Heute loben wir die alten Esel. Im Feierkrop, dem Zentralorgan der lukrativen Dauerentrüstung, stand neulich ein Beitrag, der wie folgt endete: „So ein alter Esel.“ Das Prädikat galt einem berühmten Schriftsteller, der ein verunglücktes Gedicht veröffentlicht hat. Sollte sich aus diesem Satz eine Spur von Argumentation herausfiltern lassen, so wäre es wohl diese: der entgleiste Schriftsteller hat sich benommen wie ein alter Esel.
Um diese Verunglimpfung müsste sich die Tierschutzliga kümmern. Denn Esel sind sehr intelligente Tiere. Selbst im hohen Alter lesen sie weder schlechte Gedichte, noch gar den Feierkrop. Sie setzen auch keine Hirngespinste in die Welt. Ihr Stoizismus ist legendär, ihre melancholische Grundstimmung auch. Wer einmal den stimmlichen Ausbruch eines Esels erlebt hat, wird ihn nie wieder vergessen. Das klingt nach einem gewaltigen Schluchzen, einem Verzweiflungsschrei. Von Heimtücke kann bei Eseln keine Rede sein. Anders als etwa der Habicht oder die Giftschlange Anaconda stürzen sie sich nicht aus dem Hinterhalt auf ihre wehrlose Beute. Den Menschen ertragen die Esel mit bewundernswerter Gelassenheit. Obwohl uns Luxusgeschöpfen nicht viel Besseres einfällt, als Esel hemmungslos auszubeuten, werden wir von diesen duldsamen Tieren nicht mit dauerhaften Ressentiments bestraft. Ein Mensch, der einen alten Esel nachahmt, muss also buchstäblich ein Tugendbold sein.
Nun zu dem schlechten Gedicht. Noch nie hat ein schlechtes Gedicht den Weltfrieden gefährdet. Sehr wohl aber schlechte Politik. Manchmal ist schlechte Politik so schlecht, dass sie auch noch schlechte Gedichte provoziert. Das wär’s dann eigentlich gewesen. Wir könnten uns ja auf ein sehr einfaches Fazit einigen: der Dichter hat sich vergriffen, das ist bedauerlich, aber es gibt andere Dichter, die bessere Argumente ins Feld führen. Insofern ist das Gleichgewicht zwischen irrtümlichen Meinungen und sachgerechten Ansichten nicht nachhaltig gestört. Schwamm drüber, der nächste Irrtumshändler klopft schon ungeduldig an die Tür. Und der nächste Tugendwächter wird die Tür vielleicht gar nicht öffnen.
Aber nein. So einfach lassen wir den Meinungsverbrecher nicht entkommen. Der deutsche Literaturkritiker Georg Diez, ein sehr aufmerksamer Irrtumsjäger, der schon mit Grandezza den Schriftsteller Christian Kracht in die berüchtigte Hitlerfalle trieb, schreibt in seiner Spiegel-Online-Kolumne: „Mein Lieblingssatz zu der ganzen Sache stammt von meinem Freund Nick aus Amerika, und in seiner Sprache klingt dieser Satz gleichzeitig charmanter und brutaler als auf Deutsch: ‚Kann ihm nicht jemand einfach einen großen, unhandlichen Gegenstand in den Mund schieben, damit endlich Ruhe ist‘.“ Ja, das ist in der Tat sehr charmant. Hier handelt es sich wohl um Altenpflege auf amerikanisch. Man sollte die alten Wirrköpfe endgültig knebeln, damit ihnen kein einziges Mal mehr das Lästermaul auffährt. Mit der einfachen Androhung von Gewalt erreicht man offenbar nichts. Man muss schon ganz konkret tätlich werden, wie der gescheite Mister Nick aus den USA empfiehlt.
Wir fragen uns nur, was zum Teufel Mister Nick dem armen Dichter da in den Mund schieben möchte? Einen großen, unhandlichen Gegenstand? Vielleicht einen Pflock? Oder einen derart schweren Zementblock, dass er nicht mit einer Hand zu fassen ist? Oder sollen dem Dichter einfach die Stimmbänder zubetoniert werden? Unsere amerikanischen Freunde sind sehr erfinderisch, wenn es darum geht, ungehorsame Zeitgenossen zum Schweigen zu bringen. Die Wahnsinnsbilder von Abu Ghraib haben wir ja noch vor Augen. Folter ist im religiös verseuchten Amerika vermutlich ein Menschenrecht. Vielleicht könnte man den kriminellen Dichter ja auch einem kleinen Waterboarding unterziehen. Und ihm so viel Wasser in die Lungen pressen, dass er nie mehr einen jämmerlichen Ton von sich geben wird.
Interessant ist auch, wen Mister Nick mit seinem geheimnisvollen „man“ gemeint hat. Wer sollte da kurzen Prozess mit dem Dichter machen? Die zimperlichen, bürokratisch überkorrekten Deutschen werden sich wohl kaum dazu hinreißen lassen, mit großen, unhandlichen Gegenständen auf ihren Dichter loszugehen. Vielleicht sollte Mister Nick in diesem Fall diskret das transatlantische Bündnis mobilisieren. Da gibt es ausgewiesene Spezialisten für alle Spielarten der Vergewaltigung. Falls der große, unhandliche Gegenstand nicht reicht, kann man dem Dichter ja auch aus Staatsräson den Schädel zertrümmern. Dann sind die Sprechorgane immerhin auf ewig ausgeschaltet.
Hoffentlich vergreift sich keiner an den alten Eseln. Die Betonung, jedenfalls im Verständnis des Feierkrop, liegt hier eindeutig auf „alt“. Wenn der Esel alt ist, sollte er sich vom Acker machen. Alter ist ein dringender Grund, von der Bildfläche zu verschwinden. Oder jedenfalls seine alte Klappe zu halten. Immer wieder wurde in den letzten Wochen der „greise Grass“ erwähnt. Das ist eine herausfordernde Alliteration. Zum Glück arbeiten im Feierkrop nur junge, hübsche, taufrische Denkathleten.