Finanzierung notleidender Banken

Eine Droge namens Ela

d'Lëtzebuerger Land vom 10.07.2015

Alle paar Tage entscheiden die Zentralbankgouverneure in Frankfurt darüber, ob sie die Ela-Finanzierung für Griechenlands Banken aufrecht erhalten, in welcher Höhe und zu welchen Bedingungen. Davon hängt ab, ob die Banken wieder öffnen können oder nicht. Und letztlich auch, ob Griechenland vom Euro abgeschnitten wird.

Was passiert im Normalfall?

Im Normalfall refinanzieren sich die Banken im Euroraum über die wöchentlichen Auktionen der Europäischen Zentralbank. Im Gegenzug für die Zentralbankkredite geben sie Wertpapiere als Garantie, die von einer gewissen Qualität sein müssen. Welche Wertpapiere als Garantie akzeptabel sind, teilt die Zentralbank über Listen mit. Die EZB schlägt Rabatt auf dem Nominalwert der Wertpapiere ab, wenn sie glaubt, dass der Herausgeber des Papiers nicht in vollem Umfang dafür aufkommen kann. Für die im Rahmen der Hauptrefinanzierungsgeschäfte vergebenen Kredite haften alle Zentralbanken im Eurosystem gemeinsam. Diese Kredite werden zum Leitzinssatz vergeben, über den die Zentralbankgouverneure einmal monatlich beraten und ihn dann bekanntgeben.

Was ist Ela?

Ela ist, wie der Name Emergency liquidity assistance besagt, der Ausnahmefall von der Regel. Gerät eine Bank in Liquiditätsschwierigkeiten, kann sie bei ihrer nationalen Zentralbank Notfallliquiditäten beantragen. Die haftet dann allein für diese Kredite, die teurer sind als die normalen Zentralbankgelder und für die andere Garantiebedingungen gelten. Obwohl die nationale Zentralbank alleine haftet und damit im Endeffekt der Staat, der hinter der Zentralbank steht, kann der Gouverneursrat in Frankfurt die Vergabe von Ela-Geldern mit einer Zweidrittel-Mehrheit blockieren oder die Vergabebedingungen verändern. Im Prinzip wird alle zwei Wochen über Ela entschieden. Im Falle Griechenlands fallen die Entscheidungen in kürzeren Zeitabständen. Ela darf nur an Banken vergeben werden, die Liquiditätsschwierigkeiten haben, aber nicht insolvenzgefährdet sind, um zu verhindern, dass die Zentralbanken Banken finanzieren, die eigentlich nicht mehr lebensfähig sind, und sie bei deren Insolvenz Verluste machen.

Wann braucht eine Bank Ela?

Banken greifen auf Ela zurück, wenn sie in Liquiditätsengpässe geraten, weil beispielsweise die Kunden ihre Konten räumen. Während der Bankenkrise vor sieben Jahren mussten Fortis und Dexia auf Ela zurückgreifen. Oder wenn sie nicht ausreichend Wertpapiere im Portfolio haben, welche sie der Zentralbank im Rahmen der normalen Refinanzierungsgeschäfte als Garantie geben können. Weil ihre Wertpapiere während der anhaltenden Krise an Wert einbüßten, musste Dexia auch Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise auf Ela zurückgreifen.

Wieso brauchen die griechischen Banken Ela?

Bereits im Dezember 2014, als sich Neuwahlen in Griechenland anbahnten, begannen die griechischen Bankkunden ihre Konten zu räumen. So entstanden Liquiditätsengpässe. Am 4. Februar 2015 entschied die Europäische Zentralbank (EZB), den waiver auf griechischen Staatsanleihen aufzuheben. Bis dahin hatte eine Sondergenehmigung auf Griechenlandpapieren gegolten. Griechische Anleihen hatten seit der Umschuldung „Schrottstatus“ und waren damit im Rahmen der normalen Refinanzierungsauktionen der Zentralbank im Prinzip nicht mehr als Garantie zulässig. Im Gegenzug dafür, dass sich die griechische Regierung engagierte, die ihm Rahmen des zweiten Hilfsprogramms von den Geldgebern auferlegten Bedingungen zu erfüllen und die geforderten Strukturreformen umzusetzen, machte die EZB eine Ausnahme und vergab einen waiver. Dadurch konnten griechische Banken weiterhin Griechenland-Anleihen als Garantie benutzen und damit an den normalen Refinanzierungsoperationen im Eurosystem teilnehmen. Durch die Entscheidung der EZB Anfang Februar, den waiver aufzuheben, schloss die EZB die griechischen Banken von den normalen Refinanzierungsgeschäften aus, weil ihnen dadurch garantiefähige Wertpapiere fehlen. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als auf Ela zurückzugreifen.

Weshalb hat die EZB den waiver gestrichen?

Die EZB begründete ihre Entscheidung damit, dass die frisch gewählte linke Regierung in Athen die von der Troika auferlegten Bedingungen im Gegenzug für die Hilfsgelder nicht mehr erfüllen wollte und den Ausstieg aus dem Hilfsprogramm angekündigt hatte.

Weshalb ist dies umstritten?

Auch die Vorgängerregierung von Syriza schaffte es nicht, die von der Troika geforderten Strukturreformen umzusetzen. Erst deswegen mussten Neuwahlen organisiert werden. Dennoch strich die EZB den waiver nicht. Erst als Syriza das Ruder übernahm, strich sie die Sondergenehmigung.

Die „Falken“ in Sachen Zentralbankpolitik argumentieren, dass die EZB laut Verträgen nur einen Auftrag hat: die Wahrung der Preisstabilität. Ihr Ziel ist eine Inflationsrate von knapp unter zwei Prozent. Andere Zentralbanken haben breitere Missionen. Die US-amerikanische Federal Reserve Bank beispielsweise achtet auch auf die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Die EZB darf keine „Staatenfinanzierung“ betreiben, also Euroländern Geld leihen, weil das die Inflation antreiben würde, so das Argument.

Die „Tauben“ in Sachen Zentralbankpolitik halten dagegen, dass es auch Auftrag der EZB ist, den reibungslosen Zahlungsverkehr in der Währungsunion aufrecht zu erhalten. Und insgesamt die EU in der Umsetzung ihrer wirtschaftspolitischen Ziele zu unterstützen. Dazu könnte man auch das Abwenden von Kapitalkontrollen oder die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zählen.

In der Vergangenheit hat EZB-Chef Mario Dra­ghi ohnehin bereits angekündigt, alles Notwendige zu tun, um den Euro aufrecht zu erhalten. Damit gemeint war der Aufkauf von Staatsanleihen. Dadurch beruhigte er im August 2012, als von der Schuldenkrise nicht nur Griechenland, sondern auch andere Länder betroffen waren, die Lage auf den Finanzmärkten.

Ist das ein politisches oder ein technisches Problem?

Die EZB wiederholt immer wieder, ihre Entscheidungen in Sachen Ela seien „rule-based“, also vorschriftsgemäß. Hat ein Wertpapier Schrottstatus, ist es laut EZB-Regelbuch nicht garantiefähig. Verliert der Aussteller an Kreditwürdigkeit, wird der Rabatt auf den Nominalwert erhöht. So stellt sich die Abhängigkeit der Banken Griechenlands von der Notfallversorgung als mechanischer Prozess dar, der politisch neutral ist.

Die Regeln allerdings, nach denen die EZB funktioniert, ihr enggefasstes Mandat haben die Politiker bestimmt, die am Aufbau der Währungsunion beteiligt waren. Vor allem Deutschland hat aus Angst vor Inflation beim Aufbau des Euro darauf gedrängt, dass die Zentralbank unabhängig von der Politik also den Regierungen der Euroländer sein muss. Das war keine wirtschaftspolitisch neutrale Entscheidung – das Mandat der EZB hätte auch anders definiert werden können.

Auch außerhalb der Krisenstaaten werfen wenige Beobachter der EZB außerdem vor, in den vergangenen Jahren mit Ela-Entscheidungen den Krisenstaaten auf die Sprünge zu helfen, die freiwillig kein Hilfsprogramm annehmen wollten. 2013 drohte sie Zypern damit, die Ela-Versorgung an die Banken einzustellen, sollte der Inselstaat kein Hilfsprogramm annehmen. Drei Jahre vorher hatte sie mit der gleichen Drohung Irland von der Annahme eines Hilfsprogramms überzeugt. Nach ihrer Entscheidung vom 4. Februar, die griechischen Banken von der Normal- auf Notversorgung umzustellen, einigte sich die griechische Regierung binnen 15 Tagen auf die Verlängerung des zweiten Hilfsprogramms, aus dem sie eigentlich aussteigen wollte. Zumindest in der Wirkung sind die Entscheidungen der EZB demnach nicht unpolitisch.

Wie viel Ela brauchen Griechenlands Banken?

Seit Anfang des Jahres haben die Zentralbankgouverneure die Decke für die Versorgung der griechischen Banken mit Ela schrittweise von ungefähr 50 Milliarden Euro auf rund 89 Milliarden angehoben. Die EZB selbst kommuniziert weder über die Höhe der Ela-Gelder, noch über ihren Preis.

Wieso sind die Banken dennoch geschlossen?

Seit der Ankündigung des Referendums haben die Zentralbankgouverneure den maximalen Ela-Betrag für Griechenlands Banken bei 89 Milliarden eingefroren. Das reicht nicht, um den Liquiditätsbedarf zu decken, deshalb wurden die Banken geschlossen und Kapitalkontrollen eingeführt. Die Kunden dürfen maximal 60 Euro täglich abheben. Die EZB entschied außerdem nach dem Referendum, den „Rabatt“ auf den von den Banken hinterlegten Garantien zu erhöhen. Deshalb müssen die Banken mehr Garantien hinterlegen, um mit der gleichen Menge an Liquidität versorgt zu werden. Wenn sie keine weiteren Garantien hinterlegen können, sinkt die Liquidität und die Kapitalkontrollen können nicht aufgehoben werden.

Weshalb droht wegen Ela der Euroaustritt?

Erste Möglichkeit: Den griechischen Banken geht bei unveränderter Ela-Decke das Geld aus. Weil Gehälter, Löhne und andere Zahlungen nicht mehr durchgeführt werden können, muss ein Ersatzzahlungsmittel eingeführt werden. Diese Parallelwährung könnte Drachme genannt werden. Oft ist die Rede ist von IOUs – Schuldscheinen. IOU steht für „I owe you“. Griechenland wäre dann immer noch Mitglied im Euro, in der Realität aber stünden Euro als Zahlungsmittel nicht in ausreichender Menge zur Verfügung, um die Wirtschaft in Gang zu halten.

Zweite Möglichkeit: Die EZB entscheidet, dass die Versorgung mit Ela-Mitteln eingestellt werden muss, weil die griechischen Banken nicht als illiquide, sondern als insolvent zu betrachten sind, zum Beispiel weil der Staat, von dem die Zentralbank abhängt, bei der sie sich refinanzieren, insolvent ist. Damit wäre Griechenland ebenfalls in der Realität vom Euro als Zahlungsmittel abgeschnitten und müsste eine Parallelwährung einführen. Würden die Banken insolvent, müsste der Staat, der bekannterweise kein Geld hat, sie rekapitalisieren...

Wie schnell geht das?

Internationalen Medienberichten zufolge sollen die griechischen Banken genug Geld haben, um bis Montag unverändert täglich 60 Euro pro Kunde auszahlen zu können. Obwohl sich die Berichte aus Athen mehren, dass die 20-Euro-Scheine ausgehen und deshalb nur noch 50 Euro täglich ausgezahlt werden können. Die EZB hat am Mittwoch entschieden, die Ela-Versorgung weiterhin bei 89 Milliarden Euro zu belassen. Per Interview hat EZB-Ratsmitglied Christian Noyer allerdings hinzugefügt, dass die Zentralbank die Ela-Notversorgung einstellen wird, wenn Griechenland keine Einigung für ein neues Hilfsprogramm findet. Weil die EZB erst die Banken von der normalen Versorgung ausgeschlossen hat, dadurch die Abhängigkeit des griechischen Bankensystems von der Notversorgung gesteigert hat, die sie nun nach ihren Regeln anpassen oder abschalten kann, reden die griechischen Verantwortlichen von Erpressung und Terrorismus.

Michèle Sinner
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