Saubere Sprache

Wörtermassaker

d'Lëtzebuerger Land du 13.04.2012

Heute loben wir die saubere Sprache. Oder besser: die vorsorglich gesäuberte. Manchmal geht einem die Sprache ganz schön auf den Wecker. Sie enthält nämlich eine Menge Wörter, die bei Gebrauch sofort Unfrieden stiften. Das hat die New Yorker Schulbehörde klar erkannt, als sie verfügte, ein paar Dutzend gängige Begriffe auf den Index zu setzen. Bei vergleichenden Testaufgaben, die Aufschluss über schulische Fortschritte geben sollen, sind fortan hochsensible Wörter verpönt. Alles, was mit Sex oder Gewalt oder Krieg zu tun hat, soll in den Prüfungsfragen nicht mehr auftauchen. Wenigstens auf der sprachlichen Ebene sollen die Kinder vor den krassen Unebenheiten der Gesellschaft verschont bleiben.

Das ist im Grunde eine prachtvolle Idee. Wenn wir schon nicht in der Lage sind, den sozialen Ausgleich zu schaffen, können wir doch wenigstens die Sprache zum Instrument der Gerechtigkeit umformen. Wir merzen einfach alles aus, was zum sozialen Dissens führt. Nicht ganz so klar scheint, wieso die New Yorker Schulplaner auch Wörter wie „Geburtstagsparty“, „Dinosaurier“ oder „Swimmingpool“ aus der offiziellen Terminologie streichen möchten. Sie werden schon ihre Gründe haben. Irgendwer geht wohl gleich die Wände hoch, wenn er das Wort „Swimmingpool“ vernimmt. Da wir in Amerika sind, beruft er sich wohl auf religiöse Motive, dieses Wort beleidigend zu finden. Alles, was beleidigt oder vor den Kopf stößt, hat in der Sprache nichts verloren. Alles, was reli-giösen Zwist auslöst, sollten wir radikal amputieren.

Das Problem ist nur, dass der Sprache am Ende vollends das Vokabular ausgeht, wenn die Säuberung konsequent in Angriff genommen wird. Gibt es überhaupt konsensfähige Wörter? Jedenfalls sollten wir künftig zweimal überlegen, bevor wir einen potenziell unfriedlichen Begriff in den Mund nehmen. Das „Automobil“ zum Beispiel muss sofort verschwinden. Automobile sind schwere Waffen, rollende Bomben sozusagen. Kaum zu glauben, welche Hekatomben allein dem Automobil zuzuschreiben sind. Erschwerend kommt hinzu, dass sehr viele Menschen nicht über ein Automobil verfügen. Soll man etwas aussprechen, was bei vielen sofort Frustgefühle weckt? Also größeren Ärger provoziert?

Vielleicht sollten wir uns darauf einigen, beim Sprachverkehr nur noch Wörter zu verwenden, die garantiert unbelastet sind. Ein gutes Beispiel ist das Wort „Luft“. Die Luft verbindet gleichermaßen die gesamte Menschheit. Jeder von uns ist auf die Luft angewiesen. Und zwar unabhängig von politischen oder religiösen Vorlieben. „Luft“ ist das allerfriedlichste Wort überhaupt. Es ist durchaus denkbar, Prüfungsaufgaben auszuhecken, die sich ausschließlich mit Luft beschäftigen. Die Schüler werden so buchstäblich an die Luft gesetzt. Über Luft kann man mit vielen Ornamenten und malerischen Wendungen referieren, schön luftig und unbeschwert. Luft tut keinem weh. Sogar fundamentalistische religiöse Eiferer werden sich kaum erkühnen, die Luft in Frage zu stellen. Wenn ihnen nämlich die Luft wegbleibt, ist auch Schluss mit dem Gotteswahn.

Machen wir also eine Liste mit dissensfreien Wörtern. Und vor allem: bleiben wir standhaft, wenn die ewig Unzufriedenen unsere Liste anfechten. Selbst die sauberste Sprache wird nicht allen Kostgängern gefallen. Wir vernehmen schon die massiven Vorwürfe. „Luft“ ist gefährlich, voller Schadstoffe, eine permanente Attacke auf unsere Atemorgane. „Luft“ ist nur zum Schein gewaltfrei, sie benimmt sich unberechenbar, ballt ihre Kräfte unvermutet zusammen und tritt auf als zerstörerischer Sturm. Alles Schlimme kommt aus der Luft. Abstürzende Flugzeuge, Höllenmaschinen, die Wolkenkratzer rammen, verseuchte Vogelscharen, die plötzlich tot aus allen Wolken fallen. Wer „Luft“ sagt oder schreibt, bezeichnet eigentlich einen unerträglichen Zustand, eine Plage der Menschheit. „Luft“ gehört demnach nie und nimmer auf die Liste der lieblichen Wörter.

Ja, wo kommen wir dann da hin, liebe Sprachgemeinde? Wenn wir dieser Logik folgen, ist bald jedes einzelne Wort verdächtig und schuluntauglich. Wir müssten also die gesamte Sprache gnadenlos einstampfen. Na gut, vielleicht wäre dies der Weisheit letzter Schluss. Was nicht zur Sprache kommt, existiert nicht. Auf diese Weise könnten wir alle Probleme auf einen Schlag aus der Welt schaffen. Wofür es keine Begriffe mehr gibt, das verschwindet nachhaltig aus dem Bewusstsein. Wenn wir die Sprache ganz abschaffen, ist auch unser ständiges Gestotter und Gestammel über unsere leidvolle Existenz vorbei. Kollektives Schweigen ist übrigens schön. Es kehrt Ruhe ein, die Neurosen und Psychosen nehmen rasant ab, weil nicht jeder in einemfort nervös nach dem richtigen Wort suchen muss. Die sprachlose Gesellschaft wäre eine sehr entspannte Gemeinschaft.

Leider hat die New Yorker Schulbehörde ihre wohlbegründete Verfügung wieder zurückgezogen. Ihr Versuch, die Sprache heilsam zu stutzen, ist fehlgeschlagen, weil im Internet ein wortgewaltiger Proteststurm losbrach. Das verschlägt uns jetzt einfach die Sprache.

Guy Rewenig
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