Die Demokratische Partei hat sich innerhalb weniger Jahre zum Machtapparat entwickelt und das Vakuum des einstigen CSV-Staats gefüllt

Marsch durch die Institutionen

DP-Parteipräsidentin Corinne Cahen beim Parteikongress im Tramschapp im Juli 2018
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 14.02.2020

Dark Ages Gegen Ende des Abends am 7. Juni 2009 war die Stimmung im DP-Lager schlecht. Nachdem die liberale Partei bereits 2004 eine heftige Wahlniederlage schlucken musste und fünf Sitze im Parlament verlor, sah es diesmal noch schlimmer aus: Nur noch neun Sitze. Das schwächste Wahlresultat seit über 45 Jahren. Abgeschlagen hinter den Sozialsten. Ignoriert und gedemütigt von Jean-Claude Junckers CSV. Bedeutungslos.

Noch heute zieht ein Stirnrunzeln wie ein Schatten über die Gesichter von liberalen Politikern, wenn sie auf 2009 angesprochen werden. Das Wahldebakel traf die Partei damals dermaßen ins Mark, dass Parteimitglieder sich von ihr abwanden und die DP-Zukunft gar gefährdet war. „Ein Jugendclub mit 50 Mitgliedern hätte die Partei bei einem Kongress damals kapern können“, erzählen sich hochrangige DP-Notabeln als mahnende Erinnerung an die dunklen Zeiten.

Machtapparat Nur zehn Jahre später sieht die liberale Welt deutlich heiterer aus. Innerhalb weniger Jahre hat sich die einst „bedeutungslose“ Partei zur stärksten Kraft im Staat etabliert. Sie hat das Vakuum des vormaligen CSV-Staats geschickt gefüllt und sich als neue, mächtige Staatspartei ausgebreitet. Der DP-Machtapparat ist mittlerweile beeindruckend: Die Partei stellt mit dem Premier- und Finanzminister (Xavier Bettel und Pierre Gramegna) die beiden wichtigsten Ministerposten der Regierung, dominiert die Exekutive. Sie besetzt mit Fernand Etgen den Posten des Chamberpräsidenten und kontrolliert mit Minister Marc Hansen die Beziehungen zwischen Parlament und Regierung. Die DP stellt mit Agnès Durdu den Vorsitz im Staatsrat und gilt als federführend in der intransparenten Institution (siehe Artikel Seite 9). Sie herrscht mit Bürgermeisterin Lydie Polfer über die Geschicke der Stadt Luxemburg. Sie belegt mit Joëlle Elvinger den Luxemburger Posten am Europäischen Rechnungshof. Sie verteilt wichtige Posten in Verwaltungsräten von öffentlichen und semi-staatlichen Einrichtungen sowie in Ministerien und dominiert mit dem Film Fund, Esch 2022 und dem Mudam die wichtigsten kulturellen Institutionen des Landes. Sie kann sich mittlerweile gar erlauben, den Staatschef in die Schranken zu weisen, ohne Schaden davon zu tragen. Mehr noch: Xavier Bettel kann offen damit prahlen, den Posten des EU-Ratspräsidenten 2019 dankend abgelehnt zu haben – immerhin das Amt, nach dem sich Jean-Claude Juncker 2009 so sehnte. Kurz: Der DP-Staat ist eine Realität.

Alles-Partei Man mag sich angesichts dieser Aufzählung an den Kopf fassen und fragen: Wie ist der Demokratischen Partei dieser Marsch durch die Institutionen in so kurzer Zeit gelungen?

Ein Teil der Antwort findet sich im Wahlkampf vor dem Wahldebakel von 2009. Damals schrieb das Land, dass die DP sich nicht so recht entscheiden könnte, ob sie nun radikalliberal, sozialstaatlich, antiklerikal oder doch lieber CSV-kompatibel sein soll. „Am liebsten würde sie auf Nummer sicher gehen und alles zugleich sein.“ Das Programm hat sich seither nicht sonderlich verändert, die DP ist auch heute noch die Alles-Partei, die mit ihrem „Sowohl-als-auch“-Mantra jedem Bürger maximales Glück verspricht und den Spagat zwischen den Interessen herstellen will. Es ist ein breites Programm, aber kein besonders tiefes. Es spricht nahezu alle Gesellschaftsschichten an, aber niemanden konkret. Es ist vielfältig, aber beliebig. Wer sich darin finden will, findet sich darin.

Die Kehrseite dieser Beliebigkeit ist das Fehlen eines ideologischen Unterbaus. Die Partei hat kein ideelles Fundament oder ein programmatisches Langzeitziel, das in politischen Dürrephasen ein Fixpunkt sein könnte, unabhängig von politischen Trends. Das hat sie eigentlich auch nicht nötig. Denn die Partei macht eine stark gegenwartsbezogene Politik: was zählt, ist das Hier und Jetzt. Sie ist anders als ihre Schwesterpartei in Deutschland und zur Enttäuschung von Unternehmerverbänden keine radikale wirtschaftsliberale Partei mit langem Atem, die im Zweifel lieber nicht, als falsch regiert. Sie verkörpert damit das post-ideologische Zeitalter, wonach das Links-Rechts-Schema als überkommen gilt und alle gesellschaftlichen Widersprüche in sich aufgehoben werden können.

Diese Unschärfe erlaubt es der DP, sich als Kraft der Mitte zu inszenieren. Doch es nicht diese Spannweite, die für die Wähler so attraktiv ist. Die Partei hat vielmehr den Wahlerfolg von 2013 strategisch genutzt, um sich als Siegerpartei darzustellen. Wer auf der Seite der DP steht, zählt aktuell zu den Gewinnern. Sie zieht damit Opportunisten und Karrieristen an, die es über Jahrzehnte aus diesen Gründen in die CSV trieb – die Partei als Sprungbrett für individuelle Ziele. Und wie die Auflistung weiter oben zeigt, nutzt die DP ihre Macht, um die Macht zu sichern, indem sie Posten verteilt. Frei nach dem Prinzip: Teile und herrsche.

Machtkonzentration Dieses rationale politische Kalkül geht dabei zurück auf Xavier Bettel und Corinne Cahen. Denn so breit die Partei gerade ihren Apparat im Staat streckt, so konzentriert ist ihre Macht. Es gibt keine wesentlichen Entscheidungen, ob in Politik- oder Personalfragen oder in der Außendarstellung, die nicht mit dem Premier und der Parteipräsidentin abgesprochen sind. Die beiden Jugendfreunde aus Bonneweg haben die Demokratische Partei seit 2013 nach ihrem Willen zu einer Bettel-Cahen-Partei geformt und zeigen wenig Rücksicht gegenüber parteiinternen Kritikern.

Der Aufstieg von Xavier Bettel geht dabei ebenso auf die Wahlniederlage von 2009 zurück. Damals drängte sich Bettel an der Seite vom vorübergehend gescheiterten Politiker Claude Meisch an die Spitze der Partei. Und der charmante Xavier Bettel zeigte, dass er nicht nur über großes selbstdarstellerisches Talent verfügt, sondern auch mit politischen Instinkten ausgestattet ist und skrupellose Entscheidungen treffen kann. Er zögerte nicht lange und schob innerhalb von nur zwei Jahren die alten weißen Granden des Landes zur Seite: Paul Helminger, Charles Goerens und Jean-Claude Juncker.

2015 trat er als Parteipräsident zugunsten von Corinne Cahen ab. Und auch Cahen verfügt über ähnliche politische Machtinstinkte wie Bettel und brachte zur Sicherung ihres Postens gleich ein ganzes Team von loyalen Leutnante mit an die Spitze der DP: Max Hahn, Lex Delles, Marc Hansen und Marc Ruppert. Letzterer fiel als Generalsekretär mit seinen basisdemokratischen Ideen in Ungnade und wurde durch Claude Lamberty ersetzt. Seither läuft der Bettel-Cahen-Dampfer: Es herrscht Ruhe in der Demokratischen Partei, Interna dringen nicht nach Außen, Konflikte werden im Keim erstickt. Die DP hat das Image einer souveränen Staatspartei.

Punchingball Ein Leidtragender des parteiinternen Aufstiegs von Corinne Cahen war 2015 Gilles Baum. Der Abgeordnete aus Junglinster (geboren 1973) musste in Absprache mit Bettel als Generalsekretär für das Team Cahen weichen, auch wenn er den Posten wohl gerne weitergeführt hätte. Nun ist ausgerechnet Baum neuer Fraktionsvorsitzender der DP und ersetzt, ein Jahr früher als geplant, den verstorbenen Politiker Eugène Berger. Das Amt des Fraktionsvorsitzenden gilt dabei als unbequeme Aufgabe in Regierungszeiten, da es verlangt, die Abgeordneten als verlängerter Arm der Regierung auf Linie zu halten und gleichzeitig Moderator zwischen den Befindlichkeiten der Abgeordneten und den Interessen der Minister zu sein. Eugène Berger hat das Amt des Fraktionsvorsitzenden deshalb einmal als „Punchingball“ bezeichnet, da man im Zweifel zwischen die Fronten gerät. Doch Baum weiß, was auf ihn zukommt. Und er weiß auch, was von ihm verlangt wird: Er spricht davon, dass er als Bindeglied zwischen Regierung und Parlament für „Ruhe und Souveränität“ in der Fraktion die Verantwortung trage. Als Vorbild nennt er dabei den Führungsstil von Lydie Polfer, die durch Erfahrung und Gelassenheit die DP als Parteipräsidentin verwaltete.

Dabei war der großgewachsene und freundliche Politiker als Fraktionspräsident in der Bettel-Cahen-Partei eigentlich nicht vorgesehen. Baum, seit 1996 DP-Mitglied, konnte im Ostbezirk etwas wider Erwarten 2018 erneut ins Parlament ziehen. „Eigentlich haben mir alle gesagt, dass ich nach 2018 wieder zurück als Lehrer vor einer Klasse stehen werde“, so Baum. Doch der Schöffe aus Junglinster konnte einen Stimmgewinn von 40 Prozentpunkten im Vergleich zu 2013 erzielen. Und angespornt von seinem erfolgreichen Ergebnis und dem Zuspruch seiner Kollegen nahm er den Hörer in die Hand und machte Werbung in eigener Sache für das Amt des Fraktionsvorsitzenden. Es war ein Vorhaben, das nicht nach Gusto von Parteipräsidentin Cahen war, da sie eigentlich bereits Max Hahn auf dem Posten sah. Doch die DP-Fraktion konnte sich gegen den Willen der Präsidentin durchsetzen: der Fraktionsposten wurden zwischen Eugène Berger und Gilles Baum aufgeteilt.

Baum, der eigentlich eher in der zweiten Reihe der DP stand und den klassischen Weg einer lokalen, regionalen und nationalen Politikkarriere einschlug, hat sich bei vielen DP-Mitgliedern mit seinem Verhalten Respekt verschafft. Seinen Posten als Fraktionsvorsitzender stellte er nach dem Tod von Berger erneut zur Wahl. Mit klarem Ergebnis: Alle DP-Abgeordneten stehen hinter ihm.

Ruhige Jahre Nach dem turbulenten ersten Jahr der Legislaturperiode mit vielen Wechseln auf der Abgeordnetenbank hoffen die Mehrheitsparteien, dass nun ruhigere Zeiten kommen. Einiges spricht dafür – immerhin stehen die nächsten Wahlen erst im Superwahljahr 2023 an. Die DP wird dabei an ihrer bisherigen Strategie festhalten: Sie wird weiter Posten verteilen, wo es möglich ist und ihre Macht ausbauen. Und politisch wird sie vor allem versuchen durch ein Update der beiden populären Maßnahmen der ersten Dreierkoalition zu punkten: eine zweite Steuerreform und ein Congé parental plus. Dabei laufen die Arbeitsgruppen für die Steuerreform schon längstens auf Hochtouren. Manche Optimisten glauben, dass die Reform der Individualbesteuerung schon vor dem Sommer im Parlament hinterlegt wird, realistischer scheint wohl eher Herbst zu sein.

Aber sicher ist: Damit sich, getreu der DP-Strategie, alle noch vor den Wahlen als Gewinner fühlen, muss die Reform bis zum Ende des Jahres im Parlament verabschiedet werden. Nur so ließe sich im Portemonnaie der Wähler ein spürbarer Effekt vor den nächsten Wahlen 2023 feststellen.

Pol Schock
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