Leitartikel

Vom schlanken zum ausgehungerten Staat

d'Lëtzebuerger Land vom 06.10.2017

Auch das noch. Ohnehin stand das Finanzministerium vergangene Woche im Verdacht, den Einsatz verpasst zu haben, um sich gegen die Reformvorschläge der EU-Kommission für die Aufsicht der Investmentfonds zu wehren. Gemäß der Strategie des good cop/bad cop, nach der sich die Regierung nicht vor Verhandlungen die Hände schmutzig macht, hatte sie den Berufsverbänden Alfi und ABBL im Konsultationsprozess die Aufgabe überlassen, die nationalen Interessen zu vertreten. Als aber vom Inhalt des Kommissionsvorschlags, der im schlimmsten aller Fälle zur einer innereuropäischen Verlagerung des Fondsgeschäfts aus Luxemburg führen könnte, sowohl die Berufsverbände wie das Ministerium überrascht wurden, erweckte das nicht den Eindruck, als ob Finanzminister Pierre Gramegna (DP) und seine Beamten Herren der Lage seien (d’Land, 37/2017).

Nur Tage später flatterte eine Verwarnung ins Haus. Der EU-Kommission geht es in Luxemburg nicht schnell genug mit der Umsetzung der aktualisierten Mifid-Richtlinie voran, die den Wertpapierhandel regelt. Dabei hat Luxemburg auch die vierte Anti-Geldwäscherichtlinie noch nicht umgesetzt, die eigentlich vergangenen Juni in Kraft trat. Das untergräbt die Bemühungen Pierre Gramegnas, Luxemburg im Ausland als tipptopp sauberes Land zu präsentieren, frei von Steuerflüchtlingen und anderen zwielichtigen Gestalten. Die Richtlinie, mit der die EU den Zugang zu Bankdienstleistungen neu regelte, hat Luxemburg mit fast einem Jahr Verspätung umgesetzt. Die Liste der Banken, die gesetzlich verpflichtet sind, jedem ein Konto zu eröffnen, der danach fragt, wurde erst letzte Woche veröffentlicht.

Auch in der Vergangenheit hinkte Luxemburg bei der Umsetzung von Richtlinien hinterher. Neu ist, dass es dabei nicht um den Bau von Kläranlagen und anderen, in den Augen vieler, frivolen Luxusartikel geht. Sondern um die Regeln, die bestimmen, wie der wichtigste Wirtschaftssektor im Land arbeitet: die Finanzbranche. Da galt bisher immer der Leitspruch: „Die Direktive und nichts als die Direktive.” Und das möglichst zügig. Denn dass die Fondsbranche überhaupt florieren konnte, darüber herrscht Konsens, ist vor allem darauf zurückzuführen, dass sich Luxemburg mit der Umsetzung der Richtlinie beeilte und sich dadurch einen (bisher) nie eingeholten Vorsprung verschaffte.

Dem Land sagte der ehemalige CSSF-Direktor Jean Guill kürzlich, in den vergangenen Jahren habe sich der Trend verstärkt, laut dem die Gesetzentwürfe von Geschäftsanwälten vorbereitet würden. So dass sich die Indizien dafür mehren, dass im Finanzministerium akuter Personalmangel herrscht. Das ist eher Luc Friedens (CSV) Schuld als die seines Nachfolgers. Frieden wollte beim Sparen immer mit gutem Beispiel vorangehen und stellte im eigenen Haus nicht ein. Er hielt auch die vom Finanzministerium abhängigen Verwaltungen an der kurzen Leine. Regelmäßig wiesen die Einregistrierungsbehörde oder das Steueramt in ihren Jahresberichten mehr oder weniger deutlich auf die ständig steigende Arbeitslast hin. Dass mit Gramegnas Einzug ins Finanzministerium mehrere hohe Beamte gingen, verschärfte ein bestehendes Problem dahingehend, dass (auch in Brüssel) gut vernetzte Leute fehlen. Durch Pensionierungen ging Erfahrung verloren.

Diese Lücke ist nicht auf die Schnelle zu schließen. Nicht mit der Rekrutierung von Angestellten aus dem Privatsektor, die erst lernen müssen, wie die Geschäfte des Staates und die in Brüssel geführt werden. Und anscheinend nicht mit jungen Mitarbeitern, die sich die Karriereleiter hocharbeiten. Denn den Zulassungstest für den Staatsdienst schafften in den vergangenen Runden von 245 Kandidaten nur 77, keiner davon mit Auszeichnung. Im Bereich Finanzen gab es nur einen erfolgreichen Kandidaten. So fehlen einem Schlüsselministerium die personellen Mittel, um die souveränen Interessen zu verteidigen, beziehungsweise um zu entscheiden, worin diese bestehen, bevor es zu spät ist. Das Beispiel der Fondsverwaltung zeigt, dass dies sich auch für jene rächt, die via Arbeitgeberverbände am lautesten nach schlankem Staat und Privatisierung rufen.

Michèle Sinner
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