Machtübergabe, sich übergeben

d'Lëtzebuerger Land vom 24.01.2025

Das Kapital kuschelt im Kapitol mit dem Führer, draußen friert das Volk, überall sind, allerliebst, Blondinen, die nicht nur gleich ausschauen, sondern auch gleich dreinschauen, das vereinfacht alles. Die Entourage, Vance mit seiner erstaunlich lebendig wirkenden Frau, das aufgekratzte Triumvirat der reichsten Männer der Welt. Der angestorchte angestakste Clan, diese Art von Führern zeigt sich ja gern umringt von Stamm, Sippe, haben sie sich doch, seht her! biblisch tatkräftig vermehrt. Sind keine Lost Singles wie sie sonst in dieser orientierungslosen, aussterbenden Gesellschaft umhertaumeln.

Die Märchenstunde mutiert zur Gruselstunde. Zückt die Gattin im Zorro-Look den Degen, wie sie so hinter ihm steht, augen- und gesichtslos? Und was ist das für ein Gespensterkuss, der durch die sozialen Netzwerke spukt? Später führt der Führer sie am Arm, blind behütet, oder prophylaktisch tot? „We have assembled inside this ancient and insane theatre“, singt Jim Morrison in An American Prayer, Vance schaut wie Morrison aus.

Die Rede ist eine Ankündigung, nein, eine Verkündigung. Mit dem üblichen Kitsch light hält sich der Präsident nicht auf, mit Versöhnung-Einheit-dass-er-für-alle-da-ist, diesem Kindertheaterzeug, es geht zur Sache. Um Rache. Um Demütigung. Die schüttet er aus über den stoischen Häuptern der Demokrat/innen, die zu Würdenträger/innen mutieren, uralte Denkmäler, Grabsteine, man möchte zu ihnen pilgern, sie mit einer Zähre begießen. Nur Old Joe kichert hin und wieder in sich hinein.

Der Kitsch des Führers ist von wahrhaft wahnhaft gewaltigerer Dimension. Amerika groß, jetzt, ab jetzt, megamagagroß. Eine riesige Kaugummiblase. Wegen Ihm. Durch Ihn. Weil Gott. Weil von Gott. Er. Durch Gott. Wer kann da? Wer kann da dagegen? Gegen Gott. Da erheben sie sich lieber. Und zwar nicht gegen Ihn. Im Kapitol. Eben noch gestürmt. Wegen Ihm. Für Ihn. Erheben sich, vor dem Kapital und dem Gott, diesem Komplott. KI-Gott auch noch.

Der Auserwählte sagt Sachen, die jede versteht. Die versteht eine Dreijährige, das ist seine Stärke. Was ist daran schwer zu verstehen, dass Er Grönland will? Er braucht es, also Amerika, Er ist Amerika, also her damit! Und weg mit den Migrant/innen! Und den Trans-Menschen. Gibt sie ja sowieso nicht. Und den vielen Geschlechtern. Man muss nicht mal mehr bis drei zählen. Uff. Endlich sagt es einer. Per Dekret auch noch.

Die Raubkatze springt aus dem Sack, Applaus! Er sagt was er tut. Keine wird sagen können sie hätte es nicht gewusst. Es war immer klar. Immer Klartext. Es wird überhaupt immer mehr Klartext gesprochen, Klartext wird immer beliebter. Re-mi-gra-tion. Sagt Weidel. Sie wiederholt es. Kostet es aus. Sie sagt das R-Wort, das No-Go-Wort mit großer Genüsslichkeit. Der österreichische Bald-Kanzler Kickl hat das Zauberwort vor dem Stephansdom gebrüllt, der nicht mal kollabiert ist, so resigniert ist er schon.

Endlich darf man es sagen! All das was man nicht sagen darf. Mouerekapp, schreien sie von den 66 oder wie viel Brücken der Stad, das tut so gut! Diese Fesseln, endlich frei! Wir wollen endlich entfesselt sein und entfesselt Fleisch essen, fliegen, Auto fahren. Was wir alles zwar sowieso tun, aber jetzt rehabilitiert wurde, und wir müssen nicht mehr gut sein, menschlich sein, all der Quatsch. Wir können Arschlöcher sein, offiziell, per Dekret, Trump hat es gesagt und wir müssen nicht mehr auf drei Toiletten gehen, dass keines sich mehr hinten und vorne auskennt, Putin macht das auch nicht. Die gute alte Heuchelei hat ausgedient. Schade. Bedeutete immerhin, dass es eine moralische Referenz gibt. Ein Vergleichswert. Ein Maßstab. Der derzeit gesprochene Klartext ist hingegen schamlos. Die Zeit der Scham ist vorbei. Die unverschämte Zeit ist da.

Und dann steht da plötzlich eine Frau und redet auch Klartext, sie ist eine Bischöfin und sie redet wie ein Mensch zu dem Typen, der Gottesmissbrauch betreibt. Und die Visagen der Entourage gerinnen in ihrer Blödheit und die Frau redet unbeirrt weiter und es überkommt so etwas wie Hoffnung die vollkommen Fertigen.

Michèle Thoma
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