Neue Medien

Neue Kanäle

d'Lëtzebuerger Land vom 28.04.2011

Nicht nur die öffentliche, auch die private Kommunikation wird über immer neue Kanäle befördert. Diese verwischen die Grenze zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten und werden im Abstand von jeweils sechs Monaten geschäftstüchtig oder naiv als technische Revolutionen bejubelt. Ganz gleich, ob die Handys gerade so smart wie die über Pakistan und Libyen niedergehen­den Marschflugkörper oder die Netzwerke so sozial wie der soziale Index der CSV werden – diesen revolutionären neuen Kommunikationskanälen, von Facebook über I-Pad, Google und Gratszeitungen bis Youtube oder Porntube, ist gemein, dass die wichtigsten in Händen von Firmen sind, die mit Anzeigen und Verbraucherdaten handeln, oder, mittelständischer, mit Pornographie.

Leider hält die Vervielfachung der Kanäle nicht Schritt mit der Vervielfachung der Inhalte. Wenn am Sylvesterabend die Handy­netze wegen Überlastung zusammenbrechen, kann man davon ausgehen, dass 95 Prozent aller Botschaften denselben Wortlaut haben. Doch die drahtlos oder durch Glasfaser von bevorzugt liberalen, mäßig aufgeklärten und sich irgendwie jung fühlenden Konsumbürgern herumgeschickten Inhalte finden im Vergleich zu den Kanälen kaum Beachtung. Vielleicht, weil es für tolerant gehalten wird, Inhalte nicht zu bewerten; vielleicht, weil es hauptsächlich private Belanglosigkeiten sind; vielleicht weil es die homogenisierte, pasteurisierte und kalorienarme Ideologie eben des liberalen, mäßig aufgeklärten und sich irgendwie jung fühlenden Konsumbürgers ist.

Damit die Kanäle nicht versiegen, hier einige Vorschläge für modisch-gefällige und politisch mehrheitsfähige Inhalte: Das Müllsortieren ist der Atomkraft moralisch überlegen. – Der Staat ist ein Komplott zur Unterdrückung der Bürger. – Der Islam ist eine mittelalterliche und frauenfeindliche Religion. – Das Ausland ist neidisch auf den Luxemburger Wohlstand. – Der hassenswerteste Diktator des Monats heißt Muammar al-Gaddafi. – Pädophilie ist das absolut Böse. – Politiker sind schlecht und korrupt. – Marktwirtschaft ist die demokratischste Geschäftsform. – Jean-Claude Juncker macht seine Sache gut. – Südeuropäer können nicht mit Geld umgehen. – Gegenüber Ausländern soll man nicht gewalttätig vorgehen.

 Einmal abgetippt, können diese interessanten Diskussionsbeiträge mit Copy/Paste für alle Kommunikationskanäle formatiert werden, vom Kommentar auf rtl.lu über SMS, Twitter, Facebook bis zum L‘Essentiel-Artikel oder dem Leserbrief im Luxemburger Wort. Sie werden garantiert viel Zustimmung, Like this und Friends finden sowie lebhaft kopiert und durch die sozialen Netzwerke weiter verschickt werden.

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