„All Foto (...) eng Geschicht“

d'Lëtzebuerger Land vom 27.08.2021

Selten wird Yvon Lambert vor der Kamera erwischt. Meistens steht der „aristocrate des photographes luxembourgeois“ (d‘Land, 29.07.2005) hinter seiner Kamera, mit dem Finger auf dem Auslöser, bereit für das nächste Bild. In schwarzen Chucks, blauen Jeans und weißem Hemd öffnet der gebürtige Péitenger uns in Esch die Tür. Er will über sein neues Buchprojekt Oostende erzählen und seine Leidenschaft Fotografie.

Seit 1987 ist Lambert als Berufsfotograf tätig. Von Tokio, über Havana bis nach New York hat Lambert einige Metropolen abgelichtet. ‚Warum also nun Ostende?‘, möchte man fragen. Ostende sei für die meisten Luxemburger „déi nooste Plaz fir d’Mier kucken ze goen.“ Auch Lambert schnuppert seine erste Meeresluft dort. An der Seite seiner Eltern fährt er als kleiner Junge mit dem Zug nach Ostende, sein Fenster zum Meer und nach London. Denn damals habe man gleich vom Bahnhof an Bord der großen, weißen Schiffen (den Mallen) gehen und nach England schippern können. Später wird aus der Kindheitserinnerung ein Kurort. Immer wieder zieht es den Luxemburger nach Ostende zurück. Besonders dann, wenn er das Bedürfnis verspürt, „zwee, dräi Deeg Loft ze wiesselen an bei d’Mier ze goen.“

Bei diesen Reisen an den Sandstrand Belgiens entsteht auch das Buchprojekt Oostende. Ausgerüstet mit Film und Fotoapparat, sei Lambert nach einem halben Dutzend Aufnahmen die Idee gekommen, die belgische Küstenstadt fotografisch darzustellen. Bei seinen Stippvisiten sammelt er jedes Mal neues Material. „Ee Pleséier“, meint Lambert, denn allein in Ostende gebe es noch „Plazen, wou een nach eppes vun der Vergaangenheet erausspiert“. Die Architektur Ostendes und die Tradition an Schriftsteller/innen und Maler/innen (etwa Léon Spilliaert), die hier logierten, sind Quelle der Inspiration für den Fotografen.

Das Buch Oostende. Conversations du bord de mer ist daher ein Dialog zwischen Literatur und Fotografie, zwischen Text und Bild und – in Form von Postkarten – zwischen dem Fotografen Yvon und seinem Bruder Romain Lambert.

Demonstrativ schiebt Lambert den Bücherstapel seiner zwölf Publikationen auf einen der beiden Schreibtische seines Arbeitszimmers. Drei davon vereinen Fotografie und Literatur. Eines der Leitmotive Lamberts. Bereits 2005 arbeitet er für Lézardes mit Karla Suárez aus Kuba zusammen, zwei Jahre später für Brennweiten der Begegnung mit Nico Helminger. 2021 folgt auch das neue Werk Oostende diesem Muster. Für Lambert selbst gibt es in seiner Fotografie, „een evidente Lien zur Literatur (...), zu de Wierder.“ Doch er selbst könne sich nur schlecht mit Worten ausdrücken. Das sei „eng vun den Ursaachen, firwat ech Fotografie (maachen)“. Das spürt man, denn er lässt seine Fotos sprechen. Sie sind das Ausdrucksmittel seiner Wahl. Fast programmatisch stellt Lambert fest, dass seiner Ansicht nach „all Foto plus au moins eng Geschicht erzielen“ soll.

Im Zeitalter des Digitalen ist Lambert ein Verfechter des Analogen. In einer Glasvitrine zeigt uns der Fotograf seine Ausrüstung. Fotoapparate von Leica, Hasselblad und Mamiya. Lambert lässt keinen Zweifel offen: „bei mir ass alles Film, Film, Film.“ Wie ein Handwerker geht er seiner Bilderkunst nach. Denn die digitale Fotografie sei ihm „vill ze vill geleckt“. Das Authentische entstehe vielmehr in der Anfälligkeit des Materials. Lambert vergleicht daher die analoge Fotografie mit Schallplatten und offenbart damit die Vulnerabilität des Fotografen: „e Feeler an enger Plack oder an engem Negativ, dat schwätzt jo awer och vun der Onsécherheet vum Fotograf.“ Sonst drohe es „artifiziell“ zu werden.

Die Verletzbarkeit des Fotografen spiegelt sich heute auch in der Lage der Berufsfotografie. Lambert stellt fest, dass die Quantität an Bildern „jo enorm zougeholl“ habe, die Qualität hingegen „enorm ofgeholl“. Diese habe auch mit der prekären Lage des Fotojournalismus zu tun. Oft würde auf Archive zurückgegriffen. Nur wenige Zeitungen können noch Fotografen rausschicken, geschweige denn fest einstellen. Vierzig Jahr treibt die Fotografie nunmehr Lambert an. Der Direktor für Fotografie der französischen Zeitung Libération, Christian Caujolle, wird auf das Luxemburger Nachwuchstalent aufmerksam noch während dessen erstem Studienjahr am „Le 75“ in Brüssel. Der Kontakt bleibt. Lambert fängt hie und da an für Libération zu arbeiten, bis Caujolle dort aufhört und 1986 in Paris die renommierte Agence Vu’ mitgründet. Lamberts Weg in die Agence Vu’ ist damit geebnet. Jedoch räumt er einen Fehler ein: Er habe nach Paris ziehen müssen. Die Möglichkeit in Paris und in unmittelbarer Nähe der Agentur tätig zu sein, muss Lambert aus finanziellen Gründen aufgeben. Falls der Antrieb, Fotograf/in zu werden, sich rein aus Geldgründen speist, rät Lambert „fir d’Patten dovun ze loossen“. Es sei denn, man sehe einem gesicherten Monatsgehalt entgegen oder einem „gudde Kontrakt bei enger Zeitung“. „Wann ech net scho véierzeg Joer passionéiert wier vu Fotografie, dann hätt ech scho laang opgehalen“, folgert er.

Am 29. September dieses Jahres findet mit Derniers Feux die Vernissage einer neuen Ausstellung in den Luxemburger Nationalarchiven statt. Abgerundet wird die Ausstellung mit einem dazugehörigen Buch, das am 10. September erscheinen soll. Schließlich verrät uns der Fotograf, dass ein weiteres Großprojekt anstehe. Eine Arbeit über „fofzéng Grenzgeschichten an Europa“, die an Schriftersteller/innen und Philosoph/innen wie Franz Kafka und Walter Benjamin anknüpfen und sich von Berlin bis Kaliningrad erstrecken. Spricht man mit Lambert, wird eines schnell klar: Er brennt immer noch für Fotografie.

Yvon Lambert: Oostende. Conversations du bord de mer. ARP2 Éditions (Juni 2021).
400 Exemplare, 96 Seiten, 37 Euro

Jeff Simon
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