Marteling, Luc, et al: Top Secret. Auch das ist Luxemburg!

Hohlräume

d'Lëtzebuerger Land du 07.08.2008

Auch in einem vergleichsweise überschaubaren Land wie Luxemburg kann man noch nicht alles gesehen haben –, so ungefähr lautet der Ausgangspunkt der drei Journalisten Luc Marteling, Marc Thill, Claude Feyereisen und des Photographen Marc Wilwert für ihr gemeinsames Buchprojekt mit dem sprechenden Namen Top Secret – Auch das ist Luxemburg!. Wie Bautenminister Claude Wiseler im Vorwort des ersten Bandes verrät, brachte eine Besichtigung im Inneren der „Roten Brücke“ die vier Mitarbeiter des Luxemburger Wort auf die Idee, einer breiteren Öffentlichkeit in einer Reihe von Reportagen Orte vorzustellen, die gewöhnlich nur schwer oder überhaupt nicht zugänglich sind. Die Voraussetzung für ein derartiges Vorhaben ist natürlich eine Leserschaft, die diese Orte, oh­ne deren Bekanntschaft sie sonst gut auskommt, tatsächlich sehen will: Wer an­ders würde sich für die kargen Innenräume von Brücken oder das bloß mit Antennen versehene Dach eines gar nicht so hohen „Hochhauses“ erwärmen als der Durchschnittsluxemburger? An ihn und seine Neugier richten sich die Autoren; ihm wollen sie Ansich­ten seines täglichen Umfeldes vermitteln, die durch unerwartete Blickwinkel überraschen sollen. So darf der Leser mit dem Photographen einen Blick aus dem Glockenturm der Kathedrale werfen, die Aussicht aus dem Tower des Flughafens genießen, ins Betriebsgebäude des Tunnel Markusberg hinabsteigen und die wohlgeordnete Sammlung von Beweismitteln auf dem Dachboden der Asservatenkammer begutachten. Wo­rin der Außenstehende nur beliebige Türme, Brücken und überfüllte Regale erkennt, sieht der Luxemburger Wahrzeichen und Symbole des Großherzogtums. Für ihn ist das nicht irgend­eine unpersönlich, aber teuer ein­gerichtete Luxussuite, sondern das schönste Zimmer des Hotel Royal. Nur er weiß sofort, auf welches Ereignis die beiden verbeulten roten Flugschreiber verweisen, die die Asservatenkammer aufbewahrt. Vermutlich kann auch nur er der so lieblosen wie geschmacklich fragwürdigen Einrich­tung von Mandy Graffs Zimmer etwas abgewinnen. Dass sich ein Konzept, das seinen Anfang in muffigen Hohlräumen aus Stahl und Beton nahm, bis hin zum Schlafgemach der Teilnehmerin eines Fernsehwettbewerbs ausweiten lässt, verrät den Hang des Top Secret-Projekts zum Boulevardesken. Die sachlichen, diskreten Bilder von Marc Wilwert lassen kaum vermuten, dass sich das Journalistenquartett nicht besonders ernst nimmt – der reißerische Titel und die albernen Autorenporträts dürften jedoch als ziemlich eindeutige Hinweise gewertet werden. In scharfer Diskrepanz zur rein dokumentarischen Herangehensweise des Photographen steht der betont unseriöse Stil von Marteling, Thill und Feyereisen, der sich so einheitlich ausnimmt, dass die Zuschreibung der Artikel zum jeweiligen Autor eigentlich überflüssig erscheint. Die bis zur völligen Bedeutungslosigkeit abgedroschene Floskelsprache von Boulevardmagazinen beherrschen Marteling und Co. nahezu perfekt. Statt lediglich trockene Fakten aufzulisten, frönen sie ihrer Lust am Fabulieren, spicken ihre Texte mit massenweise Gemeinplätzen und Plattitüden und überfrachten auch das schnödeste Sujet mit einer völlig überzogenen Bildhaftigkeit. In seiner Reportage über die Luxemburger Zentralbank kann es sich der Autor nicht verkneifen, den Leser wiederholt darauf hinzuweisen, dass Geld „nun mal“ die Welt regiere und dass das dazu passende lateinische Sprichwort laute: Pecunia non olet. Banale Ausdrücke werden auf anspielungsreiche Formeln gebracht; „viele“ sind „eine Armada“ oder, wo sie sich aneinander reihen, „eine Phalanx“, ein Blick von oben ist „ikarusartig“ und eine grüne Landschaft stets „bukolisch“. Die allgemeine Gültigkeit des Sprichworts „Ehre, wem Ehre gebührt“ wird dadurch untermauert, dass es in gleich drei Artikeln des ersten Bandes herangezogen wird. Dass sie mehr auf dem Kasten haben als gepflegtes Küchenlatein („Nomen est omen“, „O tempora, o mores“), beweisen die Autoren im kreativen Umgang mit Redensarten, in Neuschöpfungen wie „Stille Türen gründen tief“, deren Bedeutung sich freilich erst im Kontext der Artikel erschließt. Ironische Anspielungen an das nicht immer ganz lupenreine Deutsch des Adressaten der Bücher, des bereits erwähnten Durchschnittsluxemburgers, darf man vermuten, wo die Autoren von „importanten Geschäftsleuten“, von „Kasten“ statt von „Kästen“ sprechen, „mitsamt“ mit Genitiv statt mit Dativ verwenden und die grammatisch unzulässi­ge, aber in der Dialektsprache überaus beliebte Steigerung „in keinster Weise“ bemühen. Besonders Marc Thill bereitet sich ein Vergnügen daraus, „den“ Luxemburger tüchtig auf die Schippe zu nehmen. In seinem Artikel über die Kathedrale will er dem Leser weismachen, die „wahre Seele des großherzoglichen Volkes“ zeige sich in der Verehrung der Muttergottes. Wer sich damit unzureichend charakterisiert dünkt, findet im Artikel über die ungewöhnliche „Muckibude“ von Georges Christen die ergänzende Auskunft, der „junggebliebene Mann mit kräftigen Armen, breiten Schultern und einem ebenso breiten Lächeln“ sei – trotz dieser anatomischen Extravaganz – „ein waschechter Luxemburger, ei-ne Mischung aus ‚Superjhemp’ und ‚Koep­pe Jhemp’“. Was der stärkste Mann der Welt beim Besuch der Autorentruppe verbrochen hat, um diese vielleicht nicht restlos schmeichelhafte Auszeichnung zu verdienen, bleibt genauso geheim, wie der Ort, an dem er seine Sammlung von alten Fitnessgeräten verbirgt. Georges Christen ist nicht das einzige Opfer der oft unnötig karikierenden Sprache, die Marteling, Thill und Feyereisen mit Vorliebe verwenden. Wo die Artikel das Menschliche berühren, wird der Nonsens-Stil der Autoren schnell problematisch, etwa wenn der betreffende Artikel die Häftlinge eines Flurs der Schrassiger Vollzugsanstalt als „bobos“ tituliert und ihre Inhaftierung mit der Gefängniskarte des Monopoly-Spiels vergleicht. Über den Informationsgehalt der Hin­weise, dass man Banknoten zur Einnahme von Kokain verwenden kann (im Artikel über die Zentralbank) oder dass der Nikolaus, genau wie die ausgedienten Feuerwehrwagen in Colmar-Berg „auch rot ist“, lässt sich vermutlich streiten. Etwas weniger Text würde einem dritten Top Secret-Bildband, sollte er wirklich notwendig sein, wahrscheinlich gut tun. 

Marc Wilwert (Photos), Luc Marteling, Marc Thill, Claude Feyereisen: Top Secret. Auch das ist Luxemburg! Éditions Saint Paul 2007. Dies.: Top Secret 2. Auch das ist Luxemburg! Éditions Saint Paul 2008.

 

Elisabeth Schmit
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