Am Mittwoch nächster Woche soll das Parlament das Gesetz über die Koordinierung und die Verwaltung der öffentlichen Finanzen verabschieden. Damit sollen eine Defizitbremse, ein mittelfristiges Haushaltsziel und ein Korrekturautomatismus, wie sie im europäischen Stabilitätspakt von 2012 vorgesehen sind, sowie ein mittelfristiger Finanzrahmen und ein Conseil national des finances publiques, wie sie das Six-Pack von 2011 vorschreibt, in das nationale Recht übernommen werden. Dass nicht jedermann ganz wohl dabei ist, zeigt sich daran, dass das Gesetz sieben Monate Verspätung hat und bis zuletzt über eine „verstärkte Mehrheit“ beim Votum diskutiert wurde, die einen „verfassungsähnlichen Rang“ schaffen soll.
Als Folge der Schuldenkrise in der Euro-Zone soll Austeritätspolitik europaweit institutionalisiert werden, indem die Entscheidung darüber an automatische Prozeduren und Experten abgetreten wird, die keine politische Rechenschaft schuldig sind. Auf diese Weise verzichtet das aus allgemeinen und geheimen Wahlen hervorgegangene Parlament weitgehend auf das wichtigste Instrument der Politikgestaltung, die Entscheidung über die Staatsfinanzen. Das heißt die Entscheidung, wie viel Geld der Staat als Steuern eintreibt und wozu er es ausgibt – und damit auch, bei wem er es eintreibt und zu wessen Gunsten er es umverteilt.
Das aus den britischen Kolonien in Nordamerika als „No taxation without representation“ bekannte Prinzip ist ein Grundpfeiler der parlamentarischen Demokratie, das auch hierzulande das Bürgertum in der Mitte des 19. Jahrhunderts dem König-Großherzog abzuringen begann. Diese Ära geht nun zu Ende, und nicht nur im Interesse der Stabilität der gemeinsamen Währung. Nicht zufällig hat die Regierung bisher das Parlament auch von der Haushaltsreform, von der Vorbereitung des „Budgets der neuen Generation“, ausgeschlossen.
Der britische Soziologe Colin Crouch hatte im Jahr 2000 für die altehrwürdige Fabian Society eine schmale Broschüre unter dem Titel Coping with Post-democracy veröffentlicht. Postdemokratie ist für Crouch, „while the forms of democracy remain fully in place – and today in some respects are actually strengthened – politics and government are increasingly slipping back into the control of privileged elites in the manner characteristic of pre-democratic times“ (S. 4). Wahlen würden dann „a tightly controlled spectacle, managed by rival teams of professionals expert in the techniques of persuasion, and considering a small range of issues selected by those teams“ (S. 2).
Die Folgen oder das Ziel der Postdemokratie sei: „The welfare state is gradually becoming residualised as something for the deserving poor rather than a range of universal rights of citizenship; trade unions exist on the margins of society; the role of the state as policeman and incarcerator returns to prominence; the wealth gap between rich and poor grows; taxation becomes less redistributive; politicians respond primarily to the concerns of a handful of business leaders whose special interests are allowed to be translated into public policy; the poor gradually cease to take any interest in the process whatsoever and do not even vote, returning voluntarily to the position they were forced to occupy in pre-democracy“ (S. 16).
Das Gesetz über die Koordinierung und die Verwaltung der öffentlichen Finanzen ist eine wichtige Etappe auf dem Weg in die Postdemokratie.