D’Lëtzebuerger Land: Frau Detaille, Sie bringen gleich zwei Neuheiten mit an die Spitze der Fedil: Ihr Geschlecht und Ihre Staatsbürgerschaft. Sie sind die erste nicht-luxemburgische Präsidentin. Würden Sie sich selbst als Feministin bezeichnen?
Michèle Detaille: Ja!
Eindeutige Antwort! Warum ist es Ihnen in Ihrer wirtschaftlichen und politischen Spitzenstellung heute noch wichtig, Feministin zu sein?
Weil viele Frauen in Europa heutzutage mindestens so gut ausgebildet und qualifiziert sind, wie ihre männlichen Kollegen und trotzdem so wenige von ihnen Führungsposten bekleiden. Will man Frauen in Verantwortungspositionen von Unternehmen und Institutionen bringen, bleibt viel zu tun und dazu würde ich gerne mit meinem Feminismus beitragen. Ich glaube an die Diversität und dazu gehört auch die Diversität der Geschlechter, schon allein weil die Frauen 50 Prozent der Bevölkerung darstellen.
Befürworten Sie Frauenquoten in Wirtschaft und Politik?
Nein, auch da ist meine Antwort eindeutig. Das wird mir oft vorgeworfen, nach dem Motto: „Du kannst das sagen, weil du es ohne Quote geschafft hast.“ Aus Unternehmenssicht gesehen, glaube ich allerdings, gibt es bereits viele Regeln, die den Betrieb beeinflussen und einschränken. Man sollte denen keine weiteren hinzufügen. Wenn ich es aus dem Blickwinkel der Frau heraus betrachte, halte ich Quoten ebenfalls für keine gute Methode, weil sie Beförderungen nicht unbedingt legitimieren. Ich glaube eher an eine Politik der Ermutigung. Ich glaube daran, dass man erklärt, dass die Gegenwart von Frauen in Entscheidungsgremien Unternehmen effizienter und produktiver macht. Wenn man sich mit unterschiedlichen Leuten und Meinungen auseinandersetzt, hilft dies, bessere Entscheidungen zu nehmen. Verwaltungsräte oder Direktionen mit rein weiblicher Besetzung wären meiner Ansicht nach keine bessere Lösung als rein männlich besetzte.
Vielleicht ist wirkliche Gleichstellung aber erst erreicht, wenn die Beförderung von Frauen in Entscheidungsgremien nicht mehr durch ihre Kompetenz legitimiert werden muss, sondern dort genauso viele unfähige Frauen sitzen dürfen, wie unfähige Männer.
Ja, es gibt diesen großen Satz der französischen Feministin Françoise Giroud, die sagte: Die Gleichstellung erreichen wir an dem Tag, an dem eine inkompetente Frau auf einen wichtigen Posten nominiert wird. (Lacht) Es ist mir manchmal schon vorgekommen, dass ich dachte: „Vielleicht haben wir die Gleichstellung jetzt erreicht!“
Stört Sie der Wirbel und die ganzen Fragen darum, dass Sie die erste Präsidentin der Industriellenföderation sind?
Ja und Nein. Wenn dadurch die Ziele, die ich mir für die Fedil gesetzt habe, in den Hintergrund gedrängt werden, finde ich das nicht gut. Andererseits nehme ich dadurch eine Vorbildfunktion für andere Frauen ein. Frauen wollen oft alles perfekt machen und zögern deshalb. Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, die dagegen sprachen, Fedil-Präsidentin zu werden, angefangen damit, dass ich kein Luxemburgisch spreche. Aber mir wurde der Posten angetragen, mir wird das also zugetraut. Und als ich gefragt wurde, habe ich nicht zugestimmt, weil ich eine Frau und darüber hinaus Belgierin bin. Sondern weil ich eine Etappe in meiner Karriere erreicht habe, die dieses Engagement ermöglicht und ich mich mit den Botschaften identifizieren kann, die unter meinem Vorgänger Nicolas Buck ausgearbeitet wurden. Es ist also eher der Blick Dritter, der mich darauf aufmerksam macht, wie außergewöhnlich es ist. Ich selbst hätte nicht gedacht, dass daraus so ein „Mini-Event“ wird.
Ihre Karriere haben Sie in der belgischen Politik begonnen, ein Feld, das mit seinen vielen unterschiedlichen Ebenen längst nicht allen Luxemburger Beobachtern zugänglich ist. Um Sie besser auf dem politischen Spektrum einordnen zu können: Was wäre in der hiesigen Landschaft das Pendant zur der Partei in der sie Ihre Laufbahn absolviert haben?
Ich habe als politische Beraterin des damaligen Vorsitzenden der französischsprachigen Liberalen PRL angefangen, einer Schwesterpartei der DP. Die Beziehungen zur DP – damals mit unter anderem Lydie Polfer und Henri Grethen – gehörten zu meinen Aufgaben. Mit 25 Jahren wurde ich in meiner Gemeinde Vaux-sur-Sûre die jüngste Bürgermeisterin Belgiens und hielt den Posten 18 Jahre lang. Und ich hatte eine kurze parlamentarische Karriere auf nationaler Ebene. Ich war zwei Jahre lang Abgeordnete im föderalen Parlament, wobei zu dieser Zeit kein Unterschied zwischen regionaler und föderaler Ebene gemacht wurde. Ich war außerdem noch Parteivizepräsidentin.
Die Lokalpolitik ist ein ganz besonderes Geschäft.
Es gleicht sehr stark der Leitung eines mittelständischen Unternehmens. Man muss polyvalent sein, ein bisschen von allem kennen, viele Probleme lösen. Allerdings sind in einer Firma die Ziele klar: Mehrwert schaffen, Gewinn erwirtschaften. Als politischer Verantwortlicher ist das eine vollkommen andere Sache; man muss sich selbst fragen, welche Ziele man verfolgt. Wiedergewählt werden? Ein Programm umsetzen? Das ist schwierig, schon allein wegen der Wahlfristen. Politikern wird oft vorgeworfen, dass sie nur wiedergewählt werden wollen. Dabei ist das selbstverständlich. Wenn sie nicht gewählt sind, können sie nichts bewirken. Bürgermeisterin ist ein sehr schöner Beruf, aber schwieriger als alles, was ich je in der Privatwirtschaft versucht habe.
Warum?
Weil man ganz andere Fähigkeiten entwickeln muss. Als Bürgermeisterin muss man jedem zuhören, Kompromisse innerhalb der eigenen Mehrheit finden, weil jeder Gewählte eine Stimme darstellt, ob er nun viele oder wenig Wählerstimmen erhalten hat. Dabei ist auch in den eigenen Reihen längst nicht jeder zuverlässig, mehr oder weniger engagiert oder intelligent. In einem Unternehmen ist das anders. Es gibt dort eine klarere Hierarchie, Leute, die mehr zu sagen haben als andere, wenn es um wichtige Entscheidungen geht. Außerdem, und ich fand das immer wichtig, ist man als Politiker völlig anderen Realitäten ausgesetzt, hat Einblick in ganz andere Gesellschaftsbereiche und -ebenen, sieht Probleme, Armut, die man sonst nicht sehen würde. Wenn man sich in einem klassischen Arbeitsumfeld aufhält, begegnet man Menschen, die ungefähr den gleichen sozio-ökonomischen Hintergrund haben, wie man selbst. In der Politik können sie heute den Kaiser von Japan treffen und morgen Leute, die in sehr großer sozialer Misere leben. In einem Unternehmen gibt es das nicht, auf jeden Fall nicht im gleichem Umfang.
Die Fedil-Präsidentschaft ist nicht Ihr einziges Ehrenamt. Sie sind seit 15 Jahren im Verwaltungsrat der Université catholique de Louvain, einer altehrwürdigen, großen, angesehenen Universität, die gerade ihren neuen Rektor über eine allgemeine Wahl bestimmt hat. Die Ankunft des neuen Rektors der Luxemburger Uni war von großer Polemik begleitet. Haben Sie in Sachen Universitätsführung Tipps an die Kollegen der jungen Luxemburger Uni?
Tipps? Ich weiß nicht. Ich muss vorausschicken, dass ich darum gebeten habe, mein Mandat in Louvain nicht zu verlängern, als ich entschied, den neuen Posten bei der Fedil anzunehmen. Das wird sonst ein bisschen viel, schafft Konfliktpotenzial, und ich bin seit 15 Jahren Mitglied in diesem Verwaltungsrat. Irgendwann hat man sein Bestes gegeben und lernt auch nichts Neues mehr. Dann ist es Zeit zu gehen. Die Universität Louvain bestimmt ihren Rektor schon seit 20 Jahren per allgemeine Wahl, auch wenn es eine proportionale Gewichtung gibt zwischen Studentenschaft, Forschern, akademischen Personal .... Aei dieser Wahl haben nur 16 Prozent der Studenten teilgenommen, sie haben sich also nicht in die Kabinen gestürzt.
Ist es demnach ein gutes System oder nicht?
Ich habe drei solcher Wahlen von innen erlebt, weil ich das Wahlreglement mit ausgearbeitet habe. Und dabei gibt es immer innere Kämpfe, das gehört dazu, genauso wie dann versucht wird, einen Konsens zu finden. Der große Vorteil des Systems ist, dass es die Debatte antreibt. Und wenn es einen Ort gibt, an dem debattiert werden soll, wo die Ideendebatte ermutigt werden und stattfinden muss, und das, ich würde fast sagen, unbegrenzt, dann ist es eine Universität. Dazu trägt die Wahl bei, auch wenn es diesmal nur zwei Kandidaten gab. Bei der vorherigen gab es ein halbes Dutzend Kandidaten, die richtig Kampagne machten und zwischen den verschiedenen Standorten der Uni hin- und herreisten. Sie fanden dies sehr anstrengend, aber das ist wichtig. Wenn man einen Uni-Rektor bestimmt, sollte man sich besser nicht irren, denn es gibt wenig Gegengewicht zur Person des Rektors.
Irgendwelche Rückschlüsse auf die Luxemburger Uni?
Ich bin dabei, sie zu entdecken. Wenn ich mir allerdings die Rankings anschaue – über deren Wert sich selbstverständlich diskutieren lässt –, finde ich, sie macht sich gar nicht schlecht für eine junge Einrichtung. Ich gehe davon aus, dass sie wie jede andere junge Einrichtung ihre Kinderkrankheiten überstehen muss. Aber ich habe auch eine gewisse Bewunderung für diese Uni, die auf dem Papier entworfen wurde, in einem kleinen Land ohne eigenständige Uni-Kultur. Abgesehen von Jura und Finanzen, was offensichtliche Prioritäten sind, stelle ich mir die Auswahl der Bereiche, in denen sie sich weiterentwickeln will, schwierig vor. Wenn ich eine Verbindung zur Fedil herstellen kann: Wir brauchen Ingenieure. Ob man das als Uni macht, hängt natürlich davon ab, ob die Finanzierung stimmt und ob es eine kritische Masse gibt, zumal die Angebote in den Nachbarländern für die Studenten sehr attraktiv sind. Aber die Industrie braucht nicht nur hoch qualifizierte Ingenieure, sondern auch das, was man früher Techniker nannte, die das IST ausbildete. Als Fedil würden wir in diesem Sinne gerne mit der Uni zusammenarbeiten – ohne die Uni instrumentalisieren zu wollen. Dazu ist die akademische Freiheit eine zu wichtige Sache.
Der Fedil-Vollversammlung haben Sie vergangenen Donnerstag gesagt, es müsse besser erklärt werden, was die Industrie kann und bringt, damit sie in einem besseren Licht erscheint. Der zuständige Wirtschaftsminister Étienne Schneider (LSAP) hat vergangenes Jahr versucht, mit der Reindustrialisierung Wahlkampf zu machen und er hat damit eine ziemliche Schlappe kassiert. Welche Zukunft sehen Sie denn für die Industrie in einem kleinen Land, in dem die Wähler ziemlich deutlich gesagt haben, dass sie keine Industrie mehr wollen?
Ich glaube die Leute, wollen keine Industrie mehr, weil viele von ihnen nicht wissen, was die Industrie ist...
... das können Sie den Einwohnern von Sanem, Differdingen, Esch oder Schifflingen nun wirklich nicht vorwerfen. Die haben seit Jahrzehnten, wenn nicht seit Jahrhunderten die Schwerindustrie im Hinterhof und im Gemüsegarten und sind sehr gut mit ihr bekannt.
Das stimmt! Aber die Industrie hat sich seither sehr verändert, wie andere Wirtschaftszweige auch. Die Landwirtschaft und die Lebensbedingungen der ländlichen Bevölkerung sind beispielsweise auch nicht mehr mit denen von früher zu vergleichen. Daher denke ich, mit wenigen Ausnahmen ist die Nachbarschaft mit der Industrie heute nicht mehr so problematisch. Es gibt auch Leute, die keinen Fluglärm ertragen, die der Straßenverkehr vor der Tür stört oder auf dem Dorf der Geruch, wenn der Bauer die Gülle ausfährt. Ich habe noch keinen Wohnort gefunden, an dem es nicht irgendetwas auszusetzen gebe. Und wenn man von der Gastronomie wie von der Industrie reden würde, und die einzelnen Bestandteile des jeweiligen Tellerinhalts aufzählen würde, anstatt von Aromen und Geschmacksnuancen zu sprechen, dann würde Ihnen schnell der Appetit aufs Essen vergehen. Dabei könnte man auch erklären, dass die Kugelschreiber schreiben, weil die notwendigen Kugeln von Ceratizit hergestellt werden. Dass Accumalux Batteriegehäuse produziert, während alle von für die Energiewende notwendigen Batterien reden. Außerdem strukturiert die Industrie auch das wirtschaftliche Gefüge in ihrer Umgebung. Sie schafft Aufträge für den Bäcker, der die Brötchen bringt. Oder für die Putzfirmen, die die Hallen saubermachen. Darüber hinaus gibt es heute nur noch sehr wenige wirklich unangenehme Jobs in der Industrie. Es gibt sicherlich noch manuelle Aufgaben, aber die Arbeit wurde über die letzten 20 Jahre durch technische Neuerungen ganz wesentlich vereinfacht und das ist gut so. Diese Dinge sind es, die nicht bekannt genug sind.
Bleibt dennoch die Frage, ob die Landesfläche nicht zu klein ist, um zusätzliche große Industrieprojekte ansiedeln zu wollen.
Das sagen nur Leute, die keinen Fuß nördlich von Mersch, vielleicht nicht mal von Walferdingen wagen. Zwischen Mersch und Wiltz gibt es viele verfügbare Grundstücke. Die muss man keinesfalls alle bebauen und überall Schornsteine hinstellen. Aber es gibt dort Möglichkeiten, Industrien anzusiedeln, die wenig Schadstoffe ausstoßen und zwar so, dass sie niemanden stören.
Unter dem Führungsduo Nicolas Soisson / Robert Dennwald forderte die Fedil noch regelmäßig die Abschaffung des Mindestlohns. Dann kam Nicolas Buck und die Fedil wurde „The voice of Luxembourg’s industry“. Hat die Fedil mit Ihnen noch eine sanftere Stimme im Sozialdialog? Wie stehen Sie zu solchen Forderungen, die so alt ja noch nicht sind?
Sie haben den Index vergessen! (Lacht) Ich möchte pragmatisch sein. Verschiedene Sachen werden als Häresie betrachtet. Dann ist das so und damit hat es sich. Ich rede lieber über die Dinge, die sich verändern und verbessern lassen, sowohl für die bereits ansässigen Firmen, als auch für solche, die noch kommen sollen. Die Industrie ist ständigem Wandel ausgesetzt. Es wird immer solche Industrien geben, die schließen oder verschwinden, und die nicht durch einheimische Industrien ersetzt werden. Deshalb muss Luxemburg auch nach außen attraktiv bleiben. Normalerweise werden Sie mich daher aber nur über Themen sprechen hören, in denen sich etwas bewegen lässt. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass die Fedil die Debatte über diese Dispositionen wiederaufnimmt, wenn sie der Wirtschaft zu großen Schaden beifügen. In dem Fall werden wir allerdings besonders darauf achten, unsere Botschaften dort zu formulieren, wo sie Gehör finden können, damit unser Vorgehen eine Chance hat, erfolgreich zu sein.
Wenn Sie die Proteste der Gelbwesten in Frankreich sehen, meinen Sie nicht, dass soziale Errungenschaften wie der Index oder der vergleichsweise hohe Mindestlohn ein Vorteil für den Standort Luxemburg sind?
Ich habe eine Luxemburger Firma gekauft und beschlossen, sie nicht zu verlagern. Ich habe zwei französische Firmen aufgekauft und sie nach Luxemburg gebracht. Das waren keine zufälligen Entscheidungen und dabei war nicht allein das Steuerumfeld ausschlaggebend. Wenn eine Firma solche Entscheidungen trifft, spielen da immer unterschiedliche Faktoren eine Rolle. Beispielsweise die Verfügbarkeit von Arbeitskräften, die juristische Sicherheit, die in Luxemburg sehr groß ist, weil die Anpassungen in kleinen Schritten vorgenommen werden. Ein Unternehmen wird über Jahrzehnte aufgebaut, da ist es wichtig, dass nicht eine Regierung 1: 1 wieder alles rückgängig macht, was die Vorgänger beschlossen haben. Davon abgesehen hat Frankreich, wo ich lange gearbeitet habe, noch ganz andere Schwierigkeiten. In Frankreich gibt es ein großes Problem mit dem Dialog. Frankreich ist ein Land mit Kastensystem. Wenn Sie als 18-jähriger die Aufnahmeprüfung in eine der wichtigen Hochschulen schaffen, haben Sie Ihr Leben lang ausgesorgt, was natürlich gut für Sie ist. Danach stellen Sie ihre Mitstudierenden ein, oder werden von Ihnen eingestellt. Es gibt Unternehmen, die ausschließlich Absolventen bestimmter Hochschulen rekrutieren. Im 21. Jahrhundert kann man so überlegen? Da sind Länder wie Luxemburg und Belgien kulturell und sozial viel gemischter. Darüber hinaus darf man nicht vergessen, dass in Frankreich jeder eine Meinung hat, glaubt sie sagen zu müssen und meint, wenn die Meinung gesagt sei, sei alles erledigt. Aber wenn alle ihre Meinung gesagt haben, dann reicht es auch irgendwann mit den Diskussionen und man muss auch mal anfangen, zu handeln. (Klopft lachend mit dem Finger auf den Tisch) Vergessen wir nicht, dass Frankreich das Land der 35-Stundenwoche ist.
Sie haben angekündigt, Ihr Vorsitz werde eine Art Wandel in der Kontinuität werden, da Sie die Prioritäten, die unter Ihrem Vorgänger definiert wurden, übernehmen wollen. Allerhöchste Priorität hat für die Fedil der Fachkräftemangel. Die Fedil hat daher die Kampagne „Hello Future“ entwickelt, um Jugendlichen die unterschiedlichen Berufe, die es in der Industrie gibt, schmackhaft zu machen. Dabei ist dem Alter längst entschieden, wer einen Beruf lernen beziehungsweise studieren kann. Kommen Sie da nicht ein bisschen spät?
Ich glaube nicht. Denn es ist dann immer noch möglich, Jugendliche für Berufe zu begeistern, die nicht fürs Gymnasium gemacht sind oder keine Lust darauf haben. Ich bedauere es sehr, dass man das Lycée technique immer noch als Notlösung betrachtet, wenn es im Gymnasium nicht reicht anstatt, dass man die Leute ermutigt, die wirklich in die technischen Berufe wollen, dort Exzellenzkriterien aufstellt und den Schülern dort beibringt, in einer Sprache fehlerfrei zu schreiben. Das sage ich nicht, weil ich eine Orthografiefanatikerin bin, sondern, weil es notwendig ist, um sich in einer Sprache klar ausdrücken und kritisch denken zu können. Dafür muss man keine große Literatur lesen.
Die Weichen dafür werden aber viel früher gestellt, nämlich bereits bei der Alphabetisierung, die in Luxemburg für alle Kinder in einer Fremdsprache stattfindet und für immer mehr Kinder in einer ihrer eigenen Sprache nicht im Geringsten verwandten Fremdsprache. Das betrifft fast die Hälfte der Bevölkerung und in der Schülerschaft eigentlich noch mehr. Für die ist umso schwieriger, das Niveau zu erreichen, wo ihnen die Fedil ihnen via „Hello Future“ erklären will, welche Berufe in der Industrie auf sie warten.
Ich weiß nicht, was die Antwort darauf ist. Ein anderes Sprachenregime? Nicht, dass mich das nicht beschäftigen sollte, aber ich habe dafür keine Antwort parat. In Wallonien kann man mittlerweile allein am Namen der Sekundarschule erkennen, ob die Schüler akademischen Erfolg haben werden oder nicht. Da ist der soziale Aufzug über das Bildungssystem also auch kaputt und die Sprachensituation ist deutlicher weniger komplex, weil in Französisch unterrichtet wird. Ich weiß nicht, was die Lösung ist.
Sie haben bei Ihrem Amtsantritt vergangene Woche für eine klare Aufgabentrennung zwischen der Union des Entreprises Luxembourgeoises (UEL) und der Fedil plädiert und dann eine Flexibilisierung des Arbeitsrechts verlangt – was nun wirklich das Thema für die UEL unter Sozialpartner überhaupt ist. Es gab dann auch mit Ihrem Vorgänger, Nicolas Buck, eine große Diskussion um die Elternzeit. Was will die Fedil denn nun? Und ist es wirklich die Elternzeit ihr am meisten Sorgen bereitet?
Als Dachverband der Arbeitgeberverbände hat die UEL kaum Kontakt mit den Unternehmen, deshalb ist es Sache der Föderationen wie der Fedil, ihr zu sagen, was in der Branche vorgeht. Danach soll sich nicht jeder zu allem äußern. Die Fedil wird über die Themen reden, die sie spezifisch betreffen, und den Rest soll die UEL machen.
Trotzdem haben Sie über die Arbeitsorganisation bemängelt.
Ja. Persönlich finde ich es gut, dass es möglich ist, in Teilzeit zu arbeiten. Als ich junge Bürgermeisterin war, waren die alten Männer im Gemeinderat entsetzt, wenn Lehrerinnen Teilzeit beantragten. Seither hat sich viel verändert, und das ist begrüßenswert, auch wenn es in der Organisation immer schwieriger ist, die Arbeit einer Person auf zwei zu verteilen. Mittlerweile haben wir aber eine Situation erreicht, wo Alt und Jung arbeiten wollen, wie es sie arrangiert und das ist, so weit ich sehe, legal alles möglich. Es gibt Teilzeit mit einer halben Stelle, einer drittel oder dreiviertel Stelle. Manche beantragen Teilzeit, weil sie Kinder haben, andere haben weitere berufliche Projekte nebenher. Die meisten Arbeitnehmer gehen mit diesen Möglichkeiten verantwortungsvoll um, aber einige haben Vorstellungen, die vollkommen unsinnig sind, beziehungsweise nicht legal. Wer mit Kunden zu tun hat, muss zum Beispiel zur Arbeit kommen, wenn er oder sie von den Kunden gebraucht wird. Und es können nicht alle Wochenstunden hintereinander, am Anfang der Woche geleistet werden, damit die zweite Wochenhälfte frei ist. Alle diese unterschiedlichen Vorstellungen der Mitarbeiter müssen auf einen Nenner gebracht werden. In einem größeren Unternehmen lässt sich das noch in etwa innerhalb der Mitarbeiterschaft ausgleichen. Aber umso kleiner die Firma, umso schwieriger wird das. So dass es die Arbeitsorganisation insgesamt ist, die uns Sorgen bereitet und wo wir auf beiden Seiten Flexibilität fordern, nicht die Elternzeit. Denn ich würde von einem feministischen Standpunkt aus behaupten, dass es gut ist, wenn junge Väter die Elternzeit beanspruchen. Für die Arbeitgeber wird es dann nämlich sinnlos, Männer bei der Einstellung Vorfahrt vor jungen Frauen zu geben, weil Letztere ja möglicherweise noch Kinder bekommen.
Sie wollen künftig auch den Außenhandel zur Priorität machen und sagten vergangenen Donnerstag in Bezug auf die Handelskammer, welche die Wirtschaftsmissionen organisiert: „La chambre doit se doter de moyens efficaces et modernes pour offrir à nos entreprisees exportatrices ou à celles qui ont la volonté de le devenir, des services de premier niveau, adaptés à la concurrence mondiale.“ Daraus lässt sich nur schlussfolgern, dass die Handelskammer derzeit keine modernen, effizienten Mittel hat und ihr Service nicht ersten Ranges ist.
Sie wären ja nicht Journalistin, wenn Sie die Frage jetzt nicht so gestellt hätten. Das war eine Rede vor Leuten...
... die mit den Dienstleistungen der Handelskammer vertraut sind.
Ja. Ich denke, es gibt immer Spielraum und Möglichkeiten Fortschritte zu machen. Bei der Fedil, den Unternehmen. Also auch bei der Handelskammer. Als ich vor 20 Jahren hierher kam, fand ich ihr Angebot wirklich Spitze. Jetzt ist das Personal immer noch gut, aber die Handelskammer könnte das wirklich besser machen und gezielter vorgehen, beispielsweise bei der Auswahl der Reiseziele. Man kann nicht einfach sagen: Die Welt ist mein Markt. Meinen Verkäufern erkläre ich auch immer, dass sie wissen müssen, wem sie was zu welchem Preis verkaufen wollen. Außerdem sind die Kommunikationsmittel in den vergangenen Jahren viel günstiger geworden. Flugzeugtickets ebenfalls, das erlaubt KMU, anders auf ihre Kunden zuzugehen. Das sind Veränderungen, welche die Handelskammer berücksichtigen muss. Und sie muss ihre Kunden, die Unternehmen, besser kennen. Sie kann nicht länger sagen: „Wenn Sie an einer Reise nach Nigeria interessiert sind, schreiben Sie sich ein.“ Sie muss vorher wissen, ob und warum sich eine Firma für den nigerianischen Markt interessiert. Dafür muss die Handelskammer zusammen mit ihren Mitgliedern eine Strategie entwickeln. Das sage ich mit Nachdruck, denn die Handelskammer ist eine große Institution und per Definition ist es in solchen schwierig, Veränderungen zu bewirken.
Sie wählen Ihre Worte sehr vorsichtig, um diplomatisch zu sein. Aber das ist nicht der einzige Punkt, in dem Sie nicht zufrieden mit der Handelskammer sind. Sie haben Sie auch aufgefordert, das Weiterbildungsangebot anzupassen.
Es stimmt, dass das Weiterbildungsangebot der Handelskammer sehr groß ist. Aber es gibt nur sehr wenige Angebote für die klassische Industrie. Wenn sie beispielsweise eine schnelle Ausbildung in Sachen Metalle wollen, gibt es das nicht. Wir telefonieren dann nach Belgien oder nach Frankreich, um jemanden zu finden. Die Handelskammer muss diese Weiterbildungen ja nicht alle in ihren Räumlichkeiten abhalten. Aber es wäre gut, wenn sie das Verzeichnis führen würde, um zu zeigen, was es gibt, wer was in welcher Sprache anbietet, und ob die Anbieter gut sind.
Die Handelskammer muss sich sowohl für die Weiterbildung als auch die Förderung des Außenhandels die richtigen Ressourcen geben, um zu ermitteln, welche Kompetenzen in den verschiedenen Branchen gebraucht werden. Das ist eine unverzichtbare Etappe vor der Aufstellung des Weiterbildungsangebots. Die Analyse der Exportprojekte der KMU wie auch die Ermittlung der Weiterbildungsansprüche sind spezifische Berufe. In anderen Worten, es reicht nicht aus, einen Verband zu fragen: Welches Unternehmen oder welche Branche könnte denn Interesse an dieser Reise oder jener Schulung haben. Ich betone das, weil ich überzeugt bin, dass sich andere Organe darum kümmern werden, wenn die Handelskammer sich nicht positioniert, was schade für unser Weiterbildungsinstitut wäre. Diese Aussagen sind vielleicht hart, aber die Anforderungen an die Seinen sind bekanntlich immer am höchsten. Und die Handelskammer ist unsere Kammer, die der Unternehmen.