Ihr Lieblingsort in der Gemeinde sei Girsterklaus, sagt Stéphanie Weydert. Ein Hügel, auf dem sieben Menschen leben, die die umliegenden Felder, die Sauer und die Grenzregion überblicken. Ein renoviertes Hotel, das ein paar Zimmer im Landhausstil anbietet, eine kleine Kirche, ein winziger Friedhof. Hier kann man noch irgendwie ausblenden, dass die Welt anderorts untergeht. Wer den Hügel hinab steigt, kommt der Realität näher. Dort mäandert der längste Fluss des Landes, an dem 2021 das historische Hochwasser Millionenschäden auslöste. Damals war Stéphanie Weydert noch Schöffin. Die Geschicke der 3 700 Seelen-Gemeinde Rosport-Mompach übernahm die 40-Jährige nicht in der akuten Krisenzeit nach den Überschwemmungen, sondern im September 2022, nachdem ihr Vorgänger Romain Osweiler aus gesundheitlichen Gründen zurücktrat. Knapp 14 Monate später wurde sie als CSV-Abgeordnete vereidigt, als sie für ihren Ost-Kollegen Léon Gloden nachrückte. Sie sei am „Ziel ihrer Träume“ angekommen, erklärte sie damals dem Wort.
Stéphanie Weydert hat das Pain du Quotidien am Hamilius für das Interview vorgeschlagen. Sie war am Morgen schon beim Sport („dann ass dat alt gemaach“) und hat noch nichts gegessen. Sie bestellt sich Rührei mit Avocado, einen Kaffee. Sie lese nach einer Reise in die Bretagne gerade ein Buch über Jeanne d’Arc. Identifiziert sie sich mit dieser starken Frau? Ja, schon ein wenig, antwortet sie.
2005 tritt sie der CSJ bei. Ihre aktive Mitarbeit schiebt sie auf, bis sie ihr Jurastudium in Aix-en-Provence und London abgeschlossen hat. Ihre Karriere beginnt in der Geschäftsanwaltskanzlei Arendt & Medernach, wo sie sich auf Unternehmensrecht und mergers & acquisitions spezialisiert. (Elisabeth Margue, ein paar Jahre jünger, hat den gleichen Weg hinter sich.) Bis zu ihrem Parlamentseintritt bleibt sie „Counsel“ in der Kanzlei. 2013 tritt sie noch erfolglos bei den Kammerwahlen an, 2015 fragt der damalige Generalsekretär der Partei, Laurent Zeimet, ob sie beigeordnete Generalsekretärin werden will. 2017 schafft sie den Einstieg in den Schöffenrat ihrer Gemeinde. Es folgt ein langsamer, aber stetiger Aufstieg in die erste Reihe. Sie macht sich einen Namen in der CSV, umgibt sich mit anderen Hoffnungsträgern wie Elisabeth Margue, Charel Weiler, Serge Wilmes und Françoise Kemp, die in den Oppositionsjahren das Profil der Volkspartei verjüngen und modernisieren sollten. Ein Schlag war die Affäre um den ehemaligen CSV-Präsidenten Frank Engel und die Frëndeskreess-Asbl, in der sie ebenfalls angeklagt war: „Ein großer Stressmoment, wo alles auf dem Spiel stand“. Mit Sicherheit sei nicht alles vergeben, aber sie „schaue nach vorne“, sagt sie rückblickend. Ab 2022 bis 2024 war sie gemeinsam mit Christophe Hansen Generalsekretärin („Es ist schon eine Erleichterung, diese Arbeitslast los zu sein.“) Das Ziel für die Partei ist in dieser Zeit klar: Zurück dahin, wo die CSV gehört, nämlich in die Regierung. Während des Wahlkampfs interviewt sie Luc Frieden auf Kongressen zu seinem Lieblingsessen, bei den Koalitionsverhandlungen sitzt sie als Sekretärin am Tisch.
Stéphanie Weydert pflegt das Image eines bodenständigen girl next door. Lächelnd, direkt, unprätentiös, das Herz am nicht völlig falschen Fleck. Sie kommt aus einer im Osten verwurzelten und bestens vernetzten Großfamilie, ihre Eltern führten einen Bauernhof mit Milchkühen, Geflügel und Kaninchen in Mompach. Obwohl ihre Mutter und ihr Vater sehr viel auf dem Hof arbeiteten, wurde jedes Mittagessen mit den zwei älteren Brüdern als Familie eingenommen. Ihren Eltern verdanke sie ihr Arbeitsethos und ihren Ehrgeiz, erzählt sie. Für den Posten der Bürgermeisterin scheint sie quasi prädestiniert gewesen, ihr Heimatshaus heißt „A Buergermeeschtesch“: Ihr Großvater war bereits Gemeindevater, der Urgroßvater sogar stattliche 42 Jahre lang, die Sitzungen tagten im Wohnzimmer. Ihr Onkel Raymond Weydert hatte mehr als zwei Jahrzehnte in Niederanven das Sagen. Die Kindheitserinnerung, die ihr allgegenwärtig ist, ist der Geschmack der noch lauwarmen Kuhmilch direkt aus dem Euter. Die Beziehung zu den Jungbauern pflegt sie weiter, genau wie zu den Winzern. Sie zeigt sich auf jedem Dëppefest von Echternach nach Schengen, jedem Riesling Open, jedem Weinköniginnenfest, besucht sämtliche Konzerte des Vereinslebens. In der Musikschule lernte sie als Kind Saxofon, Klavier und Cello spielen. Heute wohnt sie mit ihrem Partner und ihrem schwarzen Kater im Dorf, in dem sie aufgewachsen ist.
Mit dem antigrünen Sentiment, das den Diskurs der CSV-Basis allen voran im Wahlkampf bestimmte, ist sie vorsichtig. Ganz kann sich die junge CSV dem Zeitgeist nicht verschließen. Konservativ will man nicht wirken: Die junge Generation versucht, mit der Zeit zu gehen und die politische Mitte zu repräsentieren. Das führt unweigerlich zu nichts aussagenden Plattitüden nach dem Motto: Wirtschaft und Soziales gehen Hand in Hand, die Wirtschaft muss boomen, aber Natur ist auch wichtig. Dennoch: Zuviel Naturschutz „auf Kosten“ der Einwohner lässt sie nicht gelten. Während des Wahlkampfs erklärte sie im Kontext des historischen Hochwassers, ein Menschenleben sei mehr wert als ein Krebs oder eine Muschel. 200 Haushalte könne man besser präventiv helfen, wenn der ökologische Hochwasserschutz weniger Auflagen verlange. Konkret würde das bedeuten, dass man das Sediment des Flusses weiter abtragen müsste. Allerdings würde das neben der Sorge um Schwermetalle das Problem lediglich flussabwärts verlagern. Doch diese verkürzte Aussage, die Mensch gegen Tier ausspielt, bezeugt ihre Loyalität zum ländlichen Milieu. Einen Satz später erklärt sie, der Stadt Luxemburg müsse man auf die Finger schauen, damit die Hauptplätze nicht zu mineralisch, sondern begrünter seien. Und dass jede versiegelte Fläche des Landes am Ende einen Impakt auf ihre Region habe.
In ihren 28 parlamentarischen Anfragen lassen sich ihre Interessen veranschaulichen: Ferienwohnungen im ländlichen Raum, regionale Musikschulen, Diagnostik von Autismus, afrikanische Schweinepest, epizootische Hämorrhagie bei Rindern, der Park in Echternach und das Wasserkraftwerk in Rosport. Auch wenn sie ein Protegé von Marc Spautz ist, kann man sie nicht zum schwindenden sozialen Flügel der CSV zählen. Die unternehmensfreundliche Frieden-Doktrin wiederholt sie munter: „Der Staat kann nicht alles zahlen. Wo sollen die ganzen Einnahmen herkommen?“ Zu Beginn der Diskussionen um die Ausweitung der Sonntagsarbeit kritisierte sie den Arbeitsminister Georges Mischo (CSV) und sein Vorpreschen gegenüber den Gewerkschaften. Doch die Volte kam zügig, und sie trat geschlossen mit dem DP-Parteipräsidenten Lex Delles und seinem Projekt zur Liberalisierung der Öffnungszeiten auf. Es sei wichtig gewesen, das Gesetz anzupassen, jedoch erwarte man sich davon keine „Revolution“, sagt sie im Pain du Quotidien. Was das Exklusivrecht der Gewerkschaften für die Kollektivvertragsverhandlungen angeht, beendete Stéphanie Weydert die dreimonatige Diskussion am Dienstag im Parlament mit den Worten: „Wir stehen hinter dem Exklusivrecht.“
Stéphanie Weydert sitzt in zehn Parlamentsausschüssen. Den Arbeitsaufwand will sie nicht in Stunden beziffern, sie arbeite einfach gerne. Im November wurde sie Präsidentin der Caritas-Spezialkommission, nachdem Laurent Zeimet sein Amt aufgrund eines möglichen Interessenkonflikts niedergelegt hatte. Der Ausschuss kommt mit der Arbeit nicht voran. Denn vor zwei Wochen war Stéphanie Weydert an der Reihe: Dadurch, dass sie noch bei Arendt & Medernach eingeschrieben sei, und die Kanzlei eine der beiden Banken, die im Skandal impliziert sind, vertrete, sei Stéphanie Weydert befangen, wirft die Caritas ihr vor und erscheint bisher nicht. Sie lehnt diesen Vorwurf ab, sie habe kein Büro mehr in der Kanzlei und übe ihren Beruf seit November 2023 nicht mehr aus. Auf eine Einschätzung der Ethikkommission wartet sie noch. Wer Macht erst mal hat, gibt sie ungern ab.
Auf die gesellschaftlichen Herausforderungen angesprochen, etwa das Erstarken des Rechtsextremismus und die Krise der Volksparteien, bringt sie die „Überregulierung“ ins Spiel; man solle sich wieder vermehrt auf die „Kernaufgaben“ besinnen. Hat die Polarisierung nicht vielleicht damit zu tun, dass es vielen Menschen schlecht geht? Warum geht es ihnen schlecht, fragt Stéphanie Weydert zurück. Um dann in einen Monolog über die teuren Butter- und Brotpreise zu verfallen. „Dass do d’Leit an d’Laberente kommen, ass verständlech.“
Beobachter beschreiben sie als Technokratin, geübt in Verwaltung und Dossier-fest. Ins Straucheln kommt sie, wenn es um die Sicherheitsdebatte in der Hauptstadt geht. Was sagt sie zur ersten Amtshandlung des CSV-Innenministers Léon Gloden, dem Bettelverbot? Kommunikativ sei es ein „epic fail“ gewesen, doch es bestehe ein „Sichterheitsproblem“, „es gehe um ein „Stadtbild“ und es gebe Leute, die „hätten diese Autos gesehen“.