Luxemburger Modell

Lunaparklücke

d'Lëtzebuerger Land vom 06.05.2010

Heute loben wir das neue Luxemburger Modell. Die Shanghai-Expo sei kein Konzentrationslager, belehrt uns Robert Goebbels (d’Land 17/10 vom 30. April, Seite 19). Sondern wörtlich „ein Lunapark“. Ja, das verstehen wir gut. Diese aufgemotzte Fiesta der Weltwirtschaft ist tatsächlich ein trügerisches Areal der Illusionen, eine Amüsiermeile mitten in einem riesigen Konzentrationslager namens China. In diesem Lager verschwinden natürlich nicht alle Chinesen. Auch das begreifen wir sofort. Wer brav den Mund hält, wer sich fügt und nie aufmuckt, merkt unter Umständen nicht das geringste vom Repressionsinstrumentarium der Machthaber. Im Hausarrest, in den psychiatrischen Kliniken und Gefängnissen tauchen zwangshalber nur die Dissidenten unter. Also jene, die abweichende Meinungen vertreten. Robert Goebbels zum Beispiel, ein echter Diamant unter den Aufmüpfigen hierzulande, würde in China außerhalb seines Lunaparks schnell merken, mit welchen Mitteln die chinesischen Machthaber unliebsame Kritiker beiseite räumen.

Aber „Lunapark“ ist ein schöner Begriff. Da sich die Chinesen demnächst ohnehin unser Großherzogtum unter den Nagel reißen, sollten wir unverzüglich mit ihnen über die Form der feindlichen Übernahme reden. Wir könnten ja der erste gesamtstaatliche Lunapark in Europa werden. In anderen Worten: ganz Luxemburg wird im Handumdrehen zum pittoresken Tivoli Garden erklärt. Die Methode hat praktisch nur Vorteile. Alles bleibt nämlich, wie es ist. Wir leben weiter wie zuvor, unter dem Schutz und Schirm der Chinesen. Nichts wird sich ändern, wir sind die ewigen Luxusbürger. Wir müssen nur in Kauf nehmen, dass Neugierige aus aller Welt zu Belustigungszwecken bei uns anreisen. Unser Land wird für sie ein einziges Variététheater sein, das sie gutgelaunt besuchen, um sich ein paar Tage lang vor Genuss auf die Schenkel zu klopfen.

Wie wir die Chinesen kennen, werden sie gar nicht zulassen, dass wir unsere nette Pseudodemokratie auch nur um Millimeter verrücken. Nein, auf unserem Territorium wird fortan ein Massenspektakel namens „Luxem­burg“ geboten. Alle Luxemburger, Hauptakteure und Statisten, spielen nur sich selbst. Sie müssen also keine komplizierten neuen Rollen auswendig lernen. Millionen, wenn nicht gar Milliarden Zuschauer werden sich an unserer Eigenart ergötzen. Das Zirkuskonzept „Menschen, Tiere, Sensationen“ wird voll aufgehen. Dieses Unternehmen wird den Chinesen derart pralle Kassen bescheren, dass sie unser gesamtes, 500 000-köpfiges Zirkuskollektiv ein Jahrhundert lang fürstlich entlohnen können. Auf wüste Staatsanleihen und schmerzhafte Sparpläne müssen wir nie mehr zurückgreifen. Trotzdem werden die Chinesen nicht erlauben, dass wir unsere heilige Tripartite einstampfen. Denn genau das Kuriosum Tripartite hat für das künftige Lunaparkpublikum einen erheblichen Unterhaltungswert. Wahrscheinlich werden uns die chinesischen Programmdirektoren vorschreiben, die Tripartite jahraus, jahrein ohne Unterbrechung laufen zu lassen. Die zahlenden Gäste werden aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Mit der Zeit werden sie ganz sicher süchtig nach der weltweit einmaligenTripartite-Performance.

Die Monarchiefrage wäre übrigens vom Tisch. Denn der Monarch ist ja nur mehr ein von den Chinesen bezahlter Laiendarsteller, ein mäßig talentierter Dorftheaterhaudegen. Und alle Republikanhänger dürfen sich damit trösten, dass es hier nur mehr um eine finanzkräftige Simulation geht. Obwohl auch der Großherzog darauf bauen kann, dass alle Republikanhänger nur mehr lohnabhängige Rollenträger sind. So werden sich alle gesellschaftlichen Prozesse in Luxemburg gegenseitig neutralisieren. Doch wer sich nicht weiter den Kopf zerbricht und munter mitmacht, wird es schon nach kurzer Zeit zum Summum der Selbstverwirklichung bringen. In unserem Land wird eine Zufriedenheit herrschen wie nie zuvor. Da ist unser neuer Status als ferngesteuerte Spaßtruppe doch wirklich nur ein leicht unangenehmer Makel, den wir einfach ausblenden sollten.

Das Beste am neuen Luxemburger Modell ist natürlich unsere gewaltig anschwellende Popularität. Bisher lebten wir mehr oder weniger verhärmt und verschreckt in einer Art europäischen Besenkammer. Unser Abstellort war zwar immer schon vollends mit auffälligem Blattgold überzogen, aber kein Mensch in der großen, weiten Welt wollte uns zur Kenntnis nehmen. Das wird sofort ins Gegenteil umschlagen. Wir werden die Lieblinge der globalen Warenwelt. Allein aus China werden jedes Jahr riesige Kontingente nach Luxemburg fliegen, um sich an der archaischen Wucht unseres antiquierten Amüsierbetriebs zu laben.

Auch unsere heimischen Dissidenten müssen nicht um ihren künftigen Lebensunterhalt bangen. Die Chinesen werden sie ausdrücklich auffordern, mit unbequemen Ansichten nur so um sich zu schmeißen. Je mehr Staatsfeindlichkeit, umso mehr Zulauf im Lunapark. Alle Kritiker avancieren zu hochbezahlten Clowns in der Manege. Wir werden vor lauter Harmonie förmlich Rad schlagen auf unserem Platz des himmlischen Friedens.

Guy Rewenig
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