Dilemma X

d'Lëtzebuerger Land du 24.01.2025

Should I stay, or should I go now? Die Frage treibt derzeit viele Nutzer/innen der Plattform X (früher Twitter) um. Am Montag fand Donald Trumps Amtseinführung statt und Elon Musk, Inhaber des Mediums, seit Oktober 2022, saß jubelnd und applaudierend in einer der vordersten Reihen. Während seiner anschließenden Rede in der Capital One Area in Washington zeigte Musk eine Geste, die dem Hitlergruß verdächtig ähnlich war. Unabsichtlich? Wohl eher nicht.

X war unter den sozialen Medien als die Plattform bekannt, auf der politische Debatten, mal mehr, mal weniger hitzig, geführt wurden. Seit Musk das Medium aufgekauft und umbenannt hat, hat sich der Ton geändert. X hat sich zu einem Raum der „absoluten Freiheit“ gewandelt, in dem das sonst Unsagbare nun applaudiert wird. Internes Moderieren von Inhalten oder Faktenchecks braucht man nicht, ist ja alles Zensur. Sogenannte „Community Notes“, die es Nutzer/innen ermöglichen, zusätzliche Informationen oder Korrekturen zu Posts beizufügen, sollen diese Funktion übernehmen.

Eine klare Linie, wie mit der Plattform umzugehen ist, gibt es unter den Politiker/innen Luxemburgs nicht. Immerhin ist X in der politischen Sphäre ein zentraler Kommunikationskanal. Keine der klassischen Kommunikationsweisen ermöglichen einen so direkten und persönlichen Zugang zu Bürger/innen, was die Entscheidung, ob man bleibt oder geht, deutlich erschwert.

Der LSAP-Abgeordnete und ehemalige Wirtschaftsminister Franz Fayot hat sich der Resistenz gegen Musk verschrieben und in den letzten Wochen mehrmals auf dessen Posts gekontert. Fayot plant vorerst, auf X zu bleiben: „Bei Demokratie geht es darum, seine politischen Gegner zu konfrontieren. Auch auf feindlichem Boden.“ Piraten-Abgeordneter Sven Clement und seine Partei „wollen den Populisten die Plattform nicht überlassen und werden weiterhin ihre Positionen auf X kommunizieren“. Dem schließt sich Laurent Mosar (CSV) an, der X hauptsächlich dazu nutzt, um gegen Klimapolitik und die Grünen zu wettern: Die Plattform solle „nicht den Extremisten überlassen“ werden.

Francine Closener, Abgeordnete und Co-Parteipräsidentin der LSAP, sowie der LSAP-Europaabgeordnete Marc Angel kündigten auf X an, die Plattform für Bluesky zu verlassen. Ähnlich gehen déi Lénk mit der Situation um. „Wir benutzen X seit Ende des Jahres nicht mehr aktiv. Als Partei schreiben wir unseren Mitgliedern aber nicht vor, welche Plattform sie benutzen dürfen und welche nicht“, erläutert der Abgeordnete Marc Baum. Der Account der Partei sei nur noch online, um Nutzer/innen auf den neuen Bluesky-Account zu verweisen. Noch unentschlossen sind die Grünen. „Wie wir in Zukunft mit X umgehen, steht noch nicht fest. Die Diskussionen sind noch nicht abgeschlossen, wissend, dass die Angelegenheit sich permanent weiterentwickelt“, teilen die Abgeordneten Sam Tanson und Meris Šehović dem Land mit. Es sei aber nicht ausgeschlossen, dass der Partei-Account demnächst vom Netz genommen werde.

„In der nahen Zukunft gibt es keine direkten Pläne X zu verlassen“, erklärt die Pressesprecherin von Premierminister Frieden (CSV) und verweist darauf, dass „soziale Medien nur ein Teil einer Kommunikationsstrategie“ und ein „wichtiges Kommunikationsmittel für Staats- und Regierungschefs“ sind. L’Essentiel gegenüber sagt Frieden, die „Medienaufmerksamkeit, die Musk geschenkt wird, ist übertrieben“ und er sei „certes riche, mais un citoyen parmis d‘autres“.

„Wir sind froh, dass X existiert und mehr Pluralität in den sozialen Medien bringt“, teilt Fred Keup, Fraktionsvorsitzender der ADR, dem Land mit. Auch der ADR-Abgeordnete Tom Weidig greift auf dieses Narrativ zurück. Auf die Ankündigung des Tageblatt, die Plattform zu verlassen, reagiert Weidig auf X mit „Ihr vertragt einfach keinen Pluralismus und Diversität von Ideen!“ Mit tatsächlicher Diversität und Pluralismus hat X mittlerweile wenig zu tun, Abwechslung gibt es dort nur noch in einem Sinne: Man variiert zwischen diskriminierenden, libertären und rechtsextremen Ideen.

Dass auch Meta-Inhaber Mark Zuckerberg, dem WhatsApp, Facebook und Instagram gehören, angekündigt hat, in den USA keine Faktenchecks mehr durchzuführen, verleiht der Diskussion über X etwas Grundsätzliches. Innerhalb der EU soll der Digital Service Act Deregulierung verhindern. Was Instagram aber nicht davon abhält, den Algorithmus anzupassen und einem das Profil des US-Vizepräsidenten JD Vance immer wieder zu empfehlen. Wer X verlassen hat, muss sich somit fragen, ob Facebook, Instagram und WhatsApp als nächstes dran ist.

Claire Meyers
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