Schmoetten, Paul: Im Nachtpark

Herr seiner Wüste

d'Lëtzebuerger Land vom 27.06.2014

Bereits 2013 ist Pol Schmoettens Gedichtband Im Nachtpark erschienen, eine Suite von sieben teils sehr kurzen Zyklen, deren Schwerpunkte eher Nuancen eines gleichbleibenden Themas als klar umrissene Unterschiede darstellen. Wiederkehrende Metaphern und Motive, – der Nebel, die Krähen, der Blick aus dem Fenster –, leisten ein Übriges, um dem Band seinen Zusammenhalt und eine gewisse Gleichförmigkeit zu verleihen.

Ausgangspunkt ist die – keineswegs ironiefrei entworfene – Pose des Autors an seinem Schreibtisch, der sich in unablässig wiederholten Akten der poetischen Selbstvergewisserung sein unmittelbares Umfeld dichterisch anzueignen sucht. Schmoetten erweist sich dabei ab der ersten Seite als akribischer Beobachter des Nächstliegenden, der zunächst teils Läppisches und Profanes zentriert und heranzoomt. Unscheinbares wird in dieser sprachlichen Vergegenständlichung mit ungeahnter Bedeutung aufgeladen. Der „morgenbesuch“, eine „winzige spinne“, die sich aus dem Bücherregal abseilt, begibt sich, wo „die welt am ende/ des fadens zu weit“ wird und sie keinen halt findet, „ins dunkel der bücher/ zurück“ (S. 9). Mit der Übertragung dieser denkbar unwesentlichen Begegnung ins Gedicht wird die Spinne zur Metapher für den Dichter, auch er „grund ertastend mit zögerndem fuß“ (S. 10): Literatur als Weltflucht, als Abschottung vor dem Allzuweiten, Allzulauten da draußen, in dem sich das einzelne kleine Individuum zu verlieren droht.

Empfindlich registriert das Ich die Zumutungen seiner Umgebung. Während der Mond, dieser alte Freund der Poeten, sich „auf leisten sohlen“ durch die Nacht „schleicht“ (vgl. S. 28), macht sich die Grille dadurch bemerkbar, dass sie „schreit“. Es „schreit“ auch die Uhr (S. 86) und es brüllen die Staubsauger (S. 74) und die Hubschrauber (S. 79). Ein barfüßiger Spaziergang „über grüne wiesen“ wird durch die Angst des Ichs „vor zigarettenstummel/ oder dem hustenrotz“ von „unbekannten terrortouristen“ vereitelt (S. 45). Nur ganz vereinzelt und mit einer sarkastischen Grimmigkeit lässt der Dichter die wahren Zumutungen der Welt aufscheinen: im Spiegelbild eines Präsidenten, der sich freundlich zunickt, während Kinder hungern und Mütter weinen (S. 12), oder im Gegensatz zwischen kulinarischen Spitzfindigkeiten („krabbensoufflee/ auf himbeergelee“) und dem ungleich unfreundlicheren Tod anderer Weltgegenden, der den „landminenkindern“ die Beine vom Leib reißt (S. 103).

Vielleicht um sich selbst vor dieser zudringlichen Welt zu schützen, richtet sich das Ich in den meisten Texten im „dorf auf dem schreibtisch“ (S. 26) heimisch ein, beobachtet den Lichteinfall durch das „vorhanggitter“ (S. 18), lauscht dem „erste[n] zirpen am morgen“ (S. 20) und macht sich daran, als „papierentomologe“ mit einem „lanzengespitzt[en]“ Bleistift „auf wörterfang“ (S. 24) zu gehen. Dabei geht es um Existentielles, um die Setzung des Gedichts als Vignette des Dichters: Auf seiner Pirsch „klaubt“ sich das Ich „die dinge“ zusammen, letztlich: sein „passbild/ in klammern gesetzt“ (S. 10). Die Aufgabe, diese „dinge“, die treffenden Wörter, aufs Papier zu bringen, ist der zentrale Fokus von Im Nachtpark. Stets entzieht sich die Möglichkeit einer unverbrauchten Metapher (vgl. „ich mahne die worte/ die kammern zu wechseln“, S. 28), mühsam muss der Dichter in seiner „vedunkelte[n] schreibstube“ „böse farben/ aus worthülsen“ waschen (S. 45). Seine Suche nach dem geeigneten, dichterischen Wort und seine Sorge, die Worte könnten in die Sinnlosigkeit oder das Unsagbare zurückfallen („in die grube aus der sie/ mühsam geklaubt“), erinnert dabei teilweise an Heideggers Lektüre von Stefan Georges Gedicht Das Wort, mit ihrem Insistieren auf dem Verhältnis des Dichters zur Sprache noch vor der „Erfahrung“ mit der Sprache, auf sein mühseliges Bergen des Wortes, das dann vielleicht doch keine sagbare Form annimmt1.

Was aber beim „wörterfang“ ins Netz geht, welche „wahnwörter“ (S. 50) er fängt und welche „dinge“ der Dichter tatsächlich zusammenklaubt, bleibt im Ungefähren. Das lyrische Ich als „bedingungsdenker“ verliert sich gelegentlich in den Gegenden, „wo metatranszendentale bleikarawanen/ durch stolperwüsten meandern [sic]“ (S. 26), eine schwerfällige Metapher, die dem Ringen um das unsagbare „wort/ vor dem wort“ gilt. Wie George bleibt auch Schmoetten dem Leser die aus dem „wortschutt“ hervorgeholten und „polierten silben“ (S. 27) schuldig. So heißt es an anderer Stelle (S. 23):

„schatten fallenauf die schriftund bleibeneh sie trocknet gefangenim wort.“

Welches Wort das sein könnte, sagt der Dichter nicht. Am Ende, als er den „gartenblick“ auf die gebändigte Natur genießt, nachdem er – ähnlich wie der Zeus aus Goethes Prometheus – die Bäume „geköpft“ hat, kommt einmal mehr der Verdacht auf, dass hier weniger der Schreibprozess mit seinen Widerständen und eher das Sitzen am Schreibtisch im Mittelpunkt der lyrischen Auseinandersetzung steht.

Zum Titel: Vgl. S. 97: „herr deiner wüste immerhin/ treibst du ziellos wütende stürme/ durch dein spiegelkabinett/ stehst posten am tor/ und die nächste haut ist so fern“.
Elise Schmit
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