Luxemburger Wort

Glaube oder Leben

d'Lëtzebuerger Land vom 29.09.2017

Für manche Beteiligten sollen die nächsten Kammerwahlen historisch werden. Denn es geht um die Frage, ob die CSV wieder die Macht über den CSV-Staat bekommt, die sie 2013 vorübergehend verloren hatte. Nach der beschämenden Niederlage und einer peinlichen Übergangsphase war es der Partei gelungen, das Scherbengericht einzugrenzen und sich auf einen Spitzenkandidaten zu einigen.

Nun heißt es, nichts falsch zu machen. Also begannen in den vergangenen Monaten einige Leute in der Parteispitze, die Nerven zu verlieren. Sie wurden, wie LSAP, DP und andere Parteien, von der Angst erfasst, ohne Parteiblatt in den Wahlkampf ziehen zu müssen. Und mussten zusehen, wie DP-Premier Xavier Bettel seinen Kabinettchef zum Regierungskommissar bei RTL und einen befreundeten Geschäftsmann zum Präsidenten von Radio 100,7 machte, um vollendete Tatsachen bis in die nächste Legislaturperiode hinein zu schaffen.

Doch unter dem Druck sinkender Leserzahlen und rückläufiger Anzeigeneinnahmen fühlen sich ehemals treue Parteiblätter wie Luxemburger Wort, Tageblatt oder Lëtzebuerger Journal gezwungen, nicht nur für die begrenzte Zahl eigener Parteimitglieder zu schreiben, sondern auch für den größeren Markt parteiloser und Leser anderer Parteien. Dafür brachte die CSV aber wenig Verständnis auf und noch weniger dafür, dass das Luxemburger Wort dem roten Innenminister Dan Kersch oder LSAP-Fraktionssprecher Alex Bodry die besten Seiten einräumte und sozialistische und grüne Politiker ellenlange Gastbeiträge gedruckt bekamen, während Pressekonferenzen der CSV in wenigen Zeilen erwähnt wurden und ehrgeizige CSV-Kandidaten sich vergebens auf den Fotos im Wort suchten. CSV-Politiker und Verwaltungsratsmitglieder beschwerten sich mehr als einmal, doch selbst Unterredungen von Verwaltungsratsvorsitzendem Luc Frieden mit den Ressortverantwortlichen brachten nicht das erwünschte Einschwenken des Blatts.

Luc Frieden, der ehemalige CSV-Minister und glücklose Thronfolger Jean-Claude Junckers, war Anfang vergangenen Jahres Verwaltungsratsvorsitzender des Sankt-Paulus-Verlags geworden, als Generalvikar Erny Gillen von all seinen Ämtern zurücktrat und den Priesterrock an den Nagel hängte. In der Zeitung war man zuerst davon ausgegangen, dass es, nach Friedens Misserfolg bei der Deutschen Bank in London, für ihn nur ein Verwaltungsratsposten unter mehreren war, um die Wahlen und das frei werdende Amt des Luxemburger EU-Kommissars abzuwarten. Umso mehr als er gleich in einem Wort-Interview versichert hatte: „Aber die Aufgabe des Präsidenten des Verwaltungsrats ist nicht mit der des Chefredakteurs zu verwechseln.“ Auch erwartete man sich von dem unternehmerfreundlichen Politiker Verständnis für ein Geschäftsmodell, mit dem neue Leser gewonnen werden sollten.

Doch Luc Frieden nahm sein Mandat persönlich. Er mischte sich in die redaktionelle Linie der Zeitung ein, beschwerte sich über einzelne Beiträge und sondierte auch schon mal bei Wirtschafts- und Politikredakteuren, wie sie reagieren würden, wenn er wieder ein politisches Mandat bekleiden wollte oder einen neuen Aktionär brächte. Bis er vergangene Woche der weitgehend verblüfften Redaktion zuerst durch Direktor Paul Peckels mitteilen ließ und danach selbst erklärte, dass Chefredakteur Jean-Lou Siweck entlassen sei, weil er aus dem Luxemburger Wort eine „Jedermannszeitung“ gemacht habe, mit der sich das Bistum und der Verwaltungsrat nicht mehr identifizieren könnten.

Der Verwaltungsrat des Sankt-Paulus-Verlags besteht vor allem aus Männern historisch dem Bistum nahestehender Unternehmerfamilien von Bil und La Luxembourgeoise, die nicht zum Klerus gehören, sondern nur von ihm beauftragt sind. Das nicht gerade entscheidungswillige Bistum war mit dem Wechsel des Chefredakteurs einverstanden, auch wenn das nicht unbedingt seinen ökonomischen Interessen entsprach, mehr Zeitungen zu verkaufen. Dompropst Georges Hellinghausen hatte schon einmal eine Arbeitsgruppe mit ins Leben gerufen, die dem Bischofsrat Vorschläge für eine frommere Linie des Wort gemacht hatte. Später klagten konservative Gläubige über gottlose Beiträge, über mangelnden Korpsgeist beim Pädophilieprozess eines Klerikers oder über schismatische Darstellungen der Transsubstantiation während der Oktave. Zudem war Jean-Lou Siweck von Erny Gillen angeworben worden, der dem Bistum anscheinend alle aktuellen Probleme eingebrockt hatte und von dem es heute nichts mehr wissen will.

Hatte die Suche nach dem bisherigen Chefredakteur mehr als ein Jahr gedauert, wählte Luc Frieden binnen vier Tagen den ebenfalls in Contern wohnenden ehemaligen Télécran-Chefredakteur und Internet-Verantwortlichen Roland Arens als neuen Chefredakteur aus. Ab nächstem Montag soll Arens den Weg zu einer „Mitterechtsposi­tion“ genannten konservativeren und CSV-ergebeneren Linie zurückfinden, zusammen mit seinen Stellvertretern Claude Feyereisen, der im Wahlkamf 2013 den direkten Draht zwischen CSV-Fraktion und Wort pflegte, und dem ehemaligen Niederanvener CSV-Schöffen Marc Schlammes.

Die durch den autoritären Auftritt Luc Friedens und seine persönlichen Vorwürfe gegen verschiedene Redakteure verstörten Journalisten drückten am Freitag in einer rasch noch etwas abgeschwächten und von zwei Dritteln der Redaktion unterzeichneten Erklärung ihr Bedauern und ihr Unverständnis aus und beteuerten, dass ihre Arbeit keinesfalls gegen die redaktionelle Linie verstoßen habe. Als 2013 der Anzeigenmarkt einbrach und der Verlag Monat für Monat Verluste produzierte, strich er die vielen Bekenntnisse zu christlich-konservativen Werten und die Beteuerung „Il n’existe pas d’équidistance vis-à-vis des acteurs sociétaux“ aus seiner „ligne éditoriale“. Nun fragt sich, ob wieder der dogmatischere Text aus der Schublade gekramt wird, da erneut Gewinne erwirtschaftet werden.

Nach den ungeschickten und größtenteils wieder rückgängig gemachten Reformversuchen Charles Rupperts vor anderthalb Jahrzehnt und mehreren Sozialplänen sowie nach der Pensionierung des sehr rechten Chefredakteurs Léon Zeches aus der Ära des ebenso rechten Dompropsts André Heiderscheid hat die größte Zeitung des Landes nun ihren fünften Chefredakteur binnen acht Jahren. Zeches’ Nachfolger Marc Glesener, Sohn des ehemaligen CSV-Abgeordneten und LCGB-Vorsitzenden Marcel Glesener, wurde nach nur zweieinhalb Jahren entlassen. Ihm folgte, nach einer von dem 2013 ebenfalls entlassenen Generaldirektor Paul ­Lenert wahrgenommenen, langen Übergangszeit, der Wirtschaftsberater von CSV-Premier Jean-Claude Juncker, Jean-Lou ­Siweck, der zuvor Redakteur des Lëtzebuerger Land und des Quotidien war.

Mit Unterstützung des Bistums oder zumindest von Generalvikar Erny Gillen sollte Jean-Lou ­Siweck den Auflagen- und Anzeigenrückgang des Luxemburger Wort aufhalten und wollte zusammen mit einigen Nachwuchsjournalisten aus der konservativen Zeitung eine moderne konservative Zeitung machen. Denn das Luxemburger Wort ist seit Jahrzehnten die Milchkuh des Bistums, das in Zeiten der Trennung von Kirche und Staat mehr denn je auf die Dividenden des Verlags angewiesen ist.

Also versuchte das Wort, was die meisten Zeitungen im Ausland auch versuchen: Mit „neutraler Berichterstattung“ in einem „anzeigenfreundlichen Umfeld“ und Serviceteilen sollten politisch Andersdenkende, jüngere Leser und Frauen angelockt werden. Weil kaufkräftige, urbane Gebildete bald die letzten Zeitungskäufer sein sollen, druckte das Wort Artikel aus der Neuen Zürcher Zeitung nach. Mit Glanzpapierbeilagen sollten Anzeigen der Luxusindustrie geködert werden. Ausländische Berater und elektronische Leserbefragungen sorgten zusätzlich dafür, dass das Luxemburger Wort heute nicht mehr streng wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung, sondern bunt wie ein deutsches Lokalblatt aussieht.

Aber die Rechnung ging nicht oder nicht schnell genug auf: Die Reichweite des Luxemburger Wort, die laut TNS Ilres vor 30 Jahren noch über 60 Prozent der Erwachsenen ausmachte, ist seit 2013 weiter gesunken, von 39,0 auf 31,4 Prozent. So dass sich vielleicht das Bistum, aber auf jeden Fall die CSV die Frage stellte, weshalb das Wort keine Parteipropaganda mehr machen soll, wenn es sowieso nichts an der Auflage ändert. Aber vielleicht kommt die Frage schon zu spät. Denn seit vergangenem Jahr hat das Luxemburger Wort erstmals weniger Leser (31,4 Prozent) als die CSV Wähler (34,1 Prozent).

Dass die Zeitung binnen acht Jahren fünf Chefredakteure brauchte, ist ein Zeichen dafür, dass das Unmögliche von ihnen erwartet wird: Sie sollen aus politischen Gründen ein CSV-­ergebenes Kirchenblatt liefern und aus wirtschaftlichen Gründen Kunden aller Überzeugungen bedienen. Bis vor kurzem herrschte eine stillschweigende Abmachung zwischen Bistum und CSV, laut der die Kirche ihre 1848 als Kulturkampfblatt des Klerus gegen den liberalen Staat gegründete Zeitung in den Dienst der CSV stellte. Als Gegenleistung sollte die Regierungspartei CSV dafür sorgen, dass auch in einer säkularisierten Gesellschaft die Kirche im Dorf blieb, wobei das Wort stets den rechten Rand der CSV vertrat. Bis 2001 hatte Artikel 37 der CSV-Statuten sogar vorgeschrieben, dass das Luxemburger Wort als „befreundete Presse“ Anrecht auf Sitz und Stimme im Nationalvorstand der Partei hatte, danach wurden die Wort-Vertreter unauffällig kooptiert. Noch zu Zeiten Erny Gillens trafen sich Vertreter von CSV, LCGB, Caritas, Bistum und Wort in der ehemaligen Dienstwohnung von Dompropst Heiderscheid, um die politische Linie abzusprechen.

Doch das Geschäft zwischen CSV und Bistum ist einstweilen geplatzt: Der Auflagen- und Anzeigenrückgang zwang das Bistum, zwischen Glauben und Leben zu entscheiden und auch in anderen politischen Lagern Kunden zu suchen. Während die CSV in der Opposition nicht mehr die Interessen des Bistums verteidigen konnte, als es über Priestergehälter, Kirchenfabriken und Religionsunterricht verhandeln musste. Das Erfolgsrezept und die Lebensversicherung der Luxemburger Tageszeitungen, gleichzeitig nationale, lokale und Parteiblätter zu sein, verkehrt sich unter den Krisenbedingungen in ein Dilemma.

Romain Hilgert
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