Luxemburgensia

Arm, fleißig, gesund und langlebig

d'Lëtzebuerger Land vom 05.10.2000

"Sunt his in locis homines paruo viuentes, & laboriosi, salubri sanè corpore, & longeui, ita vt centesimum annum attigisse, non sit rari apud eos exempli probitas est vt eorum, qui suo contenti, ac vt non multum suos excedunt fines, ita nec aliarum nationum delitias expetere videantur" (S. 31), beschrieb Abraham Ortelius die Einwohner des Herzogtums Luxemburg. Zusammen mit dem Antwerpener Kaufmann und Stadtgeistlichen Johannes Vivianus, dem jungen Intellektuellen Jérôme Scholiers und dem Maler Jan van Schille war er ihnen 1575 bei einer Reise von Antwerpen durch Belgien bis nach Lothringen und dann weiter nach Koblenz begegnet: arm, fleißig, gesund und langlebig, ja nicht selten hundertjährig sollen die Luxemburger gewesen sein und anständig wie Leute, die zufrieden sind mit dem, was sie haben und nicht viel in der Welt herum kommen, so dass sie auch nicht nach den Freuden anderer Völker verlangt hätten.

Mit seinem fünf Jahre zuvor begonnenen Lebenswerk, dem Theatrum orbis terrarum, dem ersten modernen Atlas, sollte Ortelius (1527-1598) in die Geschichte eingehen. Vergangene Woche beendete das Antwerpener Druckerei-Museum Plantin-Moretus eine Ausstellung alter Drucke und zeitgenössischer Kunst, die ganz Ortelius' Atlas gewidmet war. Jenem Atlas, der auch eine der ersten gedruckten Landkarten Luxemburgs enthält.

Neun Jahre nach ihrer Reise veröffentlichten Ortelius und Vivianus 1584 ihre Reiseerinnerungen: Itinerarivm per nonnvllas Galliae Belgicae partes, Abrahami Ortelii et Ioannis Vivani. Ad Gerardvm Mercatorem, cosmographvm. Antverpiae, Ex officina Christophori Plantini. Der "Reiseweg durch einige Gebiete des belgischen Galliens" ist ein 76 Seiten schmales Büchlein im Oktavformat, das in der Form eines Briefes an den Kosmographen Gerard Mercator verfasst ist. Ortelius, Mercator, Plantin: auf einer kleinen Titelseite sind gleich drei Angehörige jener humanistischen Elite vereint, die Ende des 16. Jahrhunderts ein neues Bild der Erde zeichneten, beschrieben und druckten.

Wobei der Begriff "Humanismus" irreführend sein kann. Denn auch im Mittelpunkt von Ortelius' und Vivianus' Reiseerinnerungen aus dem belgischen Gallien stehen nicht die Menschen, sondern alte Steine. Das Itinerarium ist eher ein Denkmalführer als ein Erlebnisbericht, die vier Holzstiche und fünf Radierungen zeigen nur gallorömische Inschriften und Denkmäler. Einer Erwähnung wert waren Ortelius und Vivianus neben der Archäologie höchstens die Angehörigen ihrer eigenen humanistischen Internationale, klassisch gebildete Sammler antiker Münzen und Inschriften wie sie selbst. Ihre Bemerkung über die Einwohner des Herzogtums Luxemburg ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt.

Insgesamt sind zehn Seiten (28-37) dem Herzogtum gewidmet. Besucht beziehungsweise erwähnt wurden Salm, Houffalize, Bastogne - das "Paris en Ardenne", französisch im Text - Martelingen, Arlon, Marche-en-Famenne, Steinfort, Luxemburg, Thionville, Sierck, Grevenmacher, Wasserbillig, der Titelberg und Igel. Besonders schien die Reisenden ein Besuch im Schloss des gebildeten Grafen Mansfeld beeindruckt zu haben, der in seinem legendären Clausener Schlossgarten gallorömische Beutekunst aus Arlon aufgereiht hatte.

Von dem nur noch schwer zugänglichen Itinerarium erschien dieses Jahr eine Neuausgabe. Sie stammt von Klaus Schmitt-Ott, einem deutschen Textilingenieur und Vorstand in der Kunststoffindustrie, der bei Erreichen des Rentenalters Geschichte zu studieren begann. Als Promotionsarbeit reichte er letztes Jahr eine stark vom Original abweichende Abschrift des Itinerarium samt einer deutschen Übersetzung ein und brachte es fertig, neben einer kurzen Einführung, zu fast jedem Satz des Originaltextes eine ebenso lange Erklärung zu finden. Das ist manchmal mehr als man braucht - einschließlich mancher Ungenauigkeiten und Druckfehler und trotz des fehlenden Bezugs zur Paginierung des Originaldrucks, auf die der alphabetische Index Seite 162 verweist. Auf jeden Fall hilft die Arbeit, den bisher in der Literatur wenig berücksichtigten Reisebericht vor dem Vergessen zu bewahren. Für Schmitt-Ott ist der Text ein kleines Beispiel für die "Gelehrten- und Humanisten-Elite der Niederlande und für das frühe Humanisten-Netzwerk im Europa des 16. Jahrhunderts". Das gilt auch für die Art und Weise, wie sich Ortelius blind für alle politischen und kriegerischen "Wirren und Verfolgungen seiner Zeit" stellte.

Itinerarium per nonnullas Galliae Belgicae partes. Der Reiseweg durch einige Gebiete des belgischen Galliens von Abraham Ortelius und Johannes Vivianus. Übersetzt und kommentiert von Klaus Schmidt-Ott. Peter Lang Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt a.M. 2000, 308 Seiten.

Romain Hilgert
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