ZUFALLSGESPRÄCH MIT DEM MANN IN DER EISENBAHN

Eine Milliarde Dollar mehr

d'Lëtzebuerger Land vom 08.07.2022

Kurz vor dem Nato-Gipfel schickte US-Botschafter Thomas M. Barrett dem Luxemburger Wort ein „op-ed on Nato spending“. Die Botschaft war etwas ungeschickt: Der Botschafter verwechselte 1,28 Prozentpunkte mit 1,28 Prozent. Der Wort-Übersetzer verwechselte eine Ausgabensteigerung mit Gesamtausgaben (11.6.22).

Der Botschafter missbilligt die Budgetpolitik der Regierung. Seinerzeit missbilligte der Vatikan das Euthanasiegesetz. Er ließ den Luxemburger Botschafter antreten. Premier Jean-Claude Juncker protestierte vor dem Parlament: „Ech akzeptéieren net, dass de Vatikan sech hei amëscht“ (18.12.2008). Gegen die Einmischung des US-Botschafters protestiert niemand.

Der Botschafter verlangt, dass Luxemburg seine Militärausgaben verdreifacht. Die USA geben 3,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung und
0,6 Prozent für Familienzulagen aus. Luxemburg gibt 0,6 Prozent für Rüstung und 3,3 Prozent für Familienzulagen aus (Nato, Defence Expenditure of NATO Countries (2014-2021); data.oecd.org).

Die USA sind eine militärische Weltmacht. Luxemburg ist eine Kindergeld-Weltmacht. Die US-Regierung gab letztes Jahr
811 Milliarden Dollar für die Rüstung aus. Sie unterhält 625 offizielle und eine unbekannte Zahl geheimer Militärstützpunkte in rund 80 Ländern (Base Structure Report FY 2018 Baseline, S. 29).

Im 19. Jahrhundert teilten die Kolonialmächte die Welt unter sich auf. Seither gibt es auf den Landkarten keine weißen Flecken mehr. Der Imperialismus wurde ein Nullsummenspiel: Wer neue Einflusszonen, Absatzmärkte, Rohstoffquellen will, muss sie den Konkurrenten wegnehmen. Seit 1914 werden dafür Kriege geführt und Militärstützpunkte unterhalten.

Nach dem Konkurs der Sowjetunion wurden deren Satellitenstaaten aufgeteilt. Die Nato und die EU drangen nach Osten vor. Nun folgt die Aufteilung der ehemaligen Sowjetrepubliken. Russland erobert seit Monaten einen Teil der Ukraine. Die USA und Verbündeten lassen die Ukrainer kämpfen und liefern ihnen Nachschub.

Die Nato-Staaten gaben vergangenes Jahr 1 175 Milliarden Dollar für Rüstung aus (Defence Expenditure, S. 7). Überakkumuliertes Kapital ist solches, das keine rentable Anlagemöglichkeit mehr findet. Aktiengesellschaften nähmen ein „buyback“ vor. Staatliche Rüstungsausgaben bieten vorübergehend einen Ausweg. Selbst wenn das überteuerte Material Rost ansetzt. Wird es in Gebrauch genommen, wird überakkumuliertes Kapital vernichtet. Zum Preis von Hunderttausenden Toten.

Luxemburg hängt vom Kapitalimport ab. Das Land verdient am Import/Export von Kapital. Das Verteidigungsministerium hat keinen ökonomischen Grund zur Vernichtung überschüssigen Kapitals. Es verpulvert Geld unter außenpolitischem Druck.

Der US-Botschafter verlangt: „Luxemburg muss [...] eine Milliarde Dollar mehr ausgeben.“ Er verwechselt die Landeswährung. Er betont diplomatisch, dass Drückeberger keinen Rabatt erhalten. Es soll kein Präzedenzfall geschaffen werden.

Unter 1 175 Milliarden Dollar fällt eine Milliarde aus Luxemburg nicht ins Gewicht. Doch Ex-Präsident und Golfclub-Besitzer Donald Trump ließ keinen Zweifel: Die Milliarde gehört zum exquisiten Eintrittspreis. Um sich bei der Pax americana einzukaufen. Auf der Gewinnerseite.

Sozialdemokratische und grüne Verteidigungsminister stehen stramm. Sie haben die Militärausgaben seit 2014 um 230 Prozent erhöht. Sie wollen sie bis 2028 verfünffachen. Anders als der Index rechnet sich Rüstungsinflation in Hunderten von Prozent.

Die Luxemburger Botschafterin Nicole Bintner-Bakshianin könnte einen Gastkommentar in der Washington Post veröffentlichen. Um die geringen Familienzulagen in den USA, das Abtreibungsverbot oder den freien Schusswaffenverkauf zu missbilligen. Die Botschafterin tut es nicht. Die Einmischung des US-Botschafters ist den Bettel, Bausch und Asselborn willkommen. Sie lassen ihre vervielfachten Rüstungsausgaben als kleineres Übel erscheinen.

Romain Hilgert
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