Nachdem der Oscar-prämierte Regisseur Paolo Sorrentino schon in einem früheren Film Diego Armando Maradona erscheinen ließ, ist der wahrscheinlech beste Fußballspieler aller Zeiten nun so etwas wie ein Schutzpatron, der in È stata la mano di Dio, zu englisch: The Hand of God, seine Hände über alles und jeden hält. Wir sind im napolitanischen Italien der 1980-er, inmitten der Hysterie um Maradona in Neapel, und in der Jugend des Regisseurs Sorrentino. Der junge Fabietto ist das Alter-Ego des Regisseurs, der seine Mitmenschen und seine Umwelt mit sehr viel Liebe zu beobachten weiß. Da sind natürlich die Eltern Maria und Saverio – gespielt von Teresa Saponangelo und Toni Servillo –, aber auch die sehr große Familie aus Tanten und Onkeln, deren Spleens Fabietto nie müde zu werden scheint. Bis eines Tages sein Leben von einem unbeschreiblichen Unglück heimgesucht wird. È stata la mano di Dio erzählt das Coming-of-Age eines jungen Menschen, der die Welt zu entdecken, aber auch einen unaussprechlichen Verlust zu betrauern hat.
Wer befürchtet hatte, Sorrentino würde mit null künstlerischen Eingriff seitens Netflix seinen exzessiven Stil weiter anziehen – welcher bei La grande bellezza gefeiert wurde , aber im Berlusconi-Film Loro jeden Sinn für Figurenbildung erstickte –, wird hier eines Besseren belehrt. Fast schon bescheiden und vor allem ruhig nimmt Sorrentino sich seiner Familiengeschichte an. Und so lustig wie hier war der Italiener auch noch nie – trotz der Melancholie, die sich wie ein roter Faden durch den Film zieht. Aber welchen Fellini-Film kopiert er jetzt schon wieder?, hört man Sorrentino-Kritiker fragen. Natürlich liegt der Vergleich mit Amarcord nahe, aber genauso könnte man I vitelloni anführen, ein Frühwerk von Fellini, aus einer Zeit, in der das Leben noch nicht eine einzige Party war, sondern ein Spielraum für Entdeckungen und Enttäuschungen.
Weil Sorrentino hier seine eigene Geschichte erzählen darf, in Verbindung mit seiner teils gradios elegischen Inszenierung und seinem Sinn für Raum, lugt die Mythenbildung immer ums Eck. Eine Mythenbildung um eine Stadt – Neapel inspiriert die Italiener seit gefühlten Ewigkeiten und auch dieses Jahr ist fast eine Handvoll Neapel-Filme auf der Mostra zu sehen gewesen – oder Sorrentinos Familie, wie es vielleicht gar nicht der Realität entspricht. Vor allem ist es die Begegnung im letzten Akt, die Sorrentinos Alter-Ego auf den Weg des Filmemachens erleuchtet, die einem als bitter-kitschig aufstoßen könnte. Aber was ist Filmemachen sonst, wenn nicht Mythenbildung?
„When the legend becomes fact, print the legend“, hieß es in einem John-Ford-Western. Die australische Regisseurin Jane Campion interessiert sich in The Power of Dog – ihrem ersten Spielfilm seit über zehn Jahren – herzlicht wenig für Legenden und schon gar nicht für die Männlichkeitswerte, die das Western-Genre und seine Geschichten beherrscht haben. In ihrer Filmadaptation des Romans von Thomas Savage begegnet man am Ende des so genannten Wilden Westens – Züge und die ersten Autos sind in der Landschaft zu erkennen – den Gebrüdern Burbank. Der von Benedict Cumberbatch gespielte große Bruder Phil Burbank hält mit eiserner Hand die Ranch der Familie im Griff. Er hänselt den korpulenten Bruder, redet herablassend über Frauen und so ziemlich alles und jeden – ein waschechter Cowboy der alten Schule. Als Bruder George Rose kennenlernt – gespielt vom tatsächlichen Paar Jesse Plemons und Kirsten Dunst – und Rose ihren introvertierten und sensiblen Sohn aus erster Ehe mit auf die Ranch bringt, brennen bei Phil die Sicherungen durch.
Dass Jane Campions Sensibilität vermisst wurde, wird jetzt umso klarer, als ihr Film ganz zu Beginn der Festspiele vorgestellt wurde. In einer riesigen Western-Landschaft lässt sie ihre Figuren agieren, die unter dem mehr oder weniger offensiven toxischen Terror des Cowboys Phil leben müssen und fast daran ersticken. Die subtilen Charakterstudien, die Campion zusammen mit den Spielern liefert, sind in ihrer Feinheit und im vermeintlichen Western-Genre nicht allzu oft zu sehen. Dass der hasserfüllte Phil Burbank so etwas wie die Hauptfigur ist, erschwert den Zugang zu dem Film. Wo die Kritiker/innen Cumberbatchs Leistung als Höhepunkt seiner Karriere feiern, ist der Manierismus, der seinem aufgesetzten Akzent anhaftet, nicht zu übersehen. Phils Cowboy-Anzug erinnert an eine Karnevalskostüm, was dazu beiträgt, die Figur ins Lächerliche zu ziehen. Love is the way, post-postmodern und Anti-Antiwestern zugleich lassen die gewollt leeren interessanten Interpretatiounsräume in eine zynische Sackgasse laufen, die den Film zu ersticken droht wie Cumberbatchs Figur Phil ihre Mitmenschen.