Matur, Bejan: Winddurchwehte Herrenhäuser

"In dieser Welt aus Stein"

d'Lëtzebuerger Land vom 24.08.2006

Dieses schmale, aber nicht minder gewichtige Gedichtbändchen mit dem Titel Winddurchwehte Herren­häuser ist das erfreuliche Ergebnis einer beispielhaften interkulturellen Zusammenarbeit. Im vergangenen Herbst fand im Institut Pierre Werner ein trinationales Übersetzertreffen statt. Es galt, Gedichte der türkischen Autorin Bejan Matur ins Deutsche und teilweise ins Französische zu übertragen. Jean Portante, der Luxemburger Protagonist dieser Initiative und Mitübersetzer, hebt in seinem kurzen Arbeitsbericht ein über die erzielte Sprachkunst hinausreichendes Ergebnis hervor: "Über den Weg der Lyrik, mehr als über den des politischen Diskurses, ist so die Verwandtschaft der verschiedenen Kulturen Europas um vieles sichtbarer geworden." Erfahrbar geworden ist vor allem die Faszination dieser einzigartigen Lyrik, und dies dank eines übersetzungskundigen "Ensembles": Neben Jean Portante der renommierte Lyriker Alain Lance für die französische Fassung, die Poeten Werner Dürrson und Richard Pietraß verantworte­ten die deutsche Ve-sion; das sich wechselseitig befruchtende Kollektiv ergänzten die beiden türkischen Sprachexpertinnen Cebnem Bahadir und Oya Erdogan. Wer wie der Rezensent des Türkischen nicht mächtig ist, der zieht in jedem Fall ein optisch-ästhetisches Lesevergnügen aus dem Vokalreichtum im Schriftbild der Originaltexte. Die Qualität der Übertragung vermag er zwar im Detailvergleich nicht zu beurteilen, was im Hinblick auf die Kompetenz des Übersetzerteams auch zweitrangig ist; er kann sich mit Fug und Recht auf den nicht hinterfragbaren "simplen" Wertmaßstab verlassen, dass Aussagen, Sprachbilder, Tonlagen "muttersprachig" wirken. Diese hochgradig gewahrte poetische Potenz kann in Anbetracht dieser nicht eben leicht zugänglichen Dichtung nicht nachdrücklich genug gewürdigt werden. Die als "dunkel und mystisch" apostrophierte Lyrik wäre gewiss durch einige Erläuterungen zum Erfahrungsumfeld, dem kulturell-sozialen Hintergrund und der poetologischen Konzeption der Verfasserin leichter verständlich. Die lyrische Sprache der Matur, die trotz ihrer bewusst eingenommenen Außenseiterrolle in der türkischen Literaturszene mit einigen Preisen geehrt wurde, weist keine der modern-modischen "Ismen" westlicher Autoren auf. Formale Experimente sind ihr fremd; ihre Wortschöpfungen wirken auf den ersten flüchtigen Blick ausgewogen und unprätentiös, aufgefangen in einer zyklisch ausgreifenden und auf nur wenige Verse reduzierten Strophik. Eine Magie der Einfachheit, Kennzeichen jeder bedeutenden Dichtung, zeichnet diese Autorin aus; sie versteht es meisterhaft, Erlebtes, Erträumtes, Durchdachtes und Erlittenes in ihre Sprachwelt zu übertragen, einer Sprachwelt, die metaphernreich und mit einem melancholischen Melos in ihren Bann zieht. Die Weltsicht der Bejan Matur ist von einem pessimistischen Erdulden geprägt: "Ein Irrtum ist der Mensch sagt Gott./ Ihn wieder gutzumachen/ gibt er Leid/ Nur Leid." Und so bekennt sie: "Welt ist Schmerz. Ich habs gelebt." Erlebt hat sie auch die Vereisung zwischenmenschlicher Kommunikation: "Ich fror in jedem Herrenhaus/ Wozu sprechen sagte ich/ Ohne menschliches Echo." Selbst die Liebe führt zu einer bitteren Erkenntnis innerer Erschöpfung: "Im Lieben kennen wir den Menschen/ herzverbrauchend." Die meisten Gedichte umkreisen thematisch das familiäre Zusammen- und Getrenntleben: "Von Bergen rollende Steine waren wir/ Wir vier Schwestern../ Weder Ende noch Anfang/ weder drinnen noch draußen/ waren wir/ In dieser Welt aus Stein." Immer wieder schildert sie das Schicksal der Frauen, exemplarisch zumeist am Leben ihrer Mutter: "Mutter und Gott sie lassen uns nicht/. Ein Baum geworden ist unsere Mutter." Sie wie alle Frauen weist "blaue Tätowierungen" auf, den "Malen der endlosen Trauer". Vielleicht zum Überleben verliert die Realität ihre Konsistenz: "Die Welt um mich geschrumpft/ Traum das Geschehene/ das sich dehnt und schmerzt." Ein einfaches Naturbild vermittelt Gleichmut stiftende Erkenntnis: "Die Weisheit des Steins, / Begriffen zu haben die Endlichkeit/ In seinem endlosen Schlaf." Fast als leises Aufbegehren gegen hierarchische Gesellschaftsstrukturen mutet ihr Wunsch nach "einem engen Grab" an, "das mich vergessen lässt die Herrenhäuser, winddurchweht."

Bejan Matur: Winddurchwehte Herrenhäuser. Gedichte, türkisch, deutsch, französisch; Éditions Phi, Luxemburg ; 2006, 92 Seiten, 12 Euro, ISBN 2-87962-207-7.

 

Fritz Werf
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