ZUFALLSGESPRÄCH MIT DEM MANN IN DER EISENBAHN

The Luxembourg of the United States

d'Lëtzebuerger Land vom 13.11.2020

Am Samstag beglückwünschte Premier Xavier Bettel den designierten Präsidenten der USA, Joe Biden, und dessen Vize, Kamala Harris, über Twitter für ihren Wahlsieg, „fostering our economic and cultural relations“. Direktor Nicolas Mackel von Luxembourg for Finance lobte für Paperjam Joe Biden als „pragmatique qui connaît l’importance des hubs financiers comme le Luxembourg, l’Irlande ou le Delaware“.

Tatsächlich erinnert Joe Bidens Heimat Delaware an Luxemburg. Der Bundesstaat im Nordosten der USA ist mit einer Million Einwohner kaum größer. Er pflegt die gleiche Geschäftsmoral: „[B]ecause it is tiny, it has had to get creative to survive“ (Tim Murphy, Mother Jones, 11.11.2019).

Delaware und seine Wirtschaft waren zwei Jahrhunderte lang von dem Chemiegiganten DuPont de Nemours abhängig wie Luxemburg von der Arbed. „General Motors could buy Delaware if DuPont were willing to sell it“, spottete Verbraucherschutzanwalt Ralph Nader 1973 in The Consumer And Corporate Accountability (S. 358).

Delaware zählt mehr Briefkastenfirmen als Einwohner. Strohmänner können sie für einige hundert Dollar anonym gründen. Die Firmen zahlen keine Einkommensteuer, wenn sie nur außerhalb Delawares Geschäfte machen. Die Hälfte aller börsennotierten Firmen in den USA besitzen Firmen in Delaware.

Anfang der Achtzigerjahre beschloss auch Delaware, seine Souveränitätsnische zu diversifizieren. Gouverneur Pierre Samuel „Pete“ du Pont IV. kündigte an, dass Delaware „the Luxembourg of the United States“ werden solle. Das Motto hatte der Direktor des Wirtschaftsförderamts von Delaware, Nathan Hayward, erfunden, so die Washington Post (26.6.1983).

Kreditkarten, die mittellosen Haushalten oft mit irreführender Werbung verkauft werden, sind eine der Hauptursachen für die Überschuldung von Millionen US-Amerikanern. Die Familien versuchen, mit kleinen Mindestrückzahlungen über die Monatsenden zu kommen, und türmen so erdrückende Schuldenberge auf. Zusammen mit dem heutigen Hedge-Fund-Milliardär Ottavio Francis Biondi verfasste Gouverneur du Pont ein neues Bankgesetz, das Verzugszinsen in unbegrenzter Höhe erlaubt. Prompt zogen fast alle großen Kreditkartenfirmen nach Delaware, um von dort aus ihren Kunden in den USA Verzugszinsen zu berechnen. Ein anderes Gesetz macht es für die zahlungsunfähigen Schuldner schwieriger und teurer, Konkurs zu beantragen und einen Neuanfang zu versuchen. Gleichzeitig pflegt das lokale Konkursgericht seinen Ruf, stets im Interesse der Kreditkartenfirmen zu urteilen. Ein Heer von Konkursanwälten ließ sich in Delaware nieder.

Joe Biden half an vorderster Front, diese Gesetze in seiner Partei und im Senat durchzusetzen. Er war zeitlebens ein Verfechter des „Delaware way“, einer Variante des „Luxemburger Modells“. Danach gibt es keine Parteien, sondern nur Patrioten, die die Interessen der heimischen Finanzindustrie verteidigen. Nach der größten Kreditkartenfirma im Staat bekam er den Spitznahmen „the senator from MBNA“. Der Demokrat „would vote again and again with Republicans to advance the legislation while taking tens of thousands of dollars more from MBNA, which by this point was paying [his son] Hunter, who had left the company in 2001 to become a lobbyist, a monthly consulting fee“, schreibt Branko Marcetic in der Biden-Biografie Yesterday’s Man (S. 120).

1999 stimmte Joe Biden für den Financial Service Modernization Act. Dadurch wurde das 1931 in der Weltwirtschaftskrise erlassene Glass-Steagall-Gesetz aufgehoben. Mit ihm waren Geschäftsbanken, Investmentbanken und Versicherungen getrennt worden, um einen neuen Bankenkrach zu verhindern. Der folgte 2007.

Der nächste Präsident der USA wird viel Verständnis für das „Luxemburger Modell“ haben. Es sei denn, er sähe darin eine Konkurrenz für den „Delaware way“.

Romain Hilgert
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