Rückblende: Man habe sich geeinigt, verkündete Horst Seehofer, deutscher Heimatminister und Vorsitzender der CSU, vergangene Woche. Der Koalitionsausschuss von CDU, CSU und SPD habe im Streit um eine Lösung der Flüchtlingsproblematik einen Konsens gefunden. „Das ist alles von A bis Z so, wie man sich das als zuständiger Minister wünscht“, sagte Seehofer am Donnerstag vergangener Woche. Man sei mit den Sozialdemokraten übereingekommen, dass man von den umstrittenen „Transitzentren“ ablasse und stattdessen in Polizeistationen „Transferzentren“ einrichte. Es kämen ohnehin nur noch zwei bis fünf Flüchtlinge pro Tag über die Grenze. Dann erfolge eine fixe Prüfung und nach spätestens 48 Stunden seien sie wieder frei und würden in andere EU-Länder zurückgebracht“, beschrieb der Minister die Aufgabe und den Sinn der Zentren, die an drei ausgewählten Orten an der deutsch-österreichischen Grenze eingerichtet werden sollten. Damit sei der von Seehofers Ministerium erarbeitete Masterplan, der in 63 Punkten gegen die Flüchtlingskrise angehen wollte, eigentlich obsolet.
Uneigentlich: Großer Bahnhof, großes Tamtam, große Pressekonferenz als Seehofer am Dienstag dieser Woche – also fünf Tage später – seinen viel diskutierten Masterplan dennoch der Öffentlichkeit präsentierte. „Das ist ja kein Masterplan der Koalition“, so der Innenminister, sondern ein Masterplan seines Hauses „unter seiner Verantwortung“. Und fügte hinzu: „Alles, was in der Umsetzung europäisch, mit den Ländern oder national durch den Bund erfolgt, wird hier dann nicht aufgenommen.“ Er lieferte denn auch das Erklärstück, warum ein veralteter Plan dennoch auf die politische Agenda gesetzt wird – oder aber eben nicht: Es sei nämlich viel zu kompliziert, den Plan ständig zu aktualisieren. Man werde auch in den nächsten Wochen, wenn es an die Umsetzung gehe, den Masterplan nicht mehr modifizieren. So findet sich noch darin: „Wir richten Transitzentren ein, aus denen die Asylbewerber direkt in die zuständigen Länder zurückgewiesen werden (Zurückweisung auf Grundlage einer Fiktion der Nichteinreise).“ Dies war der Stand des beschwerlich gefundenen Kompromisses zwischen CDU und CSU, nicht aber desjenigen, den der Koalitionsausschuss ausgehandelt hatte. Seehofers Erklärung: „Hätte ich diesen Punkt reingeschrieben, würde die SPD automatisch in Mithaftung genommen für alle anderen Punkte, die zum Stand 4.7. darin stehen. Und ich kann Ihnen beim besten Wille nicht sagen, ob alle anderen Teile von der SPD getragen werden.“ Und schob nach: „Ich betone ausdrücklich, es ist keine Provokation – aber wenn Sie wollen, dann können Sie das auch so sehen.“ Karl Lauterbach, SPD, reagierte per Twitter: „Der Master of Desaster stellt seinen Masterplan vor. Wir nehmen das nur noch zur Kenntnis.“
Seehofer gibt den harten Mann, den Macker und den Macher. Er glaubt tatsächlich, dass er mit seinen Rücktritten und Rücktritten von Rücktritten Dinge in Bewegung gesetzt hat – und damit zur Lösung der Flüchtlingskrise beiträgt. Während seine Gegner ihm vorwerfen, im Berliner Kabinett Chaos gestiftet zu haben, habe er in der Asylpolitik für Ordnung gesorgt. Erst auf seinen Druck hin habe sich die Europäische Union zu schnellerem Handeln und Entschlüssen – in seinem Sinne – durchgerungen. Nun will Seehofer bis Ende des Monats Klarheit schaffen und bilaterale Verträge erzielen. Mit Italien, Griechenland, Spanien. Österreich hat ihn auflaufen lassen. Seehofer erwartet „schwierige Gespräche“.
„Die CSU könnte auf ihre eigenen Erfolge verweisen, etwa darauf, dass die Asylgesetze auf ihren Druck hin schon massiv verschärft wurden und eben keine Invasion Bayerns bevorsteht, sondern die Flüchtlingszahlen sinken“, kommentiert Lisa Schnell in der Süddeutschen Zeitung. „Sie könnte sich dazu entschließen, Zuversicht zu verbreiten.“ Doch bis jetzt steuere die Partei in die entgegengesetzte Richtung, indem sie die Sprache der AfD übernehme und Ängste schüre. „Das ist inhaltlich fatal, weil die CSU sich immer weiter von ihrem christlichen Kern entfernt – aber auch taktisch. Denn wer Angst hat, wählt oft radikal. Und damit die AfD.“
Das ist der persönliche Masterplan des Horst Seehofers. Er möchte die einzige Partei am rechten Rand des politischen Spektrums sein und damit die konservativen Wähler in Bayern, wenn nicht gar in ganz Deutschland in seiner CSU vereinen. Dazu möchte er den Bruch mit der Schwesterpartei CDU herbeiführen, um endlich in ganz Deutschland antreten zu können. Und dazu möchte er den Sturz Angela Merkels auslösen, um der AfD ihr wichtigstes Thema zu nehmen: „Merkel muss weg!“
Dabei übersieht Seehofer jedoch, dass „Merkel“ nur eine Chiffre für dasjenige politische System Deutschland ist, das die AfD gerne als „Altparteienherrschaft“ diskreditiert. Dazu gehören auch Horst Seehofer und die CSU. Denn würde in Berlin auch die Kanzlerin zurücktreten und einer Nachfolgerin, einem Nachfolger Platz machen, wird sich die Parole der Rechtspopulisten lediglich der Name ändern. Denn die AfD hat die Volten Seehofers vor allen Dingen als ihren Erfolg gekauft: „Wir haben Frau Merkel endlich dazu gebracht, was sie niemals tun wollte“, so Alice Weidel, Co-Fraktionsvorsitzende der AfD im Bundestag. „Gäbe es die AfD nicht, hätte sich Seehofer in der Asylkrise nie so weit hinausgewagt und Frau Merkel zu diesen Schritten gezwungen.“ Allein weil die Union derart große Angst vor der AfD habe, sehe sie mittlerweile keinen anderen Weg mehr, als deren Forderungen umzusetzen. „Weitere Schritte werden dank der AfD folgen. Dabei ist es trauriger Hohn, dass es die AfD als Rechtsstaatspartei überhaupt braucht, damit geltendes Recht eingehalten wird.“ Wobei Weidel offen lässt, gegen welches Recht die Bundesregierung verstoßen haben soll.
Horst Seehofer glaubt derweil an seinen Masterplan. Demnach sollen Ankerzentren eingerichtet werden, in denen das gesamte Asylverfahren abgewickelt werden soll, wobei alle zuständigen Behörden und Gerichte dort vertreten wären. Sie finden wenig Unterstützung bei den Ländern. Der Heimatminister will auch das Weiterziehen der Migranten innerhalb der EU eindämmen. Dazu soll die Überstellung von Asylbewerber in andere EU-Staaten verstärkt werden. Dazu bedarf es bilateraler Abkommen. Die Außengrenzen der EU sollen besser geschützt werden. Aus dem Mittelmeer gerettete Migranten müssen dann zu sogenannten „Ausschiffungsplattformen“ in Nordafrika gebracht werden. Dort ist bis jetzt kein Land bereit, ein solches Zentrum auf seinem Staatsgebiet zu tolerieren. Wer es dennoch nach Europa schafft, wird dann in „kontrollierte Einrichtungen“ gebracht. Wie diese ausgestaltet werden, lässt Seehofers Masterplan offen.