Harte Zeiten

d'Lëtzebuerger Land du 22.07.2022

Dunkle Wolken Die „schwaarz Wolleken“, die die UEL kurz vor Beginn der Tripartite im März „über unserer Wirtschaft“ aufziehen sah, hatten sich am Donnerstag vergangener Woche weiter verdichtet. Am Ende der bereits im November 2020 von der LSAP beantragten „großen Steuerdebatte“ machte DP-Finanzministerin Yuriko Backes alle Hoffnungen auf „mehr Steuergerechtigkeit“ zunichte. „D᾽Leit ënnen op der sozialer Leeder“ und die Mittelschicht zu entlasten, Reiche höher zu besteuern und gleichzeitig Talente anzuziehen: Das sei „komplex“ und „alles net ganz esou einfach“, meinte die Ministerin in ihrer Schlussfolgerung. Dass die 2013 angekündigte und 2018 fortzusetzende „große Reform“ mit einer „neuen einheitlichen Steuertabelle“ und einer Entlastung „benachteiligter Personen“ scheitern würde, war spätestens vor zwei Jahren klar geworden. Erst die Corona-Pandemie, dann der Krieg in der Ukraine und die hohen Energiepreise hätten den Staatshaushalt stark belastet, 2022 solle die Wirtschaft laut EU-Kommission zwar um 2,6 Prozent wachsen, 2023 aber nur noch um 2,1 Prozent statt den 2,7 Prozent, die noch im Frühjahr prognostiziert worden waren. Deshalb müsse Luxemburg sich auf wirtschaftlich harte Zeiten einstellen, der hohe Wohlstand dürfe nicht mehr als selbstverständlich angesehen werden, mahnte Backes. Dass die Wirtschaft in den fünf Jahren vor der Pandemie durchschnittlich um 2,8 Prozent jährlich und 2021, nach einem kurzen Einbruch von minus 1,78 Prozent im Corona-Jahr 2020, um ganze 6,89 Prozent gewachsen war, spielte dabei keine Rolle.

Am Samstag belohnte die Rating-Agentur Fitch Luxemburg wegen seiner mustergültigen Steuerpolitik und seiner vorbildlichen Haushaltsführung mit einem weiteren AAA. Am Montag – nur drei Tage nach der großen Steuerdebatte – stellte Yuriko Backes dem parlamentarischen Ausschuss für Finanzen und Budget die Haushaltszahlen für die erste Jahreshälfte vor: Die Einnahmen des Zentralstaates liegen 10,9 Prozent über denen vom vergangenen Jahr, über die Hälfte der Mehreinnahmen in Höhe von einer Milliarde Euro stammt von der durch zwei Indextranchen gepushten Lohnsteuer (445 Millionen Euro) und den Akzisen auf Tabak (80 Millionen). Schon alleine damit hätte die Regierung die Inflationsbereinigung der Steuertabelle samt Erhöhung des Eingangsbetrags von 11 285 auf 15 000 Euro finanzieren können, die die CSV bei der Debatte gefordert hatte, meinte ihr Abgeordneter Gilles Roth am Dienstag auf einer Pressekonferenz. Im März hatte die Regierung sich aber dazu entschlossen, dieses Geld der zum größten Teil florierenden Wirtschaft zu spenden, indem sie die automatische Lohnanpassung verzögerte und stattdessen Steuerkredite an Arme verteilt.

Nicht einmal das Patronat hatte sich vergangenes Jahr einer Bereinigung der Steuertabelle verschlossen, wie aus dem Steuergutachten des Wirtschafts- und Sozialrats (CES) von 2021 hervorgeht. Einer automatischen Anpassung der Steuertabelle an die Inflation, wie die Gewerkschaften sie fordern, aber schon. Auch die LSAP, die eigenen Aussagen zufolge nach einem „neuen Gesellschaftsmodell“ strebt, bezeichnete die automatische Anpassung am Donnerstag in Zeiten von Multikrisen als ungerecht und nicht zielführend. Stattdessen schlug Dan Kersch eine progressivere Einkommenssteuer mit zusätzlichen Gehaltsgruppen vor, bei der höhere Einkommen proportional stärker besteuert würden als niedrige. Die Grünen sprachen sich hingegen für eine „selektive“ Anpassung der Steuertabelle an die Inflation aus. Nur die DP findet die Inflationsbereinigung der Steuertabelle grundsätzlich zu teuer und unterstützt Geringverdiener lieber mit Steuerkrediten.

Nicht viele Reiche Überschneidungen zwischen CSV, LSAP und Grünen waren auch beim Spitzensteuersatz zu beobachten. Zwar gingen die einzelnen Vorstellungen in Detailfragen etwas auseinander, doch über eine generelle Anhebung des Steuersatzes für Haushalte mit sehr hohen Einkommen war man sich einig. Lediglich die DP konnte damit überhaupt nichts anfangen, weil es erstens „nicht so viele Reiche“ in Luxemburg gebe, zweitens der Spitzensteuersatz samt Solidaritätssteuer im OECD-Vergleich eh schon recht hoch sei und drittens, weil eine Anhebung um drei Prozent dem Staat lediglich Mehreinnahmen von 50 Millionen Euro einbringen würde, rechnete Yuriko Backes vor. Ihr Parteikollege André Bauler kam auf zusätzliche 110 Millionen, in seinem Berechnungsmodell wurde der Spitzensteuersatz jedoch um sieben Prozentpunkte erhöht. Laut Backes würden 2,13 Prozent der Haushalte eh schon 75 Prozent des Impôt sur le revenu des personnes physiques (IRPP) zahlen, sodass die „breiten Schultern“ den Sozialstaat heute bereits überproportional finanzieren würden. Was sie nicht erwähnt hat: Der Anteil des IRPP (Abgabe auf Geschäftsgewinnen) an den Gesamtsteuereinnahmen lag in den vergangenen Jahren lediglich bei zehn bis zwölf Prozent, während die Lohnsteuer mehr als die Hälfte der Einnahmen ausmacht, sodass die Behauptung der Finanzministerin über die breiten Schultern nicht ganz richtig ist. Die größte Steuerlast tragen auch nach der Reform von 2017 noch immer die Angehörigen der Mittelschicht, und unter denen vor allem die Angestellten aus dem öffentlichen Dienst, sodass der Staat einen großen Teil seiner Steuereinnahmen selbst bezahlt.

CSV und LSAP stellten am Donnerstag beide fest, dass die Betriebssteuern seit Jahren rückläufig sind. War das Verhältnis zwischen der Besteuerung von Unternehmen und Privatpersonen vor 20 Jahren noch ausgeglichen, machen die Betriebssteuern je nach Berechnung heute nur noch rund ein Drittel bis ein Viertel der Gesamtsteuereinnahmen aus. 2017 wurde die Körperschaftssteuer erneut gesenkt. Bislang habe Luxemburg bei der internationalen Steuerkonkurrenz gut mitgemischt, stellte Dan Kersch fest, der vorschlug, die Solidaritätssteuer für Betriebe mit Gewinnen von über 175 000 Euro von sieben auf neun Prozent anzuheben und sie gleichzeitig für kleine Betriebe auf vier Prozent zu senken. Diese Maßnahme könnte sich durchaus positiv auf den Staatshaushalt auswirken, denn in Luxemburg werden laut OECD 71 Prozent der Betriebssteuern von multinationalen Unternehmen bezahlt, mehr als 95 Prozent von ihnen haben ihren Hauptsitz im Ausland und betreiben in Luxemburg lediglich eine Filiale. Weil Luxemburg die „Jahrhundertreform“ (Yuriko Backes) der OECD zur Abschaffung der internationalen Steuervermeidung (Beps) umgesetzt hat und seitdem nicht mehr auf den Listen der Steueroasen auftaucht, sollten die aggressivsten Steuervermeidungspraktiken inzwischen Geschichte sein. Und wenn Luxemburg die europäische Unshell-Richtlinie annimmt und die von der OECD vorgeschlagene globale Mindeststeuer von 15 Prozent für internationale Konzerne einführt, soll Steuervermeidung künftig noch komplizierter werden, vor allem für die undurchsichtigen Briefkastenfirmen Soparfi, die rund 75 Prozent zu den staatlichen Kapitaleinnahmen beisteuern.

Während die LSAP also zumindest die Solidaritätssteuer erhöhen möchte, lehnen DP, Grüne und CSV eine Erhöhung der Betriebssteuersätze grundsätzlich ab. Das Argument, das in diesem Zusammenhang immer wieder angeführt wird, ist das der Wettbewerbsfähigkeit. Luxemburg müsse international attraktiv bleiben, es brauche eine starke Wirtschaft mit erfolgreichen Betrieben, sicheren Arbeitsplätzen und guten Löhnen, meinte etwa die Finanzministerin. Der „Schlüssel der Wirtschaft“ sei es, die richtigen „Talente“ zu finden, deshalb müsse der Staat diese steuerlich entlasten. Aus diesem Grund wolle die Regierung die Sondersteuerregelung für hochqualifizierte und spezialisierte Arbeitnehmer/innen und das System der Beteiligungsprämien noch attraktiver gestalten. Angesichts der hohen Konjunktur und des Fachkräftemangels auch in Sektoren mit niedrigen und mittleren Löhnen müsste die Regierung jedoch darüber nachdenken, ob sie die Situation der Arbeitnehmer/innen nicht insgesamt verbessern will. „Gute Mitarbeiter mit guten Löhnen, die sich eine ordentliche Wohnung leisten können“ wünschen sich schließlich alle Unternehmen und nicht nur die aus dem Finanzsektor, der IT-Branche und die Big Four. Der diesbezügliche Vorschlag von Dan Kersch, Firmen mit einem Kollektivvertrag steuerlich zu entlasten, stieß aber bei den anderen Parteien auf taube Ohren.

Die LSAP sprach sich am Donnerstag auch für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer aus, die 2006 unter ihrer Regierungsbeteiligung abgeschafft worden war, und würde vor diesem Hintergrund eine Aufhebung des Bankgeheimnisses für Gebietsansässige in Kauf nehmen. Die Grünen wollen zumindest darüber diskutieren. Für DP und CSV kommt die Vermögenssteuer nicht in Frage, genau wie die Erbschaftssteuer in direkter Linie, die von keiner der großen Parteien als sinnvoll erachtet wird. Lediglich die Grünen wollen im Sinne der Chancengleichheit darüber reden.

Vorwahlveranstaltung Am Ende einigten die drei Regierungsparteien sich auf eine schwache Motion, die insbesondere den Ansprüchen von LSAP und Grünen an eine potenzielle Steuerreform in keiner Weise gerecht wird. Trotzdem werden die Sozialisten später sagen, sie hätten die Anhebung der Kaufkraft für Alleinerziehende und den sozialen Ausgleich für die steigenden Energiepreise durchgesetzt. Die DP wird sich mit ihrem Einsatz für weitere steuerliche Vorteile für hochqualifizierte Talente im Sinne der Kompetitivität brüsten und die Grünen werden bei ihrer Wahlklientel mit den Steuererleichterungen für die Energietransition werben, obwohl die – gemessen an den sich durch die Klimakrise stellenden Herausforderungen – sowohl für Privatpersonen als auch für Betriebe bislang völlig unzureichend sind.

Mehr war von der großen Steuerdebatte ein Jahr vor den Wahlen wohl nicht zu erwarten. Die DP inszenierte sich als staatstragende Partei, die seit 2013 alles richtig gemacht hat, und in wirtschaftlich schwierigen Zeiten die Staatsfinanzen im Blick hat. Die CSV versuchte ihrem Anspruch als dissoziative Volkspartei gerecht zu werden, indem sie Steuerentlastungen für die „breite Mittelschicht“ und Steuervorteile für die Wirtschaft miteinander in Einklang zu bringen versuchte. Die Grünen ließen gewohnt Vorsicht walten, verschlossen sich einer Umverteilung der Steuerlast nicht, stellten aber nur wenige konkrete Forderungen. Lediglich die LSAP, die 2023 erstmals die Premierministerin stellen will, nutzte die Gelegenheit, um für ihre „Neuerfindung einer strukturell nachhaltigen Gesellschaft“ zu werben. Mit wem sie dieses „neue Gesellschaftsmodell“ umsetzen will, ist noch unklar. Mit der DP jedenfalls nicht. Mit den Grünen vielleicht. Und möglicherweise auch – so hoffen es die Sozialisten – mit dem christlich-sozialen Flügel der CSV.

Luc Laboulle
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