Am gestrigen Donnerstag im parlamentarsichen Wirtschaftsausschuss: Die CSV-Fraktion ist einverstanden mit dem Gesetzentwurf von DP-Wirtschaftsminister Lex Delles zur Erweiterung der Öffnungszeiten im Einzelhandel. Ihre Sprecherin Stéphanie Weydert beglückwünscht Delles für seinen „exzellenten Text“. Dabei hatte am Mittwoch CSV-Fraktionspräsident Marc Spautz gegenüber RTL erklärt, es gebe „einen besseren Weg als ein Gesetz, um mit diesem Thema umzugehen“. Nämlich den „Verhandlungstisch“, womit er Kollektivverträge meine. Dass der Text noch geändert werde, schloss Spautz nicht aus. Am Tag darauf war diese Wahrscheinlichkeit viel kleiner geworden. „Wir schaffen einen Rahmen, den ein Unternehmer nutzen kann“, sagt Stéphanie Weydert dem Land. „Wer darüber hinaus gehen will, kann einen Kollektivvertrag aushandeln.“
So bekommt, kann man meinen, die soziale Front in der CSV um Marc Spautz erste Risse. Vor einer Woche hatte Weydert dem Land noch erklärt, Öffnungszeiten und Sonntagsarbeit im Handel müssten als „Package“ betrachtet werden. Beide Gesetzentwürfe, der eine von Delles, der andere von CSV-Arbeitsminister Georges Mischo, kamen ohne Verhandlungen mit den Gewerkschaften zustande. Womit sie Teil der Auseinandersetzungen zwischen der Regierung und OGBL und LCGB um das Sozialmodell und die Rolle der Gewerkschaften sind. Mittlerweile will Stéphanie Weydert keine Verbindung mehr zwischen den beiden Gesetzentwürfen sehen.
Doch wenn eine wirtschaftsfreundliche Regierung mit dem Credo antritt: „Geht es den Unternehmen gut, dann geht es nicht nur ihren Besitzern gut, sondern auch ihren Mitarbeitern und der ganzen Gesellschaft“, wie CSV-Premier Luc Frieden sich in seiner Regierungserklärung im November 2023 ausdrückte, dann erzeugt das Spannungen. Noch mehr Spannungen, wenn die Gewerkschaften nur konsultiert werden, die Regierung anschließend entscheidet, nachdem sie nachgeschaut hat, was im Koalitionsvertrag steht. Spannungen mit dem Koalitionspartner sollte es dabei möglichst keine geben. Was vielleicht erklärt, weshalb die CSV-
Fraktion den Gesetzentwurf des Wirtschaftsministers und DP-Präsidenten über die Öffnungszeiten akzeptiert hat. Die Sonntagsarbeit ist eine Sache zwischen einem CSV-Minister und der CSV-Fraktion, über die noch zu reden sein wird. Wie die Diskussion der Sonntagsarbeit ausgeht, wird stark über die Position der CSV zu Kollektivverträgen und zum Luxemburger Korporatismus entscheiden.
Ob Premier Luc Frieden dem Luxemburger Modell mehr abgewinnen kann, als bisher bekannt, war nach seinem Treffen mit OGBL-Präsidentin Nora Back und LCGB-Präsident Patrick Dury am Dienstag nicht klarer. Das Fernsehen zeigte schöne Bilder von der Begrüßung im Staatsministerium. Back und Dury sagten nach dem Gespräch, es sei „konstruktiv“ gewesen. Ihre Mobilisierung aber, die bis zur Androhung eines Generalstreiks reicht, geben OGBL und LCGB nicht auf. „Wir brauchen vorher etwas Konkretes“, erklärte Back. Und Dury: „Die Regierung hat einen anderen Ansatz von Sozialdialog als wir, einen von Konzertation mit den Akteuren.“ Also keinen, in dem sie sich mit den Sozialpartnern verständigt, worüber diskutiert wird und wozu. Man kann Luc Frieden verstehen: So viel Tripartismus wirkt wie ein Relikt aus den trente glorieuses nach dem Zweiten Weltkrieg. In den neoliberalen Rahmen, der in der EU noch gilt, passt er schlecht. Sofern das Umsteuern keine politischen und elektoralen Folgen hat in Frankreich.
Und so bot der Premier OGBL und LCGB einen „sozialen Dësch“ in „naher Zukunft“ an, der jedoch keine Tripartite sein soll. Die sei „ein Kriseninstrument“, demnach herrsche keine Krise. Für die beiden Gewerkschaften ist die Krise manifest. Zumal der Unternehmerdachverband UEL am Tag nach der Runde von Back und Dury mit Frieden einen vier Seiten langen Katalog veröffentlichte, der von „Pensionsreform jetzt“ über eine Änderung des „droit de travail vétuste, dépassé et inadapté“ und die Forderung nach Kollektivverträgen ohne Gewerkschaften bis hin zum Vorwurf reicht, es gebe eine „surenchère de congés en tous genres“. Natürlich können OGBL und LCGB das nur als breiten Angriff verstehen. Das besondere Problem für sie ist, dass solche Breit-
seiten sie überfordern: Wie modulieren sie Gegenreaktionen? Noch dazu, wenn im Staatsministerium ein Premier sitzt, der ihnen zu verstehen gibt, sie seien ja sowieso gegen jede Art von Reform und Modernisierung.
Dabei leuchtet Luc Frieden wahrscheinlich ein, dass er die Gewerkschaften braucht. Vielleicht wäre es anders, wenn OGBL und LCGB nicht derart zusammenhalten würden, wie sie es tun, seit CSV-Sozialministerin Martine Deprez am Nikolaustag 2023 im parlamentarischen Sozialausschuss ihre ersten Aussagen zu einer möglichen Rentenrefom machte. Gerade zu den Renten werden die Gewerkschaften gebraucht: Wie Deprez diese Woche in einem Interview mit dem Radio 100,7 zu verstehen war, fürchtet die Regierung, dass tatsächlich 2026 oder 2027 die Ausgaben der Rentenkasse CNAP die Einnahmen übersteigen. Weil das erst mit einem Jahr Verzögerung klar wird, müsste mitten im nächsten Kammerwahlkampf jene Bestimmung im Rentenreformgesetz von 2012 aktiviert werden, die die Anpassung der schon bestehenden Renten an die Reallohnentwicklung kürzt oder abschafft. Würde nicht irgendeine andere Lösung gefunden, könnten CSV und DP an der Wahlurne teuer bezahlen, weil es auch die Pensionen im öffentlichen Sektor und damit Wahlberechtigte beträfe. Die ansonsten mit der Modernisierungspolitik der Regierung vermutlich nicht so unzufrieden sind: Die Änderungen im Handel tangieren sie eher als Kundschaft, das Verkaufspersonal wohnt hinter der Grenze. Und die Anpassung der Einkommensteuertabelle an die Inflation nimmt man natürlich gerne, damit lässt sich einkaufen gehen. Nora Back erklärt dem Land, zu den Renten wolle der Premier einen „Dialog“ führen. Das sei „schon neu“. Aber vielleicht weiß Luc Frieden nur, wann ein Dialog unumgänglich ist.
Jedenfalls ein Dialog, in dem es um etwas geht. Ein Fan der Tripartite ist er nicht. Präsident der Handelskammer geworden, erklärte er dem Land vor fünf Jahren, eine Tripartite-Alternative könnten „verschiedene Formen von Dëscher sein“, an denen sich „informeller, nicht unbedingt institutionell“ diskutieren lasse; vor allem über das Wachstum (d’Land, 17.1.2020). So gesehen, kann sein Treffen mit Back und Dury und das Angebot sozialer Tisch als Sondieren zu verstehen sein, wie weit die Modernisierung reichen kann, ehe die Gewerkschaften auf die Straße gehen, weil ihr Daseinsgrund infrage steht und Jean-Claude Juncker im Radio erzählt, er habe das kommen sehen.