Luc Spadas erstes Buch war noch nicht veröffentlicht, da hatte er seinen Namen längst unter das Kulturvölkchen gebracht. Der „Schauspieler und Poet“ (so nennt er sich selbst) hat bereits ein Theaterstück geschrieben und auf die Bühne gebracht, schauspielert, organisiert Lesungen seiner und fremder Gedichte und war dieses Jahr mit dem Luxemburger Kontingent bei der Leipziger Buchmesse. Das Label „Luc Spada“ war etabliert, bevor das gedruckte Produkt auf den Markt kam.
Die erste Buchveröffentlichung des jungen Dichters (geb. 1985) nennt sich [lt]i[gt]so sehr du mich auch willst, du wirst mich immer mehr wollen[lt]/i[gt]. – „Rauschliteratur“ sei das, bzw. handele es sich hier um „gesammelte Buchstaben“. Eine etwas eigenartige Kombination: emotionale Überladenheit, markiert mit Großspurigkeit und einer nahezu sinnfreien Verallgemeinerung. Pop? Die Titelflut trifft den dichterischen Habitus jedenfalls genau: wortreich, hyperbolisch, generisch, dabei nicht frei von Ironie. „Luc Spada ist nicht Ich“ hält die nächste Titelseite dem Leser entgegen. Das Ich ist natürlich auch niemand anderes als Luc Spada. Seine Relativierung der Autorpersona ist Teil eines dichterischen Projekts, das unablässig zwischen Selbstsuche, Selbstzweifel und Selbstbehauptung schwankt, das aber auf jeden Fall immer um das Selbst kreist, es von der Welt absetzt, es in verschiedenen Zuständen seelischer und körperlicher Erregtheit inszeniert. Ein romantischer Gestus, eigentlich.
Die Dichtung Luc Spadas ist lyrisch in dem ursprünglichen Sinn, dass sie dazu gedacht ist, laut gelesen zu werden. Der geübte Slampoet legt viel Wert auf die klangliche und rhythmische Erscheinung seiner Texte, häuft Binnenreime und Assonanzen, und pflegt – wenigstens punktuell – einen skandierbaren Sprachduktus. Dass er dabei dem lautlichen Effekt gewöhnlich bereitwillig den Gehalt oder die Kongruenz der Bildlichkeit opfert, dass er nicht zögert, auf grammatische oder idiomatische Korrektheit zu verzichten, unterstützt in manchen Fällen sogar die ekstatische Verschraubung der Verse und Sätze, die Spada offenbar anstrebt. Als poetische Mittel sind eine asyndetische Syntax oder eine sprunghafte Metaphorik im Prinzip genauso zulässig und konventionell wie drastisches Vokabular. Bei Ausdrücken wie „ficken“, „Wichse“ und „dumme Sau“ fallen vermutlich sogar weniger Altakademiker vor Schreck vom Stuhl als bei sprachlichen Schludrigkeiten wie „Sinn machen“ und „so um die zehn“ (als Zeitangabe).
Problematischer als diese dichterischen Freiheiten, die er sich gerne gönnt, könnte scheinen, dass Spada dazu neigt, sich mit der eben mal hingerotzten (vermeintlichen) Unverschämtheit zu begnügen, statt sie mit einer unerwarteten Pointe zu versehen oder in ein stimmiges Ganzes einzufügen. Wenn ein trotz aller Plumpheit doch recht gewitztes Reimchen wie „Erlöse mich von allen Mösen“ zu den kreativen Glanzlichtern eines Buches zählt, liegt dort vermutlich einiges im Argen.
Einmal zugestanden, dass es an der Abgestumpftheit des Lesers liegen könnte, wenn er sich angesichts mancher Texte fragt, wen hier Wut und Verve treffen sollen, mit denen Spada gegen die Welt und die Konventionen der Gesellschaft anschrei(b)t, interessieren sich die „alten Säcke im Anzug“ „in dieser Vielfalt von Arschlöchern“ doch wohl sicher nicht die Bohne für lyrische Attacken dieser Art. Einmal zugestanden außerdem, dass die hemmungslose Übertreibung, die freimütig zur Schau gestellte Naivität und die Schwatzhaftigkeit Teile der theatralischen Selbststilisierung als „junger Wilder“ sind und zugestanden auch, dass man selbst in einem Buch über ein so traditionelles Thema wie die Liebe nicht alle zwei Seiten einen Intertext herbeispinnen muss. – Der Spaß hört auf, wo Platzhalterformulierungen („erinnerung an etwas“ – woran zum Beispiel? usw.) Überhand nehmen, Verallgemeinerungen schon auf sprachlicher Ebene absurd werden („Die Idioten sind nicht die Kunst, sondern die Künstler.“) oder ins unfreiwillig Komische kippen („Optik hat was mit Augen zu tun.“).
Aussagen wie „Wir erwarten, was wir bisher noch nicht erlebten.“ sind unbestreitbar richtig, nicht weil sie eine universelle Erfahrung wiedergeben, sondern weil sie analytisch sind, also über die Wortbedeutung hinaus keinen Informationsgehalt besitzen. Sie mit Gleichklängen auszustatten, ändert daran nichts: „Die Sekunden vergehen, zerlegen die Minuten, bevor sie auf Stunden zergehen.“ Ja. „sein kein schein/ kein schein rein/ fein/ gerne fein/ ganz fein/ ist nicht rein/ alles andere als rein.“ – das klingt lustig und ein wenig verspielt wie eine von Eliza Doolittles Sprachübungen, nur bedeuten tut es nicht sehr viel.
„Das Gefühl, das warme, herzliche Gefühl ist immer banal und unbrauchbar,“ schrieb einmal einer, der es wissen musste, und man tut gut daran, sich bei eigenen Schreibversuchen daran zu erinnern. Auf die Form kommt es an. Heftige Gefühle und andere Rauschzustände sind ja meist nur für denjenigen interessant, der sie hat.
Das kann Luc Spada freilich egal sein. Von Buchkritiken hängt sein Erfolg nicht ab.