei bei Gashonga „diese Forderung nach Gerechtigkeit, dieses Verlangen nach Gerechtigkeit“ ständig präsent. Sie studierte zudem Philosophie und kennt europäische Denker wie Kant, Hegel, Schelling, Hume oder Ricoeur gut. Afrikanische Autoren habe sie während ihrer Studienzeit in Frankreich und Luxemburg hingegen nie kennengelernt.

Seitdem die Umstände der ehemaligen Geflüchteten stabil sind, hat Gashonga sich engagiert. 2009 begann sie bei Asti zu arbeiten, um sich wenig später bei Amnesty International einzusetzen. Dort fand sie ein Umfeld, das es ihr erlaubte, sich zur Aktivistin auszubilden. Gleichwohl habe sie damals festgestellt, dass in punkto Rassismusbekämpfung in Luxemburg Aufholbedarf bestehe. Als Mitglied der Partei déi Lénk, kandidierte Gashonga 2019 für die Europawahlen. Heute gehört sie der Partei jedoch nicht mehr an. Gashonga hat den Eindruck, dass man zu viele Zugeständnisse eingehen müsse und man sich darin verliere. Darum widme sie sich lieber dem Aktivismus.

Seit 2020 hat sich das Verständnis über Rassismus in Luxemburg verändert. Dem Jahresbericht von Lëtz Rise Up zufolge ist struktureller Rassismus inzwischen zumindest ein Begriff in Luxemburg. Die Kenntnisse über das Phänomen des strukturellen Rassismus und dessen Dynamiken zu vertiefen, ist eine der Prioritäten der Vereinigung für die kommenden zwölf Monate. Als Beispiel für strukturellen Rassismus nennt Gashonga das Vorurteil, dass schwarze Menschen faul seien. Eine Idee, die ihren Ursprung in der Sklaverei hat. Damals kam der Idee die Funktion zu, schwarze Menschen zu erniedrigen, indem man sie zum Gegenstand herabsetzte. Dieses Vorurteil begegne man auch weiterhin in der heutigen Gesellschaft, nur mit anderer Funktion: Schwarze Menschen vom Arbeitsmarkt fernzuhalten.

Die Problematik des Rassismus bewegt auch Jugendliche in Luxemburg. Dies hat die Demonstration for Justice bewiesen. Seit 2020 bereitet es der Vereinigung jedoch Kopfzerbrechen, wie man die unzähligen Jugendlichen einbindet, die an der Manifestation teilnahmen. Für Gashonga ist es von äußerster Wichtigkeit, Jugendliche einzubeziehen. Vor allem auch, um an die Bemühungen früherer Generationen anzuknüpfen.

Gleichzeitig hat sie den Eindruck, dass den Jugendlichen in Luxemburg eine „culture de militantisme“, eine Aktivismuskultur fehle. Sei es gegen Rassismus oder andere Themen. Einzig beim Thema Klima habe man eine größere Beteiligung sehen können. Aber auch dort sei der Anteil an rassisierten Jugendlichen gering gewesen. Laut Gashonga fehle es dieser Jugendgruppe an Angeboten, die sie anziehen würden. Aus diesem Grund wird Lëtz Rise Up zukünftig ein jährliches Youth Rising Festival organisieren. Ziel des Jugendfestivals ist es, eine Bewegung zu schaffen, die sich nicht nur den Fragen des Rassismus annimmt, sondern des Klimas und des Feminismus. Ein Raum soll entsprechend für betroffene Jugendliche entstehen, die sich für gewöhnlich nicht einbringen (können).

Am 25. und 26. Februar 2022 wird das Youth Rising Festival in Kooperation mit den Rotondes stattfinden. Mit dem Festival wolle man erreichen, dass Jugendliche auf einen zukommen. Mittels der Kunst versuche man, bei ihnen ein Bewusstsein für bestimmte Problematiken zu wecken. Zu diesem Anlass sind ein musikalisches Programm und ein Theaterstück über das Thema der Diskriminierung geplant. Das Programm sei offen für alle, denn das Zielpublikum seien alle Jugendliche. Zudem wird das Festival auch „ethnische Workshops“ beispielsweise über Afrohaare anbieten.

Für die Zukunft stellt sich die Frage, wie man das Thema Rassismus in Luxemburg angehen und zum gesellschaftlichen Wandel beitragen möchte. Mit Blick auf Lëtz Rise Up stellt Gashonga fest, dass sich zwei gangbare Wege ergeben: Entweder könne Lëtz Rise Up sich den staatlichen Behörden so weit wie möglich annähern, Stellungnahmen veröffentlichen und auch ohne finanzielle Unterstützung des Staates zu einem „organisme paraétatique“ werden. Oder aber man entscheide sich dazu, „die Menschen dort abzuholen, wo sie sind und zu versuchen, so nah wie möglich an der vulnerabelsten Bevölkerungsgruppe dran zu sein, die unser am meisten bedarf.“ Sei man ständig auf der Ebene nationaler oder internationaler Instanzen, neige man dazu, die betroffenen Personen zu vergessen, findet Gashonga. Sie bevorzuge daher eher die zweite Option und stimmt zu, dass es sich dabei um eine Richtungswahl handele zwischen Beständigkeit auf der einen und Dynamik auf der anderen Seite. Eine Grundsatzentscheidung also, die womöglich am 25. September fallen wird.

Jeff Simon
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