Die Gesundheitsministerin will das Statut der Klinikärzte neu regeln. Die Chancen dafür stehen politisch gar nicht so schlecht. Aber es genügt nicht, ein paar Artikel von Belgien abzuschreiben

Der Arzt und sein Betrieb

d'Lëtzebuerger Land vom 30.09.2016

„Mit Macht“ und „mit Entschlossenheit“ lehne er die gesamte Krankenhausgesetzreform ab, schrieb der Ärzteverband AMMD diese Woche an Gesundheitsministerin Lydia Mutsch (LSAP). Vor allem stören die AMMD vier Artikel, durch die die Klinikärzte stärker ans Spital gebunden werden sollen. In Zukunft müssten sie sich den „Zielen“ des Betriebs Krankenhaus unterordnen, und der Krankenhaus-Generaldirektor würde zum Chef und zum Patron. In jeder Fachabteilung sollen Koordinationsärzte eine gewisse Kontroll- und Weisungsbefugnis gegenüber ihren Kollegen erhalten, An den Krankenhauskosten könnten die Ärzte künftig „beteiligt“ werden.

In eine ähnliche Richtung hatte schon Mutschs Vorgänger Mars Di Bartolomeo (LSAP) vor sechs Jahren in seiner Gesundheitsreform gezielt. Nicht zuletzt deshalb ging der Ärzteverband damals auf die Barrikaden, warf der CSV-LSAP-Regierung vor, eine „Staatsmedizin“ einführen zu wollen, und rief die Ärzte zu einem Bummelstreik auf. Weil sechs Wochen später die Artikel über die Ärzte aus dem Reformtext gestrichen wurden, konnte man annehmen, die AMMD werde Lydia Mutsch ebenfalls mit Krieg drohen. Auf einer Pressekonferenz am Mittwoch aber erklärte der Ärzteverband seine Opposition zu dem Gesetzentwurf derart freundlich, dass man sie ihm gar nicht recht glauben mochte.

Dabei hätten die Ärzte sogar Grund, sauer zu sein. Das „Statut“ der Krankenhausmediziner „zu redefinieren“, steht zwar im Regierungsprogramm. Was damit gemeint ist, wird aber nicht erklärt, und noch Anfang dieses Jahres wusste auch Lydia Mutsch darauf keine Antwort und wollte sich keinesfalls mit den Ärzten anlegen. Dem Land erklärte sie, „nicht gleich alle Türen aufmachen“ zu wollen (d’Land, 8.1.2016). Ministeriumsintern wurde sie deutlicher und sagte, sie wolle nicht „den Heldentod sterben“. Noch im Frühjahr wollte sie mit dem neuen Gesetz lediglich Krankenhausbetten und -abteilungen planen, verschiedene „Kompetenzen“ der Spitäler zusammenlegen und nach dem Grundsatz „pas tout partout“ die Konkurrenz zwischen ihnen eindämmen.

Dann aber ließ sie Copy/Paste Vorschläge des Krankenhausverbands FHL zu den Klinikärzten, die der dem belgischen Krankenhausgesetz entnommen hatte, in ihren Text schreiben. Dass sie das noch immer für gewagt hält, zeigt sich an den Artikelkommentaren, in denen es heißt, „vor allem die FHL“ habe das „gewollt“, und daran, dass die Ministerin bei der öffentlichen Vorstellung des Gesetzentwurfs vor zwei Wochen kein Wort über die Ärzte verlor. Einen Plan, wie die Krankenhäuser in Zukunft zu führen sind und die Ärzte mit ihnen, hat Lydia Mutsch demnach noch immer nicht – geschweige dass er mit allen Beteiligten diskutiert worden wäre.

Dass der Ärzteverband darauf nicht aggressiver reagiert, könnte damit zu tun haben, dass er seine Ablehnung zunächst freundlich vortragen will, um später bei Bedarf den Ton zu verschärfen. Noch wahrscheinlicher aber ist, dass es im Gegensatz zu 2010 nicht mehr viel zu verschärfen gibt.

Dafür gibt es eine Reihe Gründe. Einer ist der Gegenstand der Kontroverse selbst: Die AMMD verteidigt weniger die ärztliche Freiheit an sich als die der freiberuflichen Belegärzte. Die meisten Klinikärzte hierzulande arbeiten so, nur am CHL ist der Großteil der Mediziner fest angestellt. „Autonomie“ und „Therapiefreiheit“ beim Umgang mit Patienten genießt jeder Arzt. Aber während Festangestellte per Arbeitsvertrag klar ans Krankenhaus gebunden sind, sind Belegärzte nach aktueller Rechtslage eine Art Subunternehmer in einem anderen Betrieb und die Krankenhausdirek-tion hat lediglich dafür zu sorgen, dass der Belegarzt im Spital optimale Arbeitsbedingungen vorfindet. Problematisch ist das spätestens seit der Gesundheitsreform von 2010, die für alle Spitäler ein gedeckeltes „Globalbudget“ eingeführt hat, das alle zwei Jahre vom Regierungsrat festgelegt wird: Den Patienten garantiert das Sozialversicherungsgesetz dennoch ein Recht auf die bestmögliche Behandlung nach dem „Stand der Wissenschaft“. Die Ärzte genießen Verschreibungsfreiheit. Weil die Krankenhäuser bereitstellen müssen, was ein Arzt an Analysen, Behandlungen oder Medikamenten verschreibt und was dafür an Personal nötig ist, sie aber eigentlich unter Sparzwang stehen, stellt sich im Grunde ständig die Frage, ob man dem Patient weniger gibt und der Arzt das ausführen soll.

Insofern hat der Ärzteverband nicht ganz Unrecht, wenn er die Gefahr verschlechterter Versorgung beschwört, die sich ergeben könnte, sollte die Klinikmedizin, wie AMMD-Präsident Alain Schmit sich am Mittwoch ausdrückte, „zentralisiert, standardisiert und administriert“ werden, um an ihr zu „sparen“. Philippe Wilmes, der Vorsitzende des Ärztebeirats am Hôpital Kirchberg, legte noch eins drauf und meinte, Standardisierung könne „eines Tages“ heißen, „minderwertige Hüftprothesen aus Asien, vielleicht China, zu bestellen, weil die billiger sind“ oder „nur noch eine Sorte Herzschrittmacher“ einzukaufen.

Doch wenn das wirklich „eines Tages“ zum Problem würde, dann fragt sich, weshalb nur Belegärzte daran verzweifeln sollten. Realer sind dagegen schon jetzt jene Probleme, von denen Direktoren von Belegarzt-Krankenhäusern aus Sorge um den Ruf ihres Hauses öffentlich nicht reden: Es kommt anscheinend gar nicht so selten vor, dass ein Belegarzt, der auch eine Praxis betreibt, zu spät zu einer Operation auftaucht und der Patient schon schläft. Oder dass Arztvisiten nicht rechtzeitig stattfinden und Patienten länger als nötig ein Bett belegen. Oder dass Krankenpfleger einem Arzt lange hinterher telefonieren müssen, weil eine Verschreibung fehlt. Die Belegärzte stärker ans Krankenhaus zu binden, ist offenbar sinnvoll. Und die Behauptung, das gehe „zu Lasten der Patienten“, Marketing für die eigene Sache.

Der zweite Grund ist, dass die AMMD mit mehr „Standardisierung“ einverstanden sein könnte, sofern die Ärzte im Spital mehr „Mitsprache“ erhielten. Gemeint ist damit eine Art Ko-Management. Doch über die Medizinerbeiräte haben die Ärzte in jedem Krankenhaus schon heute ein Mitspracherecht. Ob es weit genug reicht, bliebe zu diskutieren. Auf jeden Fall aber wurde die großherzogliche Verordnung über die Medizinerbeiräte 2003 unter DP-Gesundheitsminister Carlo Wagner aus dem belgischen Krankenhausgesetz abgeschrieben. Sie gesteht den Ärztebeiräten zu allen Fragen der Klinikmedizin nicht nur zu, ihre Meinung zu sagen, sondern einen Avis renforcé abzugeben, falls der aus den Ärzten des Spitals gewählte Beirat ihn mit Zweidrittelmehrheit teilt. In dem Fall muss das Klinikmanagement seine Entscheidung suspendieren, bis eine Einigung mit dem Beirat gefunden wurde; gibt es keine Einigung, ist eine externe Schlichtung Pflicht. Mit einem Avis renforcé kann ein Ärztebeirat auch die Abberufung eines Arztes, ob angestellt oder Belegarzt, anfechten, so dass dessen Beschäftigungsverhältnis im Grunde stärker geschützt als das jedes Lohnabhängigen, der nicht Klinikarzt ist.

Pikant daran ist, dass in Belgien, wo es abgesehen von Universitätskliniken ebenfalls viele Belegärzte gibt, diese Mitsprache Teil eines Deals ist, der die Mediziner tatsächlich in den Betrieb Klinik einbindet: Belgische Belegärzte führen obligatorisch einen zweistelligen Prozentanteil ihres Honorars an ihr Spital ab. Daraus wird zum Teil das Pflegepersonal, zum Teil die Technik finanziert. In Luxemburg dagegen finanziert beides fast vollständig die Allgemeinheit. Dennoch will die AMMD seit Jahren mehr Mitsprache, aber eigentlich mehr Macht in den Kliniken.

Der dritte Grund für die Freundlichkeit ist ein politischer: Mochte die AMMD 2010 auch die Gesundheitsreform reduziert haben, ramponierte sie durch den Bummelstreik ihre Reputation als Gesprächspartnerin. In den diversen Gremien von Gesundheitswesen und Sozialversicherung hat der Ärzteverband an Einfluss verloren. In den Spitälern waren 2010 viele Ärzte nicht überzeugt von den Aktionen ihres Verbands, machten nur aus Solidarität mit, und um den Dialog mit den Klinikdirektionen nicht abreißen zu lassen, gründeten die Ärztebeiräte der Spitäler eine Nationale Konferenz der Ärztebeiräte. Wonach es eine Zeitlang so aussah, als könnte sogar die Rolle der AMMD als repräsentative Vertreterin des Berufs in Frage stehen. Auch deshalb lud die AMMD sich am Mittwoch die Ärztebeirats-Präsidenten mit an den Tisch. Wobei der aus dem CHL mit den vielen Salariats-Dokteren der Pressekonferenz interessanterweise fernblieb.

Ironischerweise war der Bummelstreik von 2010 auch eine wichtige Ursache für das Aus des Flaggschiffs der liberalen Klinikmedizin, der Zithaklinik. Dass die Zitha-Schwestern sie an die Bistumsstiftung Robert Schumann verkauften, lag auch daran, dass sie enttäuscht waren von der Teilnahme der Zitha-Ärzte am Service réduit der AMMD vor sechs Jahren. Heute trauert die AMMD dem „Zitha-Geescht“ der eingeschworenen Gemeinschaft aus Direktor und Ärztebeirat ähnlich hinterher wie viele Zitha-Ärzte. Denn beim neuen Eigentümer geht es nicht „liberal“ zu. Dass die Schumann-Stiftung gern behauptet, sie betreibe „Privatkliniken“, ändert nichts daran, dass die straff geführte Betriebe sind.

Weil Lydia Mutschs Gesetzentwurf letzten Endes nicht viel mehr festzuschreiben versucht als das, was Alltag ist in dem Bistumsklinikum, das von der CSV stets protegiert wurde, dürfte deren Opposition gegenüber den neuen Regeln für die Mediziner sich in Grenzen halten. Da obendrein die Ärztefront schwächer ist als 2010, stehen politisch die Chancen gar nicht schlecht, die Klinik-arzt-Artikel durchs Parlament zu bringen.

Allerdings wäre damit die Frage, wie man die Ärzte besser in den Spitalbetrieb einbindet, noch nicht beantwortet. Ein paar Artikel von Belgien abzuschreiben, reicht nicht. Nötig wäre, zu sagen, ob das Belegarztprinzip weiter Bestand haben soll oder ob und wann die Festanstellung à la CHL besser wäre. Einfach ist das nicht: Noch nie wurde das CHL mit einem großen Belegarzt-Spital regelrecht verglichen. Klar ist aber, dass das Belegarztsystem Vorteile hat. Wird ein Patient von einem Spezialisten behandelt, kann er meist davon ausgehen, dass der auch an einem Spital akkreditiert ist und falls nötig seinen Patient dorthin mitnimmt. Ist die Krankenhausbehandlung zu Ende, betreut derselbe Spezialist den Patienten weiter. In Deutschland, zum Vergleich, ist das für öffentlich krankenversicherte Patienten verboten; dort existiert eine für die Krankenkassen sehr teure „doppelte Facharztschiene“ aus einerseits in einer Praxis niedergelassenen und andererseits in einer Klinik angestellten Ärzten. Ambulant weiterbehandeln darf ein Klinik-arzt in Deutschland nur privat Versicherte.

Weil Belegärzte Freiberufler sind, gelten für sie auch keine festen Arbeitszeiten. Weshalb das Luxemburger Klinikwesen mit relativ wenig Ärzten auskommt, dafür mehr Krankenpfleger zählt, und es teurer würde, falls man mehr Ärzte fest anstellt und gleichzeitig Puffer für Urlaub und Krankheit schaffen müsste. Aber wäre die Antwort die, beim Belegarztsystem zu bleiben, müsste man sagen, welche Rechte und Pflichten die Freiberufler hätten. Und: Soll im Gegenzug für Mitsprache und Mitentscheidung ein Teil des Honorars einbehalten werden wie in Belgien? Sollen Belegärzte, wie in Kanada, alle fünf Jahre anhand von Leistungsvorgaben ihre Verträge evaluiert erhalten, oder alle zwei Jahre wie am American Hospital in Paris?

Diese Diskussion gehört breit und offen geführt. Geschähe das, könnte womöglich der Rest der Legislaturperiode dazu nicht reichen. Aber eine Alternative gibt es nicht wirklich. Streicht Lydia Mutsch die vier Artikel über die Ärzte aus dem Gesetzentwurf, würde alles schlimmer. Die Spitäler könnten das als Signal verstehen, das Globalbudget sei kaum mehr wert als das Papier, auf dem es geschrieben steht. Wird bei der CNS beim nächsten Konjunktureinbruch das Geld knapp, müsste improvisiert werden. Und das geht, wie die Erfahrung lehrt, selten gut aus.

Peter Feist
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