Heute loben wir die tollkühnen Journalisten. Gleich zu Beginn möchten wir uns entschuldigen, dass wir uns schon wieder mit Herrn Juncker beschäftigen. Aber dieser Herr ist ein Meister der Expressegkeeten. Seine Hauptbeschäftigung scheint zu sein, den Bogen zu überspannen. Er springt mittlerweile so verächtlich mit den Bürgern um, als hätte er es mit einem Volk von Schwachsinnigen zu tun. Völlig abgehoben ist der Herr, irgendwie jenseits von Gut und Böse, eine leibhaftige Mogelpackung aus Machtgeilheit und maßloser Eitelkeit. Er ist zwar rein formal der Luxemburger Premier, aber den Bürgern scheint er keinerlei Rechenschaft schuldig zu sein. Für ihn sind die Bürger nur lästige Zecken, eine quantité négligeable, der dumme Pöbel, der ihm unerlaubter Weise ins Handwerk pfuscht.
Jüngstes Beispiel: Ein paar Journalisten möchten wissen, was Herr Juncker von den kriminellen Autohändlermachenschaften des Geheimdienstes hält. Erste Antwort (über dem Herannahen): „Ech äntweren net.“ Zweite Antwort (unmittelbar vor der Fernsehkamera): „Ech hunn elo e Gespréich mam Nato-Generalsekretär!“ Dritte Antwort (über dem Weggehen): „Ech war iwwregens iwwert déi Saach am Bild.“ Der gesamte Juncker-Auftritt dauert knapp 16 Sekunden. Und schon ist er verschwunden.
Die erste Antwort resümiert treffend Herrn Junckers Verhältnis zur demokratischen Öffentlichkeit. „Ech äntweren net.“ In anderen Worten: Ihr könnt euch auf den Kopf stellen, ihr hirnrissigen Pressefuzzis, ihr könnt euch Fragen aus den Fingern saugen, bis ihr schwarz werdet, ich habe es nicht nötig, auch nur annähernd höflich zu reagieren, das ganze Journalistenpack kann mir gestohlen bleiben, Platz da, mit eurer Zunft muss man eben Schlitten fahren, steckt euch doch eure Mikrofone sonstwo hin!
Die dritte Antwort (die schon aus dem Off kommt, weil Herr Juncker sich flugs entfernt hat) ist noch arroganter als die erste. „Ech war iwwregens am Bild.“ Allein die Tatsache, im Bilde zu sein, scheint in Herrn Junckers Augen die verbrecherische Substanz des angesprochenen Vorgangs zu annullieren. Er war im Bilde, also soll keiner kommen und ihm vorwerfen, nichts gegen den Verfall der staatlichen Sitten unternommen zu haben. Weil er im Bilde war, sind die Akteure der krummen Geheimdienstgeschichte offenbar entlastet. Und er selber stellt sich implizit einen Persilschein aus. Der Staatsminister ist im Bilde, das reicht aus, um wieder eine politische Sauerei elegant ad acta zu legen.
Die zweite Antwort ist an Grandezza nicht mehr zu übertreffen. „Ech hunn elo e Gespréich mam Nato-Generalsekretär!“ Anders gesagt: Ich habe jetzt Wichtigeres zu tun, als mich mit euch Wichten abzugeben. Ich verkehre in Kreisen, die so weit entfernt vom Demokratiezirkus agieren, dass sie auf Journalisten und andere Schmeißfliegen pfeifen. Ich bin ein bedeutender Weltpolitiker und habe mit der provinziellen Klitsche namens Luxemburg nichts am Hut.
Aber vielleicht tun wir Herrn Juncker ja Unrecht. Es könnte ja sein, dass er dringend Herrn Rasmussen um ein Gespräch gebeten hat, um endlich die finstere Stay behind-Geschichte zu klären. Wie sich herausstellt, betrachtet die höchst undurchsichtige Nato unser Land nicht erst seit gestern als wohlfeilen Spielball ihrer Kriegsspielchen. Es wäre ja fast unvorstellbar, dass Herr Juncker inmitten der aktuellen Stay behind-Turbulenzen ausgerechnet in aller Öffentlichkeit den offiziellen Drahtzieher dieser Affäre hofiert. Also hat er wohl Herrn Rasmussen gewaltig die Leviten gelesen. Und ihn dringend aufgefordert, die Einmischung seines obskuren Militärvereins in unsere nationalen Angelegenheiten sofort einzustellen.
In den Zeitungen (schon wieder diese verfluchte Presse!) lesen wir allerdings etwas ganz anderes. „Juncker unterstrich die Bündnissolidarität. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass die Europäische Union zusätzlich zu den Kapazitäten der Nato ihre militärische Stärke ausbauen müsse. ‚Ein starkes Europa ist ein Europa, das seine Verpflichtungen wahrnimmt und im Sinne der Allianz handelt’, meinte Juncker“ (Tageblatt, 18.05.2013). Haben wir recht verstanden? Kein Funke von Einsicht oder Skepsis, sondern nur die übliche Prostitution im Dienste der USA? Mitsamt allen desaströsen Kollateralschäden? Das sind ja wirklich tolle Geistesblitze vor dem Hintergrund des Bommeleeër-Prozesses.
Wenn verschärfte Aufrüstung der ideale Krisenausweg sein soll, dann könnte Luxemburg sich ja zum Beispiel mit einer produktiven und lukrativen Waffenindustrie an der europäischen Genesung beteiligen. Nach dem Steuerparadies das Waffeneldorado! Die Mordinstrumente sind wenigstens eine stabile Währung. Warum sollten die Amerikaner hier nur Autoreifen herstellen? Drohnen und andere Friedensobjekte haben weltweit Hochkonjunktur. Sollen wir schon wieder den cleveren Geschäftemachern hinterherlaufen? Schließlich stolziert der Großherzog schon seit Menschengedenken in einer prächtigen Militäruniform durch die Gegend. Für diese Verkleidung braucht er endlich eine konkrete Berechtigung. Herr, schenk uns Waffenfabriken!