Hitchcock dominiert die amerikanische Filmgeschichte bis heute. Das Motiv des ‘innocent man on the run’ ist praktisch eine hitchcocksche Erfindung, nach dessen Muster unzählige Filme lange nach Hitchcock entstanden sind: Bei Sydney Pollack (Three Days of the Condor, 1975), bei John Schlesinger (The Marathon Man, 1976), bei Roman Polanski (Frantic, 1988) bei Andrew Davies (The Fugitive, 1993) auf Clint Eastwood (Absolute Power, 1997). Die Liste ließe sich fortführen. Der italienische Regisseur Ferdinando Cito Filomarino setzt dieses Motiv in seinem Film Beckett vor der Kulisse Griechenlands um: Nachdem die politischen Unruhen vor ihrem Hotel in Athen zugenommen haben, begeben sich die amerikanischen Touristen Beckett (John David Washington) und April (Alicia Vikander) in die Berglandschaft, unweit der Ruinen des Orakles von Delphi. Die Ruinen des antiken Griechenlandes stehen da als Touristenattraktion und als dunkles Vorzeichen: Ein Sommerurlaub wird zur Tragödie. Beckett verliert nach einem Autounfall nicht nur seine Freundin, er wird zudem ungewollt Zeuge einer Verschwörung, die Kreise zieht bis in die griechische Regierung und die CIA. Fortan ist er auf der Flucht. Hilfe kommt in der Gestalt der Aktivistin Lena (Vicky Krieps), mit ihrer Unterstützung will er die Rätsel lösen, die da plötzlich seine Person umgeben. Er wird zu einem Mann, der zu viel weiß...
Die Stärke von Beckett liegt in seiner ostentativen Ausstellung des Thrillers. Sein permanenter Bewegungsdrang schafft die Erzeugung der Neugier auf das kommende Ereignis und schürt immer mehr den Wunsch nach der für den Thriller so wichtigen Erleichterung. Vielleicht ist in dem Moment des Wartens auf die Auflösung aller Fragen der Bezug zu dem irischen Schriftsteller zu sehen? Den Nervenkitzel nicht abreißen lassen zu wollen, das ist das erklärte Ziel von Beckett und erreicht damit im Gegensatz zu vielen anderen Vertretern des Genres in äußerst hohem Maße ebendiesen Effekt der Dopplung: dauernde Bewegung im Bewegungsbild. Gerade deshalb spricht Hitchcock ja von „pure cinema“.
Man kann Beckett nicht vorwerfen, der Titel habe seinen Inhalt verfehlt: Der Protagonist ist das Zentrum dieses Films und George David Washington gibt ihn ähnlich wie in Christopher Nolans Tenet, einer überaus überwältigenden, wie herausfordernden Neuwertung des Spionagefilms, ungemein physisch, dafür aber ohne besondere psychologische Tiefe. Bei einem Regisseur wie Christopher Nolan, der gerne als Formalist gewertet wird, fällt die mangelnde Charakterzeichnung nicht ins Gewicht, ja sie gehört zur Konzeption der Filmfigur. Bei einem Film wie Beckett aber, dessen titelgebender Protagonist, ein bodenständiger Tourist, der schuldlos schuldig wird, den Film aber tragen muss, wird die knappe Figurenzeichnung zur Herausforderung, vor allem, weil das Drehbuch den Nebenfiguren nicht viel Raum zur Entfaltung lässt – und dennoch wirkt Vicky Krieps mit einer eindringlichen Gegenwärtigkeit und Natürlichkeit. Sie fühlt sich zu seinem Schutz berufen und als sie das größere Räderwerk erst erahnt, greift sie ein – ebenso engagiert und entschlossen wie feinfühlig und besonnen. Besonders in den Szenen des Zusammenspiels mit Washington wirkt sie mit ihrer unmittelbar natürlichen und authentischen Präsenz derart stark, dass sie den Titelhelden Beckett als reines Zeichen entblößt, eine Genre-Figur, ein Konstrukt, das auf die Funktion des Plots ausgerichtet ist.
Nicht alle Beziehungen und Intrigen der Handlung von Beckett werden am Ende wirklich aufgelöst. Eher zitathaft sind in diesem Film Elemente enthalten, die eine Gegenwartsnähe suggerieren wollen: Eine erstarkende Neue Rechte, Sparmaßnahmen, die von der EU aufgezwungen werden und in den vergangenen Jahren nicht nur die griechische Öffentlichkeit bewegten. Eine Substanz wird da indes nicht spürbar, es bleibt eine Hintergrundfolie, über die sich dieser Beckett bewegt – und das äußerst rasant. Suspense und Angstlust auf der einen, Bewegung und Tempo auf der anderen Seite: Das waren immer schon die Elemente, die den Thriller konstituierten. Hitchcock heute.