Am Montag traf CSV-Premier Luc Frieden den parlamentarischen Verteidigungsausschuss. Die Sitzung war vertraulich und fand im huis-clos statt. Vorher bekannt war, dass es noch einmal um die Ukraine-Unterstützerkonferenz am 26. Februar in Paris gehen würde und um die Äußerung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, ein Einsatz westlicher Truppen in der Ukraine sollte „nicht ausgeschlossen“ werden.
Luc Frieden war einer der wenigen Regierungschefs, die anschließend nicht klar auf Distanz zu Macron gingen. Deutschland, Polen, Schweden, Spanien und Italien schlossen eine Truppenentsendung aus. Aus Washington kam dasselbe Signal. Informell sollen Regierungen skandinavischer und baltischer Länder Macrons Position unterstützt haben. Doch nur die Regierung Litauens erwog einen Tag nach dem Treffen in Paris offen, zur „Ausbildung“ der ukrainischen Armee könnten eigene Truppen entsandt werden, wie die New York Times am 27. Februar nach Sichtung der litauischen Presse schrieb. Am selben Tag erklärte Luc Frieden, zurück aus Paris, in der Abgeordnetenkammer, die Luxemburger Regierung habe „zu diesem Zeitpunkt nicht die Absicht, Soldaten in die Ukraine zu schicken“. Doch „niemand kann sagen, was in ein paar Monaten der Fall sein wird“.
Wer will, kann das als nüchterne Einschätzung des Weltgeschehens aus dem Munde eines Staatsmanns von Format halten. Nach der Sitzung mit dem Verteidigungsausschuss am Montag erläuterte der Premier seine „Nuance“ noch einmal gegenüber dem Radio 100,7: „Well een an deem Krich vun Ufank u gesinn huet, datt all d’Länner hu missten – well de Krich méi laang gedauert huet, wéi am Ufank geduecht ginn ass – ëmmer erëm op hir Positiounen zeréckkommen. A kee kann Iech haut soen, wéi an engem Joer d’Situatioun ass.“
Wahrscheinlich aber soll diese Position in erster Linie der Imagepflege Luxemburgs dienen, nicht nur Finanzoase zu sein, sondern auch bereit zur Übernahme von Verantwortung, wenn es darauf ankommt. Luc Frieden betonte in seiner Erklärung am 27. Februar im Parlament noch, dass die Ukraine-Konferenz in Paris am Tag zuvor „nicht den juristischen Rahmen einer internationalen Organisation hatte, etwas zu entscheiden“. Und er legte Wert darauf, zu „präzisieren“, dass ein Beschluss über eine Truppenentsendung in die Ukraine „sowieso nur von einer internationalen Organisation im Rahmen eines juristischen Mandats getroffen“ werden könne, „im Rahmen der Nato vielleicht, der Uno oder der EU“. Eine solche Entscheidung aber liege „heute überhaupt nicht auf dem Tisch“.
Der Hinweis auf den „juristischen Rahmen“ und ein „juristisches Mandat“ ist insofern wichtig, als Luxemburg, wie alle anderen Länder auch, der Ukraine schon heute militärisch beistehen könnte. „In der Ukraine herrscht Krieg. Das ist unter der großen Mehrheit der UN-Mitgliedstaaten, darunter Luxemburg, unumstritten, auch wenn Russland noch nicht von einem Krieg spricht“, erklärt die Verteidigungsdirektion im Außenministerium dem Land. Soll heißen: Völkerrechtlich gesehen, muss ein Land, das angegriffen wird, sich nicht alleine verteidigen, sondern kann andere Staaten um Hilfe bitten. Die können individuell oder kollektiv Beistand leisten.
„Juristischer Rahmen“ und „juristisches Mandat“ aber beziehen sich noch mehr auf den Rechtsrahmen in Luxemburg. Der ist für eine Beteiligung an einem regelrechten Krieg nicht so klar. Mit der jüngsten Verfassungsrevision, die am 1. Juli vergangenen Jahres in Kraft trat, verschwand, was bis dahin Artikel 37 besagte: „Le Grand-Duc commande la force armée; il déclare la guerre et la cessation de la guerre après y avoir été autorisé par un vote de la Chambre émis dans les conditions de l’article 114, alinéa 2 de la Constitution“. Das bedeutete eine Zweidrittelmehrheit. Der neue Verfassungstext enthält einen Artikel 115, in dessen Absatz 2 steht: „Toute déclaration relative à l’état de guerre et tout engagement de la force publique dans des opérations à l’étranger requièrent l’autorisation de la Chambre des Députés selon les modalités à établir par la loi.“
Damit wurde die Verfassung um die Anmaßung bereinigt, dass ein kleines Land wie Luxemburg eine Kriegserklärung als Rechtsmittel nötig haben könnte. Der einzige Kriegseinsatz Luxemburger Soldaten nach dem Zweiten Weltkrieg war der Koreakrieg: 85 Luxemburger Freiwillige gehörten einer belgischen Einheit an und unterstanden dem Belgian United Nations Command. Dieser Einsatz war vom UN-Sicherheitsrat mandatiert. Nachdem nordkoreanische Truppen am 25. Juni 1950 in Südkorea einmarschiert waren, autorisierte der Sicherheitsrat sechs Tage später militärischen Beistand für Südkorea. Zwei Luxemburger Freiwillige fielen im Koreakrieg, 13 wurden verwundet. Damals stand in der Verfassung nichts von Kriegserklärung und welche Rolle dem Parlament zukommen sollte: Der Passus war 1919, nach dem Ersten Weltkrieg, entfernt worden und wurde erst 1956 wieder hinzugefügt. Im Koreakrieg war Luxemburg das kleinste von 16 Ländern, die dem Beschluss des Weltsicherheitsrats folgten.
Eine Truppenentsendung in die Ukraine, falls es sie gäbe, wäre vermutlich keine von Freiwilligen. Sie fände nicht nach Südostasien statt, sondern innerhalb Europas und wäre gegen die Nuklearmacht Russland gerichtet. Auch wenn ein internationales Mandat bestünde, weil die EU oder die Nato entschieden hätten, der Ukraine kollektiv mit Truppen beizustehen, müsste es in Luxemburg laut Verfassungsartikel 115, Absatz 2 ein Gesetz geben, das ein „engagement de la force publique dans des opérations à l’étranger“ regelt sowie die Rolle, die das Parlament dabei zu spielen hätte. Aber welches Gesetz? Ein Kriegseinsatz in der Ukraine wäre jedenfalls kein „Bündnisfall“ nach Artikel 5 des Nato-Vertrags; der bezieht sich auf die Verteidigung unter den Alliierten.
Wie die Verteidigungsdirektion erklärt, stellt das Gesetz vom 27. Juli 1992 „relative à la participation du Grand-Duché de Luxembourg à des opérations pour le maintien de la paix et des opérations de prévention, ainsi que de gestion de crise“ den Anschluss an Verfassungsartikel 115 her. Dieses Gesetz sei könne auch Grundlage für einen „eventuellen“ Einsatz Luxemburger Truppen in der Ukraine sein. Vorausgesetzt, der Einsatz fände entweder im Rahmen einer Organisation statt, der Luxemburg angehört, wie der EU oder der Nato. Oder die Mission würde „die doppelte Bedingung erfüllen, in einer multinationalen Gruppierung zu erfolgen und mit einem internationalen Mandat“. Wohlgemerkt, fügt die Verteidigungsdirektion in einer E-Mail an, all dies sei rein hypothetisch und juristisch argumentiert. Tatsächlich infrage komme ein Einsatz Luxemburger Truppen wegen der „aktuellen Kriegssituation in der Ukraine“ nicht.
Doch ob, was im Gesetz von 1992 auch nach einer größeren Änderung von 2021 geschrieben steht, wirklich nützlich wäre für einen Militäreinsatz, der in einen Weltkrieg münden könnte, ist die Frage. Das Gesetz von 1992 gestattet der Regierung, Truppen für „opérations pour le maintien de la paix et des opérations de prévention, ainsi que de gestion de crise“ bereitzustellen. Doch wäre ein Einsatz in der Ukraine eine „gestion de crise“? Die „Operationen“ von denen in dem Gesetz die Rede ist, können „une mission à caractère civil ou militaire dont le but consiste dans la prévention, la dissuasion, la limitation, la modération ou la cessation d’hostilités internes ou interétatiques“ sein. Aber ließe ein Truppeneinsatz in der Ukraine, selbst wenn er international mandatiert wäre, sich als einer zum Zwecke der „modération“ oder der „cessation d’hostilités interétatiques“ bezeichnen, wenn die Mehrheit der Staatengemeinschaft der Ansicht ist, dass in der Ukraine Krieg herrscht?
Weil die Verteidigungsdirektion ihre Auskünfte erst drei Tage nach der Anfrage erteilte, war für weitere Erörterungen keine Zeit. Vielleicht ist die Verteidigungsdirektion sich selber nicht sicher, aber ein anderes Gesetz als das von 1992 (mit Abänderung 2021) ist nicht zur Hand. Nimmt man dieses Gesetz wörtlich, kann eine Truppenentsendung der Regierungsrat beschließen, nachdem die zuständigen parlamentarischen Ausschüsse „konsultiert“ wurden. „Falls nötig“ auch das Plenum der Abgeordnetenkammer. Eine Abstimmung über den Militäreinsatz durch das Parlament sieht das Gesetz nicht vor. Verfassungsartikel 115, Absatz 2 wäre damit wohl Rechnung getragen und der Kammer eine Rolle zugewiesen. Dass ein Abgeordneter gegen eine Truppen-
entsendung in einen Konflikt der Größenordnung Ukraine stimmen könnte, wäre allerdings ausgeschlossen. Die Frage, ob Luxemburg juristisch vorbereitet ist für eine Teilnahme an einem richtigen Krieg, muss mit Nein beantwortet werden.