Der Druck auf Menschen ohne Corona-Impfung wächst. Doch bei vielen Impfverweigerern dürfte auch das nur wenig helfen. Wer sind diese Ungeimpften?

„Impfen? Vorher kündige ich“

d'Lëtzebuerger Land vom 03.09.2021

Alina ist stinksauer. Am Mittwoch kündigte Pre-​mierminister Xavier Bettel (DP) an, dass die PCR-Tests ab dem 15. September nicht mehr kostenlos angeboten werden. Wer nicht gegen Corona geimpft ist, aber bereits die Möglichkeit dazu hatte, muss den Test dann aus eigener Tasche bezahlen. „Es ist nicht länger vertretbar, dass die Allgemeinheit bezahlt, weil eine Minderheit sich nicht impfen lassen will“, erklärte Bettel die Entscheidung. „Dadurch werden wir jetzt gezwungen, uns impfen und unserer Freiheit berauben zu lassen“, wettert Alina. „Jetzt darf ich nicht mehr ins Restaurant, zum Sport oder sogar zu meinem Arzttermin ins Krankenhaus, wenn ich nicht teuer dafür bezahle. Dabei ist die Impfung, soviel ich weiß, freiwillig, oder?“ Der Regierungschef rief nach der Sitzung des Regierungsrates in der Tat erneut alle Ungeimpften dazu auf, sich impfen zu lassen. Durch die Vakzine sei ein „normaler Alltag immer wahrscheinlicher“. Alinas Alltag ist seit eineinhalb Jahren alles andere als normal und daran wird sich, den Absichtserklärungen des Premierministers zufolge, wohl vorerst auch nichts ändern. Weil der politische Druck auf Menschen wie sie, die Impfunwilligen, immer größer wird, und um ihren Arbeitsplatz nicht zu gefährden, haben wir den richtigen Namen der jungen Luxemburgerin zu Alina geändert.

40 Prozent der Welt­bevölkerung haben bis Ende August 2021 mindestens eine Impf­dosis erhalten. Rund fünf Milliarden Dosen wurden seit dem Start­schuss der diversen nationalen Impf­kampagnen verabreicht, rund 33 Millionen Impfungen finden täglich statt. Das geht aus der Statistik-Website Our World in Data hervor. Dass sich so viele Menschen auf dem Globus in kurzer Zeit gegen ein Virus immunisieren, gab es so noch nie. Die Impfungen gegen Covid-19 laufen nun seit Dezember 2020. 

In Luxemburg sind bis dato 356 000 Menschen, also knapp 60,7 Prozent der Bevölkerung, vollständig geimpft. 63,2 Prozent der Luxemburger sind erstgeimpft, der europäische Schnitt liegt bei rund 70 Prozent. Gesundheitsministern Paulette Lenert (LSAP) erklärte im Hinblick auf eine vierte Corona-Welle, dass es Aufgabe der Politik sei, diejenigen zu erreichen, die bisher noch zögerten, um deren Zweifel zu verstehen und noch mehr aufzuklären. Die Politiker wollen den Impfunwilligen nun also verstärkt zuhören, ihnen Gehör verschaffen. Tatsächlich wird oft über „die, die nicht wollen“, geredet, statt mit ihnen. „Wee si lo déi Leit, déi net geimpft sinn?“, fragte Paulette Lenert am Mittwoch.

Alina ist Ende Zwanzig und Grundschullehrerin. Als sie die Tür zu ihrer Eigentumswohnung öffnet, steht sie barfuß und ohne Maske da. „Du kannst deine auch abnehmen“, sagt sie und lächelt. Alina lebt alleine, auf der großen Terrasse stehen Gartenmöbel und eine Couch, auf der man die Vögel zwitschern hört und die Nachbarn nicht, weil hier jeder die Ruhe seiner häuslichen Oase schätzt. Drinnen hängen Ausschnitte von Alinas Leben als Fotos an der Wand. Mit Freunden beim Wandern, am Strand, Alina am Kletterfelsen. Sie lacht sehr viel. Im Türrahmen ist eine Klimmzugstange eingehängt, Alina springt hoch, ja, hält viel aus. Auf der anderen Seite hängt ein schmales Board mit Vertiefungen drin, dort gehen Alinas Finger rein, „ich kann so an meiner Griffkraft arbeiten“, sagt sie. Das Klettern ist ein wichtiger Halt in Alinas Leben. Die meisten ihrer Kletterfeunde sind wie sie nicht gegen Covid geimpft. „Covid-19 wird Teil unseres Lebens werden, ist es schon. Aber unser Abwehrsystem hat genug Methoden entwickelt, die uns helfen, mit solchen Erregern umzugehen“, sagt sie. Es ist Alinas Überzeugung, dass ihr Immunsystem ihr mehr hilft als alle Plastikwände, Masken und Desinfektionsmittel, die sie in ihrem Entschluss gegen eine Impfung bestärkt.

Alina kocht und backt gerne, lernt Spanisch und spielt Gitarre. Sie trifft sich sehr viel mit ihren Freunden. Jeden Samstag machen sie einen Ausflug in die indische Götterwelt und singen zusammen Mantras. Mantras sind spirituelle Lieder. „Ich bekomme mega viel positive Energie, das Herz soll sich öffnen“, sagt sie. „In den Liedern geht es immer um Liebe, Licht und Natur.“ Das meditative Singen hilft Alina, abzuschalten, vom Stress loszukommen und zu entspannen. In der Mantragruppe sind sie zehn Leute. Auch ihr Freund singt dort. Er zählt zu den acht aus der Gruppe, die nicht geimpft sind. Auch das Massieren ist etwas, was Alinas Freunde teilen. Alina hat gemerkt, dass ihr das liegt, sie bekommt Lob, habe talentierte Hände. Im kommenden Schuljahr will sie sich fortbilden, am besten beim Reisen um die Welt und so die verschiedenen Techniken erlernen. „Ich möchte mein Wissen weitergeben und den Menschen helfen, weil ich glaube, dass ich deshalb auf dieser Welt bin, um den Menschen etwas Gutes zu tun“, sagt sie. „Ich liebe es, Menschen zu berühren, sie in meiner Nähe zu haben.“ Als im März 2020 der erste Lockdown kam, hielt es Alina nach drei Wochen Isolation nicht mehr aus. Die Mutter war schon bei der Tante und da reichte der Platz nicht mehr, also zog Alina für drei Monate zu Freunden aufs Land.

„Ich habe zu Beginn der Coronakrise nie eine Maske getragen, wenn ich mit meinen Freunden zusammen war, und ich habe meine Freunde auch immer in den Arm genommen.“ Zehn Leute aus ihrem Freundeskreis sind nicht geimpft, auch Alinas Eltern nicht. „Da habe ich mir gesagt, wenn sogar die ältesten Menschen in meinem Umfeld, weil Großeltern habe ich nicht mehr, dagegen sind, dann brauche ich mich auch nicht impfen zu lassen.“ Angst, ihre Eltern anzustecken, hat Alina nicht. Sie nimmt sie weiterhin in den Arm. Alina wird deutlich: „Das Virus spielt in meinem Alltag keine Rolle. Wenn ich mich von Angst leiten lassen und Panik habe, mich anzustecken, dann werde ich mit Sicherheit krank.“

Trotzdem gibt es Menschen in Alinas Leben, die auf der anderen Seite stehen, Befürworter der Impfung sind. Es sind die „ältesten“ Freunde, die Alina zu überreden versuchten, sich doch die Spritze geben zu lassen. Die ungeimpften Freunde aus der Mantra- und Klettergruppe sind erst vor zwei Jahren dazugekommen. „Ich habe von meinen geimpften Freunden gehört, dass die Nebenwirkungen viel schlimmer sind als der Virus selbst. Meine Freundin hatte niedrigen Blutdruck, war andauernd müde und hatte keine Energie mehr, obwohl sie eigentlich immer fit war, die Impfung ist jetzt zwei Monate her. Und ich habe auch gehört, dass Leute wieder positiv wurden, obwohl sie geimpft waren. Das Hauptargument war doch aber, dass wir uns impfen lassen sollen, damit wir weniger gefährdet sind. Ich will das Impfen nicht schlechtreden, aber ich will nicht, dass man mich zum Impfen zwingt“, sagt sie. „Wenn ich das Virus wirklich bekommen sollte, dann soll es eben so sein. Dann hat das Universum das so für mich vorgesehen.“ Angst vor einer Ansteckung hat sie nicht. Sie wünscht sie sich sogar. „Wenn ich Covid bekomme, habe ich auch endlich ein Covid-Check-Zertifikat.“ Wenn ab Mitte September die PCR-Tests kostenpflichtig werden, wird neben dem Eintritt zur Party für Alina auch die Gebühr für den Test fällig. „Darauf habe ich keine Lust.“ Alinas Freundin war vor Kurzem in Quarantäne, „ich wollte zu ihr fahren und sagen, hey, steck mich an“, aber das passte zeitlich dann doch nicht für Alina, es wäre mitten in die Sommerferien gefallen. Sie hofft jetzt auf das neue Schuljahr.

Seit sieben Jahren arbeitet Alina als Lehrerin an einer Grundschule. Die Maske trägt sie nur, wenn sie wirklich muss, also wenn sie den Kindern sehr nahe kommt. Wenn sie vorne vor der Klasse steht, zieht sie die Maske runter. Haben Eltern oder Lehrerkolleg/-innen nicht rebelliert? „Nein“, sagt Alina. „Ich habe ein ärztliches Attest, dass Maskentragen nicht gut für mich ist, weil ich eine verstopfte Nase habe.“ Dass die Masken ab dem neuen Schuljahr bei den Grundschülern fallen sollen, findet Alina gut. Schlimm findet sie, dass das nicht für Lehrer gilt. „Gerade für jüngere Kinder ist es wichtig, den Mund der Lehrerin zu sehen, sie sind viel mehr auf den Mund fixiert als ältere Schüler. Grundschüler können die Mimik in den Augen noch gar nicht verstehen. Es ist sehr schwer, mit Maske eine Fremdsprache rüberzubringen, weil ich auch viel lauter reden muss als sonst.“

Kurz nach Mittag, Alinas Cousine Kati (Name von der Redaktion geändert) kommt zum gemeinsamen Kochen vorbei. Heute gibt es Buchweizennudeln, Brokkoli, Lauch, abgeschmeckt mit Hafersahne und Ahornsirup. Die jungen Frauen haben keine Angst vor einem schweren Verlauf, sollte Corona sie treffen. „Ich ernähre mich gesund, rauche nicht, trinke kaum Alkohol, mache viel Sport, nehme jeden Tag Vitamin-D-Tropfen zu mir“, sagt Alina. „Meine Mutter hat eine Ausbildung zur Vitamin-D-Beraterin gemacht und kann mir genau sagen, was ich benötige, wenn sie mein Blutbild sieht. So braun wie in diesem Sommer war ich noch nie“, sagt Alina und hebt lachend die Arme hoch. Auch Kati ergänzt ihre Ernährung mit Pulver und Pillen. Neben Vitamin D nimmt sie täglich B12, K2, Omega3 und Meta Relax, ein Magnesiumkomplex mit B-Vitaminen und Taurin, der gegen Stress helfen soll. Was Kati an der Impfung stört ist, „dass es als einzige Lösung dargestellt wird. Warum setzt die Regierung nicht auf Prävention? Warum bietet sie Vitamin D nicht kostenlos an? Es ist klinisch bewiesen worden, dass ein hoher Vitamin-D-Spiegel das Immunsystem stärkt. Warum werden keine kostenlosen Fitnesskurse angeboten?“ Eine Impfung ist auch ein Zeichen der Solidarität mit denjenigen, die sich nicht impfen lassen können, wie zum Beispiel Kinder bis zwölf Jahre oder auch Menschen mit bestimmten Erkrankungen, heißt es oft. „Alle meine engsten Freunde sind geimpft“, sagt Kati. „Die haben das getan, um ihre Freiheit wieder zu erlangen, das hatte absolut nichts mit Solidarität zu tun.“

Kati, auch Ende Zwanzig, ist Pädagogin und zuständig für Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten und Lernstörungen. „Ich kann nicht nachvollziehen, warum in den Schulklassen die sozialen Distanzen eingehalten werden müssen, warum Kinder den ganzen Tag Masken tragen müssen, warum sie sich nicht umarmen, kein Spielzeug teilen dürfen.“ Zum Fehlen des Kind-Seins sei jetzt noch die Angst hinzugekommen. „Kein Kind ist dafür verantwortlich, wenn die Großeltern sterben. Ich sehe immer mehr depressive Kinder, aktuell muss man sechs bis acht Monate warten, um einen Platz beim Kinderpsychiater zu bekommen.“ Sie erzählt von Fällen, bei denen sich Kinder nach der Schule vor der Haustür erstmal komplett ausziehen müssen, um rein zu dürfen. „Es ist doch auch unsere Aufgabe, Aufklärungsarbeit zu leisten“, sagt Kati und fragt sich: „Wie lange werde ich mich noch mit meinem Job identifizieren können?“

Kati verbringt täglich etwa 60 Minuten in den sozia-​len Medien, um sich über Corona zu informieren, sie kommentiert und teilt viel bei Facebook, Instagram und Whatsapp. „Was mich wütend macht, ich bin nicht geimpft und auf mich wird mit dem Finger gezeigt. Mein Partner ist auch nicht geimpft und stand neulich vor einem Club. ‚Wie, du bist nicht geimpft?‘, kommentierte der Türsteher und ging zwei Schritte zurück. ‚Ah, bist du einer von denen?‘ Meine Freundin war neulich auf einem Dorffest. Weil sie einen Schnelltest machen musste, bekam sie ein orangefarbenes Bändchen und musste um ein Uhr nach Hause.“ – „Ich habe neulich gelesen, dass sie in der Schweiz Menschen markieren wollen, die nicht geimpft sind“, sagt Alina. Kati sieht müde aus: „Die Spaltung der Gesellschaft macht mir Angst.“

Israel ist schon voll dabei, Deutschland will im September damit beginnen und Luxemburg hatte schon im Juli beschlossen, vorerst allen vulnerablen Menschen eine dritte Corona-Schutzimpfung anzubieten. Der Druck auf Impfgegner wird nicht geringer. Würde es etwas geben, das Alina und Kati zum Gang ins Impfzentrum überzeugen würde? Beide schütteln den Kopf. „Es wird gesagt, es gebe keine Folgeschäden bei einer Impfung, aber da bin ich mir nicht so sicher, für mich kommt eine Impfung nicht in Frage“, antwortet Alina. „Es gibt so viele Ungereimtheiten, deshalb tue ich einfach, was ich fühle“, sagt sie. „Die Menschen, die jetzt seit eineinhalb Jahren eine Maske tragen, haben gar kein starkes Immunsystem mehr, weil es seit Corona gar nicht mehr in Kontakt mit Bakterien und Viren gekommen ist. Mein Immunsystem ist stark, ich war schon seit Ewigkeiten nicht mehr erkältet.“ ​
Sollte es irgendwann eine Impflicht in Luxemburg geben, „dann schmeiße ich den Lehrerberuf“, sagt sie. „Ich würde auch kündigen“, meint Kati. „Sofort.“

Katis Freund wird in den nächsten Tagen als Sportlehrer anfangen. Er ist der einzige an der Schule, der nicht geimpft ist. Eigentlich will er das auch nicht, „aber er überlegt gerade, weil er Angst hat, gemobbt zu werden.“ Kati hat Endometriose und damit ein erhöhtes Risiko, unfruchtbar zu sein oder schwerer schwanger zu werden. „Ich habe im Zusammenhang mit der Corona-Impfung gelesen, dass dadurch Frauen auch unfruchtbar werden können.“

Sollte sich Katis Freund wirklich impfen lassen, „werde ich mich wohl von ihm trennen“..

Franziska Jäger
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