Luxemburgensia

Guter Kollaborateur, böser Kollaborateur

d'Lëtzebuerger Land vom 03.05.2019

Während die luxemburgische Kollaboration im Zweiten Weltkrieg weiterhin ein Dauerthema in der Öffentlichkeit ist, spielt sie in der Literatur bislang nur eine Nebenrolle. Ein Titel wie De Kollaborateur weckt da gewisse Hoffnungen. Könnte dies der große historische Roman sein, der dank sorgfältiger Recherche und kritischem Geist den Weg in eine neue Erinnerungskultur weist? Schön wär’s. Auf rund 100 Seiten gelingt Léon Schadeck nichts weiter als der triviale Nachweis, dass es auch unter den Kollaborateuren solche und solche gab.

Seine Geschichte ist laut eigenen Angaben teils wahr und teils erfunden, Genaues erfährt man nicht. Als eindeutig fiktive Figuren sind (ausgerechnet) die beiden Kollaborateure ausgewiesen, anhand derer der Roman zwei exemplarische Kriegskarrieren schildert. Heng und Jang arbeiten bei der Remicher Gemeindeverwaltung und beobachten im Herbst 1939 nervös das andere Moselufer. Heng ist ein übereifriger Opportunist, der in der Welt vorankommen will und schon vor dem Einmarsch der Deutschen heimlich mit diesen zusammenarbeitet. Jang sorgt sich vor allem um das Wohl seiner Familie und seiner Verlobten, mit den Nazis möchte er nichts zu tun haben.

De Kollaborateur verfolgt das Schicksal der beiden bis zur Befreiung; Schlüsselepisoden gestaltet Schadeck szenisch, den Kriegsverlauf dazwischen fasst er jeweils kurz zusammen. Mit ihren Prozentangaben und Quellenzitaten besitzen letztere Passagen den Charme von Wikipedia-Einträgen. Die Prosa ist auch ansonsten wenig mitreißend. Figuren werden gerne unter Angabe ihrer Körpergröße in Zentimetern eingeführt, als ob dies für die Verlebendigung der Geschichte unabdingbar sei.

Die Handlung geht derweil ihren vorgegebenen Weg: Heng tritt gleich nach der Okkupation in die NSDAP ein und gelangt als Gielemännchen der ersten Stunde zu Macht und Reichtum. Jang verweigert den Hitlergruß und landet in einem Umerziehungslager. Zurück nach Remich geht es nur über eine Mitgliedschaft in der Volksdeutschen Bewegung. Als später sein jüngerer Bruder fahnenflüchtig wird und den Eltern die Umsiedelung droht, führt an der NSDAP kein Weg mehr vorbei.

Die plakative Figurenkonstellation und der stationenartige Aufbau verleihen De Kollaborateur den Charakter einer Moralität. Dem guten Kollaborateur ist es möglich, sich von der Sünde reinzuwaschen. Jang hat Kontakte zur Résistance und kann sich durch seinen Einsatz für versteckte Deserteure rechtzeitig zum Kriegsende auf die richtige Seite der Geschichte schlagen. Es ist übrigens zu hoffen, dass das hier beschriebene Vorgehen der Résistance zu den erfundenen Teilen des Romans gehört: Der Anführer der lokalen Gruppe stellt sich Jang beim ersten Treffen förmlich als Anführer der lokalen Gruppe vor. Eine Widerständlerin verrät, dass man dummerweise eine Liste mit den Namen aller Mitglieder in der Kirche versteckt hat.

Der böse Kollaborateur sieht seine Fehler irgendwann auch ein, aber für ihn kommt alle Hilfe zu spät. Heng bleiben nur Gewissensbisse und Schuldgefühle. Der feierliche Epilog erzählte knapp vom weiteren Werdegang der Remicher Charaktere, nur über Heng schweigt er. Auch wenn er kein überzeugter Nazi war (er kann nicht einmal richtig Deutsch!), scheint sein Vergehen unverzeihlich. Gerade an der Figur von Heng wird die begrenzte Art deutlich, in der die Kollaboration in diesem Roman dargestellt wird. Etwas Schlimmeres als reumütige Opportunisten gibt es in seiner Welt nicht. Antisemiten und Möchtegern-Herrenmenschen sind auf Luxemburger Seite unvorstellbar.

Ein Vertreter der Nazis, Kreisleiter Albert Müller, bestätigt bei Schadeck, dass die Luxemburger keine „zuverlässlichen [sic] Mitarbeiter, sondern nur reine Profiteure waren“. Der Kollaborateur ist entweder, wie Jang, ein Widerständler im Herzen, der äußeren Zwängen unterliegt. Oder er hat, wie Heng, „der Versuchung net widderstanen“. Ob sie nun als Nötigung oder als unwiderstehliches Angebot erscheint, der Roman beschreibt die Kollaboration ausschließlich als Bedrohung von außen, der die Luxemburger zum Opfer fallen. Damit macht er es sich, gerade mit Blick auf die aktuelle Geschichtsschreibung, viel zu einfach. Bis auf den Umstand, dass Heng bereits vor der Besatzung kollaboriert und den Nazis Informationen zur jüdischen Bevölkerung liefert, hätte De Kollaborateur vermutlich auch schon 1949 geschrieben und veröffentlicht werden können. Auf den großen historischen Roman unserer Tage müssen wir also noch warten.

Léon Schadeck: De Kollaborateur. Roman. Éditions Saint-Paul, Luxembourg 2019.
ISBN 978-99959-2-037-1. 112 Seiten; 16 Euro.

Jeff Thoss
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